Wo schreibt ... ?
Wo entstehen eigentlich all die großartigen Bücher, mit denen wir täglich arbeiten, die wir in unseren Verlagen veröffentlichen und voller Spannung lesen? Wir waren neugierig und haben bei unseren Autorinnen und Autoren nachgefragt. In unserer neuen Serie „Wo schreibt … ?“ erzählen sie in loser Folge von dem Ort, an dem Geschichten ihren Anfang nehmen.
Übersicht
Wo schreibt Monika Helfer?
Wo schreibt Stefan Beuse?
Wo schreibt Arno Geiger?
Wo schreibt Tobias Elsäßer?
Wo schreibt Silke Schlichtmann?
Wo schreibt Gertrude Kiel?
Wo schreibt Navid Kermani?
Wo schreibt Claire Thomas?
Wo schreibt Lea Draeger?
Wo schreibt Rocko Schamoni?
Wo schreibt Hubert Achleitner?
Wo schreibt Niklas Maak?
Wo schreibt Jutta Bauer?
Wo schreibt Peter Balko?
Wo schreibt Anna Hope?
Wo schreibt Karen Köhler?
Wo schreibt Sandra Hoffmann?
Wo schreibt Bettina Balàka?
Wo schreibt Kurt Palm?
Wo schreibt Philipp Blom?
Wo schreibt Thomas Girst?
Wo schreibt Marko Dinić?
Wo schreibt Ernst Paul Dörfler?
Wo schreibt Jean-Philippe Blondel?
Wo schreibt Michael Ondaatje?
Wo schreibt Anton Badinger?
Wo schreibt Matt Ruff?
Wo schreibt René Freund?
Wo schreibt H. M. van den Brink?
Wo schreibt J. Courtney Sullivan?
Teil 29 | Monika Helfer | Die Jungfrau

Wo schreibt Monika Helfer?
Ach mein Schreibtisch!
Ein Sammelsurium von komischem Zeug, das ich mir einbilde zu brauchen, wenn ich schreibe.
Meine Figürchen: die Fetzenpuppe mit dem Baby auf dem Rücken, die schwarze Madonna, der kleine Muck und vieles mehr, das alles gibt mir das Gefühl, beschützt zu sein.
Teil 28 | Stefan Beuse | Die Einsamkeit der Astronauten

Wo schreibt Stefan Beuse?
»Die Frage müsste für mich eher lauten, wie ich schreibe; die Abhängigkeit von einem speziellen Schreibort habe ich mir schnell abgewöhnen müssen. Viele Ortswechsel, über 10 Jahre in einem Großraumbüro mit durcheinander telefonierenden Leuten und zu Hause kleine Kinder haben mich eine Form der Konzentration gelehrt, die eher einer Meditation gleichkommt: Sobald ich im Text bin, verschwindet die Welt, vergesse ich alles um mich herum. Ich kenne so viele Autor*innen, die nur in einer bestimmten Ordnung, mit einer bestimmten Musik oder in einer speziellen Raumenergie schreiben können, dass ich jeden Tag dankbar bin für diese Freiheit. Das heißt natürlich nicht, dass ich keine Rituale hätte: Die erste Fassung zum Beispiel am liebsten handschriftlich, vorzugsweise in der Natur und gern am Wasser. Die letzte Fassung dann unbedingt als Ausdruck im Zug, denn wenn ich lange und konzentriert stillsitzen muss, hilft es, wenn alles um mich herum in Bewegung ist. Das Foto ist übrigens eher ein Symbolbild, denn je perfekter eine Umgebung ist, desto weniger kann ich dort arbeiten, weil ich immer ein bisschen gegen die Lautstärke und die vielfältigen Zumutungen der Welt anschreiben muss – aus Notwehr, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit.«
Teil 27 | Arno Geiger | Das glückliche Geheimnis

Nachdenken über meinen Schreibtisch
»In mancher Hinsicht ist der Schreibtisch der einzige Ort, an dem ich nicht bin. Wenn ich dort sitze und schreibe, bin ich woanders. Überall sonst befinde ich mich dort, wo ich mich aufhalte. In der Küche bleiben meistens auch die Gedanken in der Nähe. Aber am Schreibtisch entfernen sich die Gedanken.
Der Schreibtisch ist eine Tür zur Welt, zur Wildnis des Lebens. Ich schreibe meine Bücher weitgehend mit geschlossenen Augen.
Am unordentlichsten ist mein Schreibtisch, wenn ich nicht schreibe. Dann schmeiße ich dort alles hin, und die Dinge langweilen sich für ein paar Wochen. In solchen Zeiten kommt es vor, dass der Schreibtisch regelrecht zugeschneit ist von Papier und Büchern. Es macht dann den Eindruck, als würde ich arbeiten wie ein Wilder, es passiert aber beinahe das Gegenteil. Jedenfalls arbeite ich nicht am Schreibtisch, sondern in Gedanken oder dadurch, dass ich mich am Leben beteilige. Das Schreiben ist nicht der Sinn des Lebens, der Sinn des Lebens ist das Leben selbst.
Ich finde es nicht gut, ständig am Schreibtisch zu sitzen. Ich werde dort nicht nur physisch, sondern auch als Mensch ganz schief. Deshalb zieht es mich oft hinaus oder ich bummle durch die Wohnung. Ich liebe meinen Alltag. Aber wenn ich wieder mit Schreiben begonnen habe, liebe ich meinen Schreibtisch. So ein Schreibtisch ist Stütze im doppelten Sinn. Ich kann den Ellbogen aufsetzen und das Kinn in die Hand legen, und alles ist verbunden, Kopf, Arm, Tisch und Welt.
Momentan liegt am Schreibtisch ein Stoß mit Post, die ich teils schreiben und teils beantworten soll. Bin aber viel zu müde dazu. Ich habe deshalb einen Stein auf den Stoß gelegt, damit er weniger hoch erscheint. Sieht gleich besser aus.«
Teil 26 | Tobias Elsäßer | Arti - Auf Freundschaft programmiert

Wo schreibt Tobias Elsäßer?
»Im Kopf herrscht Chaos. Ständig. Das ist so, wenn man seit der Kindheit ADHS hat und sich auch im Erwachsenenalter damit herumschlagen muss. Ein relativ aufgeräumter Schreibtisch, in einem relativ aufgeräumten Zimmer. Das hilft mir dabei, den Fokus auf das Schreiben zu lenken, und nur darauf. Auch das Schnarchen von Rocky, unserem Hund, dämpft das neuronale Dauerfeuer in meinem Gehirn. Die für die Konzentration wichtige, geringe Tiefenschärfe, die Kurzsichtigkeit, schenkt mir die naturgegebene Linsenkrümmung meiner Augen. Nur der Monitor, nur die Buchstaben, nur die Wörter, nur die Geschichte. Mehr darf, mehr will ich nicht sehen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo eine Hiobsbotschaft die nächste jagt und die Dualität zwischen Gut und Böse, zwischen Helfenden und Mordenden deutlicher denn je zutage tritt. Ich suche diese Insel. Ich brauche diese Insel. Auf ihr werden Geschichten geboren – meine Geschichten. Dort zu bleiben, dem schreibenden Ich ein Zuhause zu geben, ist mein Beruf. Zu flüchten ist mein Beruf, könnte man kritisch anmerken. Die Augen nach innen zu richten. Für Etappen von ein, zwei Stunden vor Krieg, Hunger, Umweltzerstörung und Tyrannei wegzulaufen. Sich zu verstecken. Feige zu sein. Ja, ich bin feiger. Aber ohne diese Insel gäbe es keine Geschichte. Ohne diese Insel bliebe nur das lähmende Gefühl, nichts von dieser Welt zu verstehen.«
Teil 25 | Silke Schlichtmann | Reißaus mit Krabbenbrötchen

Wo schreibt Silke Schlichtmann?
Den einen festen Schreibort habe ich nicht. Ich schreibe im ICE am Fensterplatz, im Café mit neben dem Notizbuch stehender Cappucinotasse, im Garten auf der Bierbank, die es nicht mehr lange macht. Kurz mit dem Fahrrad gestoppt (die rettenden Ideen kommen oft erst, wenn ich in Bewegung bin), schreibe ich auch mal im Stehen. Schreiben klappt wie Lesen (fast) überall.
Ganze Bücher entstehen so aber noch nicht. Das, was ich überall schreibe, sind meist einzelne Passagen. Sind Handlungsentwürfe, Dialoge, Beobachtungen, besonders schöne (oder hässliche) Wörter. Sind Fragen, Ideen oder auch nur Schnipsel davon.
Wenn es dann irgendwann von Stift und Papier hin zum Laptop geht (was nie vollständig passiert; bis zur Abgabe des Manuskripts bleibt das Schreiben mit der Hand für mich sehr wichtig), dann habe ich zwar noch immer nicht den einen festen Arbeitsplatz. Aber es gibt nun doch einen Ort, den ich besonders oft aufsuche und den ich besonders schätze. Und das ist der Lesesaal der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) in Schloss Blutenburg in München. Hauptsächlich sitzen hier Stipendiat:innen aus aller Herren und Frauen Länder und andere Menschen, die zur Kinder- und Jugendliteratur forschen. Manchmal sind denn auch fast alle Plätze belegt. Und für mich bleibt nur noch der kleine Katzentisch, den ihr hier seht – wobei das „nur“ sofort in Anführungsstriche zu setzen ist. Auch wenn er auf dem Foto recht unspektakulär wirken mag, für mich ist dieser Arbeitsplatz ein großes Geschenk: Er liegt in Radelnähe (in gut fünf Minuten von zu Hause aus bin ich schon da). Er bietet einen Blick ins Grüne (Tageslicht, die Nähe zum Draußen, wie wunderbar). Drumherum herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre (hier arbeiten wirklich alle, und keine schmutzige Wäsche, keine volle Spülmaschine, nicht mal ein Kaffeeautomat verführen zu Übersprungshandlungen). Und schließlich, in seiner Bedeutung fürs funktionierende Schreiben kaum zu überschätzen: Den Zugang zum Internet habe ich mir in der IJB, trotz wiederholter freundlicher Angebote, einfach nicht erklären lassen. Wenn ich hier schreibe, bin ich offline (für die von der Schule der Kinder gewünschte Erreichbarkeit habe ich mein über zwanzig Jahre altes Nokia-Tastenhandy dabei, mit dem man wirklich nur telefonieren und SMS schreiben kann und dessen Nummer außer Schule und Familie kaum jemand kennt).
Hier, am Katzentisch im Lesesaal der IJB, ist der größte Teil der Krabbenbrötchen entstanden. Und hier schreibe ich jetzt auch an meiner nächsten Geschichte.
Teil 24 | Gertrude Kiel | Was der Himmel uns erzählt

Wo schreibt Gertrude Kiel?
“Als ich beschlossen habe, das Schreiben zu meiner Vollzeitbeschäftigung zu machen, sagte mein Mann nicht, ich solle mir einen richtigen Job suchen, sondern baute stattdessen einen Schreibtisch für mich.
Wir leben mit unseren beiden Töchtern in einer Zweizimmerwohnung, daher ist es schwierig, hier einen „eigenen Raum für mich” zu finden, aber der Schreibtisch kommt dem schon recht nahe. Er steht in der Mitte des Wohnzimmers und hat kleine Regale für meine Bücher, Stifte, Hefte, etc. – sogar für meine Linolschnitt-Werkzeuge –, und kann dank einer cleveren kleinen Konstruktion aus Magneten geschlossen werden, sodass ich alle meine Sachen verstauen kann. Allerdings neigen die Dinge dazu, aus dem Tisch herauszuwachsen, und er wird nur selten zugemacht … Außerdem ist es manchmal schwierig, den Schreibtisch für mich zu haben – alle anderen lieben es auch, daran zu sitzen (wenn er nicht zu vollgestellt ist). Wenn ich arbeite, drehe ich den Sessel oft so, dass er zu den Fenstern zeigt – von dort aus hat man den besten Blick auf den Himmel über den Dächern. Oft fällt mir dann irgendwann aber auf, dass ich den Laptop die ganze Zeit auf den Knien hatte und nicht auf dem Schreibtisch, wo er hingehört.”
Teil 23 | Navid Kermani | Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen

Wo schreibt Navid Kermani?
“Nein, das ist leider nicht mein gewöhnlicher Schreibtisch. Sofern’s dem Himmel beliebt, bin ich jeden Sommer weg, um zu schreiben, am liebsten am Meer. Wesentliche Teile meiner Bücher entstehen dort. Wenn ich allein wäre (manchmal bin ich’s), würde mein Tag dann nur aus Schreiben, Lesen, Schwimmen und Essen bestehen, alles immer zur selben Zeit. Aber auch mit Menschen um mich herum verlaufen die Tage so gleichförmig wie irgend möglich. Seit ich Kinder habe, ist die beste Zeit zum Arbeiten ohnehin der frühe Morgen, wenn alle schlafen. Mal sehen, wie es ist, wenn die Kinder aus dem Haus sind, also ob ich dann wieder zum Nachtarbeiter werde. Das wäre eigentlich schade, denn dann hätte ich beim Schreiben die Aussicht nicht mehr wie jetzt. Andererseits habe ich nachts die Sterne und den Mond und die noch tiefere Stille. Vielleicht müsste ich einfach immer arbeiten, dann wär’s am Meer perfekt.”
Teil 22 | Claire Thomas | Die Feuer

Wo schreibt Claire Thomas?
“Ich habe ein kleines Atelier in einem Kulturzentrum in Melbourne, dem Abbotsford Convent. Mein Raum ist ein ehemaliges Nonnenschlafzimmer mit wunderschönen hohen Decken und vielen Bücherregalen. Das erste Foto zeigt den Blick aus meinem Fenster auf die Stadt Melbourne und einige der vielen Pflanzen, die ich hier habe. Ich verbringe Stunden damit, das Wetter durch dieses Fenster zu beobachten und mir all die Menschen in den Gebäuden vorzustellen. Das andere Foto zeigt meinen Schreibtisch. Mit meiner japanischen Pour Over Kanne bereite ich Kaffee zu: das einzige wirkliche Ritual, das ich beim Schreiben habe und das ich liebe. Ich habe viele Notizen, Listen, Bilder und Prosafragmente vor meinem Computer aufgehängt. All diese Dinge helfen mir, bei der Arbeit an meinem neuen Roman den Überblick zu behalten. Wenn ich in meinem Atelier bin, fühle ich mich geborgen, konzentriert und sehr, sehr glücklich.”
Teil 21 | Lea Draeger | Wenn ich euch verraten könnte

Teil 20 | Rocko Schamoni | Der Jäger und sein Meister

Das Weltall des King
“An diesem bescheidenen Plätzelein werden Universen geboren.”
Teil 19 | Hubert Achleitner | flüchtig

Von flüchtiger Ordnung
Das “Stuhl-Foto” links: “Flüchtig war auch die Ordnung auf dem Schreibtisch… nach dem Schreiben ist vor dem Schreiben – also Chaos.”
Das “Ziehharmonika-Foto” rechts: “So manches Kapitel ist auch hier entstanden – damals standen aber noch keine Ziehharmonikas herum, sondern Unterlagen, Skizzen, Landkarten…”
Teil 18 | Niklas Maak | Technophoria

Ein aufgegebener Schreibtisch
“Ich liebe leere Schreibtische. Leider hält sich dieser Zustand bei meinem Schreibtisch nicht lange, der Tisch wächst, egal, wie groß er ist, schneller als ein Dschungel mit allem Möglichem zu, mit aufgeschlagenen Büchern, Zetteln mit Notizen, alten Fotos, Zeitungsausrissen. Zu wissen, dass in irgendwelchen Kisten interessante Materialien lagern, die ich, weil ich sie nicht mehr sehe, vergessen habe, macht mich nervös; ich muss beim Schreiben alles nebeneinanderliegen haben. Wenn ich Dinge stapele, sinken die unteren Bücher und Zettel und Bilder sofort einem gefährlichen Vergessen entgegen, weswegen nur Zettel, die bereits verarbeitet wurden, in Kisten landen. Ich habe gedacht, mein Schreibtisch ist vielleicht einfach zu klein und mir einen größeren gekauft, aber auch der große Schreibtisch wucherte rasend schnell mit Auslagen voll, und an einem bestimmten Punkt wanderten die Papiere und Notizen und Materialien vom Tisch über hektisch aufgepflanzte Beistelltische bis hinunter auf den Boden und fluteten dort alles so gründlich, dass ich Probleme bekam, überhaupt bis zum Schreibtisch vorzudringen. Freunde, die Berufe haben, in denen man hauptsächlich telefoniert und keinerlei Papier benötigt, kamen vorbei und schüttelten den Kopf: Wie man in so einem Chaos arbeiten könne; dann, das Mobiltelefon triumphierend in die Luft haltend: Hier! Alles drin, was ich brauche! Aber die Dinge wucherten weiter durch den Raum, bis er nur noch auf Zehenspitzen zu durchschreiten war. Diesen Moment zeigt das Foto, das Tobias Heyl machte. In diesem Moment, als das Arbeitszimmer von Ideen und Materialien vollständig überwuchert war, beschloss ich, es zu verlassen und mir hinten in der Kammer einen sehr kleinen Schreibtisch aufzustellen. Wenn ich morgens mit dem Schreiben beginne, gehe ich ins überschwemmte Arbeitszimmer, nehme (wie jemand, der eine kleine Tasche fürs Wochenende packt) nur wenige Bücher, Bilder und Zettel mit, die ich zum Schreiben für den Tag brauche. Spätestens ein paar Stunden später gehe ich dann wieder nach vorn und untersuche die archäologische Landschaft, die sich dort ausbreitet, auf Ideen, die ich vergessen haben könnte. So gesehen zeigt das Foto gar nicht meinen Schreibtisch, sondern ein Lager, in dem unter anderem ein aufgegebener Schreibtisch begraben ist.”
Teil 17 | Jutta Bauer | Kater Liam

Ein Arbeitsplatz in einer großen alten Fabrik
“Mein Arbeitsplatz ist in einer großen alten Fabrik, wo früher Desinfektionsmittel hergestellt wurden. Ein großer Raum mit schönen alten Balken und hoher Decke und offener Küche. Wir teilen ihn zu dritt. Im ganzen Hof sind wir 18 Künstler in einer großen Ateliergemeinschaft. Außer uns gibt es dort noch das Kulturzentrum Goldbekhaus, ein Gartenrestaurant, eine Foodsaving Station. Unter mir ist die Kinderetage mit Babygruppen am Tag und afrikanischem Tanz z.B. am Abend. Also immer was los. Und selbst, wenn es bei mir oben ganz ruhig ist, -was ich natürlich brauche zum Arbeiten, spüre ich doch das Leben drumherum irgendwie.Illustration und Geschichten ausdenken ist eine einsame Arbeit. Deshalb ist es schön, wenn man für die Pausen Gesellschaft hat. Meistens kochen wir mittags was zusammen und danach trolle ich mich wieder an meinen Arbeitstisch mit dem Blick auf den Kanal. Das klingt nach Idylle, ist es auch,… aber keine gekaufte. So einen Platz könnte sich keiner von uns am Immobilienmarkt einfach kaufen oder mieten. Es gehört der Stadt Hamburg und wir haben die Erhaltung für die Kultur erkämpft vor mehr als 30 Jahren. Sonst gäbe es die Fabrik nicht mehr und hier wäre ein Glaskasten mit teuren Büros, einer Bank oder so. Deshalb bin ich auch etwas stolz darauf. Das ist mein Platz auf der Welt.”
Teil 16 | Peter Balko | Zusammen sind wir unbesiegbar

Writting in the nature
“I like to write outside: feel the wind and trees, drink coffee, listen to trains and (sometimes) black metal music.
I also write in my favorite cafes or in a cottage in Sitnianska Lehôtka. This photos come from an autumn garden next to my studio in Bratislava.”
Teil 15 | Anna Hope | Was wir sind

Ein Schuppen am Ende des Gartens
“Das ist ein Foto von dem Schuppen am Ende meines Gartens, wo ich meistens schreibe. Wir haben ihn gebaut, als wir vor ein paar Jahren in unser Haus gezogen sind. Der Schuppen ist auf einen kleinen Tümpel ausgerichtet und direkt daneben steht ein Rotdorn, den man auch auf dem Foto sieht. Im Frühling erblüht er in einem unglaublichen Pink. Außerdem sieht man diese kleinen Blumen mit den Hütchen im Vordergrund. Ich vergesse immer ihren Namen, aber irgendwie erinnern sie mich an „Ein Sommernachtstraum“. Es ist schön, im Frühling und im Sommer die Bienen zu beobachten, wie sie von Blüte zu Blüte fliegen. Im Herbst und im Winter wird es ein bisschen feucht, und der Weg, der vom Haus zum Schuppen führt, kann ein bisschen rutschig werden, aber ich liebe es, die heimatlichen Gefilde zu verlassen und dorthin zu kommen.
Hier habe ich den größten Teil von „Was wir sind“ geschrieben – am Morgen bin ich immer als Erstes mit meinem Kaffee zum Schuppen gegangen und dort habe ich dann vier Stunden am Stück gearbeitet, bis meine Tochter aus der Betreuung zurückkam. Es gibt einen fest installierten Computer, an dem ich am liebsten schreibe, und einen alten Arbeitstisch – das ist alles, neben einer kleinen Ölheizung und einem Teppich. Wenn ich in einem Manuskript stecke, pflastere ich die Wand mit Notizen. Ich mag es aufzublicken und zu sehen, wie ein Roman langsam Gestalt annimmt, und aus dem Fenster zu blicken und meine Phantasie schweifen zu lassen. Ich empfinde es als großes Privileg, solch einen friedlichen Ort zum Schreiben zu haben.”
Teil 14 | Karen Köhler | Miroloi

Hier ist mein Herzkopf
“Ich schreibe an unterschiedlichen Orten, für meinen Roman MIROLOI habe ich beispielsweise sehr viel in Griechenland recherchiert und mir dort immer eine abgelegene Taverne mit Blick aufs Meer zum Schreiben gesucht. Wenn ich ein Aufenthaltsstipendium habe, nehme ich aus meinem Arbeitszimmer Bilder und Karteikarten mit, die ich an den fremden Wänden aufhänge. Mein Arbeitsraum in Hamburg ist mein Herzstück. Er liegt außerhalb der kleinen Wohnung, die ich mit meinem Freund teile. Hier schreibe, nähe, bastele, male, zeichne, webe, nähe, klebe, sticke, stricke und häkele ich.
Für MIROLOI habe ich eine ganze Zimmerwand vollgehängt mit Fotos, Illustrationen, Fundstücken, Karten, Federn und Knochen. Die Wand ist mit dem Text gewachsen und irgendwann war sie völlig zugewuchert. An der übereckliegenden Wand hatte ich sehr streng eine 3-Akt-Struktur mit Karteikarten installiert. Für jede Strophe gab es eine Karte. Als Florian Kessler zum Lektorat nach Hamburg kam, habe ich ihn in meinen Arbeitsraum eingeladen, obwohl es ein sehr intimer Ort für mich ist. Als er das Zimmer betrat meinte er: Krass, ich habe das Gefühl, ich bin gerade in Deinem Kopf gelandet. Bittesehr: Hier ist mein Herzkopf.”
Teil 13 | Sandra Hoffmann | Das Leben spielt hier

Unordnung macht mich im Kopf ungeordnet
“Ich habe zwei Schreibtische, einen Stadtschreibtisch, das ist dieser kleine hier, und einen Landschreibtisch, der ist größer und schaut vollkommen ins Grüne. Manchmal kommen da Rehe vorbei. Einmal sogar ein Fasan. Vom Stadtschreibtisch aus sehe ich manchmal einen Zeppelin; als die Kirche mal ein Gerüst hatte, liefen darauf Arbeiter herum, als sei das gar nichts, auf so einem hohen Gerüst herumzulaufen. Ich finde das ist ziemlich was. Ich habe Höhenangst.
Meine Schreibtische sind nie leer. Wahrscheinlich weil ich mich auch nie leer fühle. Eher manchmal zu voll. Deshalb sind sie auch nie voll; und, weil Unordnung mich im Kopf ungeordnet macht.”
Teil 12 | Bettina Balàka | Die Tauben von Brünn

Unter Beobachtung
“Da ich eigentlich lieber in der freien Natur als am Schreibtisch bin, habe ich mir ein bisschen Natur an den Schreibtisch geholt. Ich glaube nicht, dass es allzu viele Schriftsteller gibt, die von sich behaupten können, bei ihrer Arbeit von einem Landeinsiedlerkrebs (oben rechts) und einer Dachmoschusschildkröte (man sieht sie aus ihrer im Wasser schwebenden Korkhöhle gucken) beobachtet zu werden. Natürlich beobachten wir uns wechselseitig, so kann auch ich Zeugin werden, wie die Schildkröte einen unaufmerksamen Fisch verspeist oder der Krebs ein neues Häuschen anzieht.
Mein Schreibtisch ist ein antikes Stück aus China (ein Geschenk meines Bruders) und hat eine magische Wirkung auf mich: Wenn ich an ihm sitze, bin ich sofort fokussiert. Mein Arbeitsgetränk ist grüner Tee, wahrscheinlich, weil ich als Teenager „Green Tea“ von Joseph Sheridan Le Fanu las und seither das Gefühl habe, dass dieses Getränk innere Augen öffnen kann. Die Katze ist sehr rücksichtsvoll und bringt nichts von meinen Büchern und Sächelchen durcheinander, ruht sich aber gerne auf dem Notebook aus.”
Teil 11 | Kurt Palm | Monster

Von willkommenen Ablenkungen
“Mein Wiener Schreibtisch hat eine Größe von 100 × 60 cm und das Schöne an diesem Schreibtisch ist, dass es draußen immer etwas zu beobachten gibt. Mindestens zweimal am Tag kommt beispielsweise unsere Hauskrähe Lucie vorbei und klopft ans Fenster, oder die Falken, die im Turm der Laurentiuskirche leben, ziehen ihre Kreise, und ab und zu lässt sich sogar ein Specht blicken. Das sind vor allem dann willkommene Ablenkungen, wenn mir nichts einfällt, was öfter der Fall ist, als mir lieb ist. Aber so ist das Leben. Oder zumindest so ähnlich.”
Teil 10 | Philipp Blom | Eine italienische Reise

Das Papier wächst auf rätselhafte Weise über alles
“Mein Schreibtisch, ein Möbelstück zum Arbeiten, der Ort, an dem ich einen Großteil meiner Zeit verbringe. Der Tisch selbst ist eine Antiquität, Ikea circa 1995, seitdem ständig im Gebrauch. Der Stuhl ist von ca. 1900 und viele Male repariert, nicht zu gemütlich, so schlafe ich nicht ein. Der gegenwärtige Zustand ist relativ aufgeräumt, normalerweise muss man Archäologie betreiben, um unter Papierstapeln etwas zu finden. Zwischen größeren Arbeitsvorhaben wird einmal gründlich aufgeräumt, dann ist es etwa 30 Minuten so, wie es eigentlich sein sollte. Dann wächst das Papier auf rätselhafte Weise wieder über alles.”
Teil 10 | Thomas Girst | Alle Zeit der Welt

Von der Gartenlaube zu Transatlantikflügen
“Tatsächlich ist ein Großteil von “Alle der Zeit der Welt” auf Transatlantik- und anderen Langstreckenflügen entstanden. Es ist unglaublich wenn einen zehn Stunden lang maximal der neugierige Sitznachbar nerven und man sonst vollends ungestört arbeiten kann. Aus Brooklyn hatte ich zwar 2003 meinen herrlichen Schreibtisch aus den 1930er Jahren nach München mitgebracht, an dem ich viele meiner Bücher geschrieben habe. Dieser befindet sich in unserer Gartenlaube, wo ich meinte, mich einen Steinwurf von meiner Familie entfernt der Literatur widmen zu können. Woraus nichts wurde. Das kleine Häuschen ist leider unbegehbar, da es vom Wohlstandsmüll überquillt, den drei Kinder mit sich bringen.”
Teil 9 | Marko Dinić | Die guten Tage

Das ist nicht mein Arbeitsplatz ...
“Der Schreibtisch in meinem Zimmer, der hier auf dem Foto abgebildete Schreibtisch, ist nicht mein Arbeitsplatz. Da in der Bibliothek im Wiener Rathaus, in der ich normalerweise schreibe und arbeite, das Fotografieren verboten ist, müssen sich die Leserinnen und Leser mit diesem unaufgeräumten Bild begnügen. Der Vorzug der heimischen Bibliothek mag sich gegenüber der Arbeit nicht so recht einstellen, wenn sich im selben Raum auch gleich das Bett befindet, welches schließlich öfter frequentiert wird als der gutbegrünte Schreibtisch.
Für die konzentrierte Arbeit bedarf es eines Arbeitsweges oder zumindest einiger mit Tram und U-Bahn hinter sich gebrachter Kilometer, die einem einen Arbeitsweg, den andere durch ihre geregelten Arbeitszeiten jeden Morgen mit einer beinahe verschämten Selbstverständlichkeit gehen, vorgaukeln. Und mit jedem hinter mir gebrachten Kilometer, jedem verschmitzten Guten Morgen, das ich dem Feuerwehrmann am Eingang des Rathauses entgegenwerfe, jeder Fahrt mit dem hauseigenen, sich träge nach oben schleppenden Paternoster, mit jedem Kaffee und mit jeder Zeitung, die ich mir im Vorraum der Bibliothek tagein tagaus teilweise Stundenlang, ohne auch nur den Ansatz eines Drucks zu verspüren, einverleibe, werde ich mir wieder jener ungeheuren (ach, unerhörten!) Tatsache bewusst, nicht viel mehr vorweisen zu können als dieses Privileg, mich Schriftsteller schimpfen zu dürfen.
Das obige Foto zeigt nicht meinen Arbeitsplatz, es zeigt meinen Wohnraum, einen Hort für Dinge, die außer mir keiner braucht — meine Buchstadt. Mein Arbeitsplatz, da er nicht fotografiert werden darf, muss sich mit den mageren Substantiven begnügen, die ich für ihn hervorgekramt habe, Substantive wie: Prunk, Bürgermeister, Hof, Melancholie, Radiatorenhitze, Archiv oder Zigarettenpause.”
Teil 8 | Ernst Paul Dörfler | Nestwärme

Mein luftiger Schreibtisch
“Die besten Ideen, die trefflichsten Formulierungen fliegen mir entgegen: Beim forschen Gehen durch die Aue, beim Radfahren durch Heide, beim Schwimmen durch den Fluss. Diese Einfälle – oder sind es Eingebungen? – müssen alsbald festgehalten werden, sie verschwinden sonst im Nirwana. Mein künstliches Gedächtnis, auch Laptop genannt, ist immer dabei – naja, fast immer, beim Schwimmen wartet er am Ufer. Als “Schreibtisch” bieten sich viele Möglichkeiten unter freiem Himmel: Ein waagerechter, starker Ast einer uralten Weide in passender Höhe kann als Schreibpult herhalten oder ich lasse mich auf dem weichen Waldboden nieder, lehne mich gegen einen extra dicken Baumstamm, möglichst mit Ausblick und tippe drauflos. Die Eichen-Bänke und -Tische am Elbe-Radweg sind schon die Luxus-Ausführung. 400 Schritte habe ich bis dahin zu gehen, mein klimaneutraler Arbeitsweg.
Langes Stillsitzen war mir schon als Kind ein Graus, eine Art Strafe. Der will ich immer noch entfliehen. Ich zwinge mich nicht zum Schreiben im Sitzen am wohlgeordneten, stationären Schreibtisch. Disziplin und Kreativität sind für mich Gegenspieler wie Pflicht und Kür. Sobald die Worte nicht mehr so recht sprudeln wollen, laufe ich spontan los, atme tief durch und kurbele meinen Kreislauf an. Meine Gehirnzellen freuen sich über die Luftdusche und – wenn ich Glück habe – spenden sie bald neue Einfälle.”
Teil 7 | Jean-Philippe Blondel | Ein Winter in Paris

Ich erwarte Sie!
Jean-Philippe Blondel lädt Sie ein zu einer gemeinsamen Reise – ausgehend von seinem Schreibtisch zu seinem neuen Romanhelden in einen Winter in Paris:
“Liebe deutschsprachige Leserinnen und Leser, vielen Dank dafür, dass Sie Victor durch diesen Winter in der Hauptstadt begleiten wollen. Er braucht Sie. Er erwartet Sie. Kommen Sie? Ich begleite Sie!”
Teil 6 | Michael Ondaatje | Kriegslicht

Verlorene Karrieren
Michael Ondaatje hat uns dieses Foto seines Schreibtischs mit den schlichten Worten “August Desk” geschickt. Und dann kam dieser schöne Text über verlorene Karrieren hinterher, der vermutlich an eben diesem Schreibtisch entstanden ist.
“Zwei Möglichkeiten boten sich mir als Halbwüchsigem: was ich nach Meinung anderer werden würde oder werden sollte und was ich selbst werden wollte. Einmal im Jahr kamen Berufsberater in meine Schule in England, unterhielten sich mit jedem Schulabgänger eine halbe Stunde lang und eröffneten ihm eine Woche später, wofür er geeignet war. Mir sagte man, ich sollte Zollbeamter werden. Es gab viele Berufsvorschläge, als ich meinen Schulabschluss machte – manche Jungen waren berufen, Minister zu werden, Unternehmer, Schriftsteller, Geschäftsleute, Zeitschriftenredakteure, Stückeschreiber, Architekten, Anwälte –, und ich war der Einzige, dem diese Karriere nahegelegt wurde. Das war meine Nische. Wenn ich heute durch den Zoll gehe und vor der roten Linie stehe, ergreift mich tiefes Schuldgefühl. Es ist der Beruf, den ich verschmäht habe. Auch wenn Künstler wie Herman Melville und Henri Rousseau diesen noblen Beruf ergriffen haben – ich habe mich ihm entzogen.
Die andere Alternative – was ich selbst werden wollte – änderte sich beständig, aus Mangel an Begabung und an Fähigkeiten: Ich wollte ein Pianist wie Fats Waller werden und/oder ein Illustrator von Abenteuerbüchern (mit vielen Schwarzweißbildern und ein paar Farbtafeln, wie im Werk von N.C. Wyeth). Stärker jedoch war immer der Wunsch, mich zu verwandeln und eine „Karriere“ als Tier, zum Beispiel als Vogel, anzustreben.An dieser kindlichen Phantasie hielt ich viel zu lange fest, und noch als meine Kinder schon groß waren, wünschte ich mir beim Aufwachen, ich wäre eine Krähe oder ein Jagdhund.
(Das schönste Kompliment, das ich je bekam, war die Feststellung von Gabriel Yareds Frau, ich würde wie ein Wolf tanzen.)
Das Tier, das ich als Junge am liebsten gewesen wäre, war ein Dachs. Der Dachs. Bestimmt wünschte ich mir das nach der Lektüre von „Der Wind in den Weiden“, und selbst jetzt noch stelle ich mir vor, das gesellschaftliche Umfeld eines „literarischen Lebens“ sollte nach dem Vorbild einer Gemeinschaft modelliert sein, wie sie in diesem Buch existiert, vielleicht mit ein paar mehr weiblichen Wesen.
Aber Jazzpianist und Buchillustrator lagen näher. Trotzdem weiß ich sogar heute noch, wenn ich einen Hasen in einem Feld sehe, dass es das andere, ungelebte Leben gibt.”
Aus dem Englischen von Anna Leube.
Teil 5 | Anton Badinger | Zwei unter einem Schirm

Ich verfolge eine rigorose clean desk policy
“Lange habe ich gedacht, dass man nur in der Ferne schreiben kann. Ich habe mit anderen Autoren darüber gesprochen und weiß, dass diese Überzeugung ziemlich verbreitet ist. Es geht wohl um die Sehnsucht, schreibend in eine Welt einzutreten, die so rein ist wie ein weißes Blatt Papier. Daraus folgt allerdings ein Dilemma, das ich die “Aporie der Ferne” nennen möchte: Ist man erst dort, wird die Ferne zur Nähe, und prompt stellen sich typische Näheprobleme ein – nachbarschaftlicher Lärm, quietschende Fensterflügel, Kofferradios.
Nach einem nervtötenden Schreiburlaub in einem Dreisternehotel an der oberen Adria kam mir der Gedanke, dass meine Sehnsucht nach der Ferne vielleicht bloß eine Ausrede ist. Eine raffinierte Form von Faulheit. Danach bin ich dazu übergegangen, mir bloß vorzustellen, ich sei beim Schreiben woanders. Wenn man Figuren und Geschichten erfindet, sollte man auch in der Lage sein, sich die Ferne einfach auszudenken. Seither schreibe ich meine Texte dort, wo ich meine Mahlzeiten einnehme, die Buchhaltung mache und auch sonst fast alles erledige, was so anfällt – an meinem Allzwecktisch. Um meiner Einbildungskraft auf die Sprünge zu helfen, verfolge ich eine rigorose clean desk policy (CDP), das heißt, ich räume den Tisch zu Inspirationszwecken zwischendurch immer wieder komplett leer. Tabula rasa! Das hat auch den Vorteil, dass ich von meinen Mitmenschen inzwischen für äußerst ordentlich gehalten werde. Es muss ja niemand in die Schubladen schauen.”
Teil 4 | Matt Ruff | Lovecraft Country

Vielleicht etwas unordentlich, aber tatsächlich ist es gerade gar nicht so schlimm
“So sieht mein Schreibtisch derzeit aus.
Die Tischplatte ist eine massive Holztür, die ich in den 1990ern selbst gebeizt und lackiert habe. Ursprünglich wurde sie von zwei Sägeböcken getragen, die ich später durch Schubladenschränke ersetzt habe und dann durch die offenen Regale wie auf dem Foto.
Der Schreibtisch sieht vielleicht etwas unordentlich aus, aber tatsächlich ist es gerade gar nicht so schlimm. Alle paar Monate räume ich das angesammelte Papier und anderen Krempel weg, zum Staubwischen, und dann fange ich wieder an, Zeug anzuhäufen. Ich habe erst vor kurzem alles abgestaubt; was man hier sieht, ist das Durcheinander nach einer Woche.
Das Wichtigste auf dem Schreibtisch, abgesehen von dem Computer, auf dem ich schreibe, ist meine riesige Hahnentasse, in die ein halber Liter starker Kaffee passt.
Zu den Büchern, die sich auf dem Drucker stapeln (sowohl solche, die ich für die Arbeit brauche, als auch solche, die ich zum Vergnügen lese), gehören: das Merriam-Webster Dictionary of English Usage, die 16. Auflage des Chicago Manual of Style, Edwin Williamsons Borges: A Life, Bradley K. Martins Under the Loving Care of the Fatherly Leader: North Korea and the Kim Dynasty, John Crowleys Love & Sleep, Colleen Mondors The Map of My Dead Pilots, Lacy M. Johnsons The Other Side: A Memoir, T.E.D. Kleins Dark Gods und Julian Dibbells Play Money: Or, How I Quit My Day Job and Made Millions Trading Virtual Loot. Außerdem liegt da ein sehr, sehr altes Computerspiel, ein Godzilla-Abklatsch namens Crush, Crumble and Chomp!, das irgendwann mal auf meinem Schreibtisch gelandet ist, während ich in einer anderen Ecke des Büros saubergemacht habe.”
Teil 3 | René Freund | Ans Meer

Es gibt keinen besseren Arbeitsplatz
“Ich liebe meinen Schreibtisch und kann mir keinen besseren Arbeitsplatz vorstellen. Unordnung sehe ich nicht gerne, deshalb lasse ich sie in den Laden verschwinden. Vor meinem Fenster stehen Obstbäume auf der Wiese, und in meinem Rücken befindet sich die Küche. So kann ich gleichzeitig schreiben und mein Süppchen kochen.”
Teil 2 | Hans Maarten van den Brink | Ein Leben nach Maß

Man braucht ja so wenig zum Schreiben
“Mein Schreibtisch soll immer vor einem Fenster stehen, er soll weiß und ziemlich leer sein, aber doch groß. Also lieber drei als zwei Meter lang.
Ich habe zur Zeit drei solcher Tische. Der kleinste steht in Berlin; dort gucke ich auf einen Innenhof. Von den zwei großen befindet sich einer in Amsterdam (mit Blick auf eine stille Straße, wo alle Häuser aus dem 19. Jahrhundert stammen) und der andere in einem winzigen Ort in den Französischen Ardennen, wo ich durch die Fenster nur Wiesen und Wälder sehe.
Dort steht das Fernglas bereit für den Fall, dass ein Reh oder Wildschwein vorbeikommt, aber leider ist das noch nicht passiert; diesen Tieren begegne ich nur auf meinen Spaziergängen. Darum habe ich immer ein Meisenbällchen vor dem Fenster hängen, als gesunde Alternative für das Twittervögelchen, das mich auch immer wieder von der Arbeit ablenkt.
Jeden Morgen, bevor ich anfange zu schreiben, putze ich die Tischplatte schön sauber, und oft im Laufe des Tages noch ein oder zwei Mal. Durch Flecken oder Brotkrümel lasse ich mich nicht gern von der Arbeit abhalten.
Das Alles hört sich jetzt ein bisschen präzios an, aber ist es nicht – es ist einfach ein kleiner Luxus, den ich mir jetzt gönne. Man braucht ja so wenig zum Schreiben. Auf gewisse Papiersorten oder kostbare Füllfeder stehe ich zum Beispiel nicht. Und eigentlich kann man es auch überall machen.
Aber besser nicht an dem genauen Ort über welchen man gerade berichtet, ist meine Erfahrung. Also: Den sehr holländischen Roman ‘Ein Leben nach Maß’ habe ich vornehmlich in Madrid geschrieben, eine Geschichte, die in Frankreich spielt, vor kurzem in Berlin, und eine Erinnering an eine Schiffstour auf dem Rhein kam mal in Vietnam zu Stande. Was das bedeutet? Vielleicht braucht man neben Konzentration auch immer eine gewisse Distanz.
Der Tisch sollte übrigens auch nicht zu wackelig sein, bemerke ich gerade.”
Teil 1 | J. Courtney Sullivan | All die Jahre

Das Zentrum meines Lebens
“Als ich meinen Job bei der New York Times kündigte um als freie Schriftstellerin zu arbeiten, hat mir mein Mann einen wunderschönen Arbeitstisch gekauft. In unserer ersten Wohnung war er in eine Ecke unseres Schlafzimmers gequetscht; der einzige Ort, an dem er Platz hatte. Dann sind wir nach Brooklyn übersiedelt, in eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern im dritten Stock eines Backsteingebäudes aus dem 19. Jahrhundert, in einer ruhigen Straße mit einer Allee von Bäumen: Das zweite Schlafzimmer wurde mein Arbeitszimmer. Es war aufregend, ein Büro zuhause und ganz für mich allein zu haben. Ich stellte den Arbeitstisch vor das Fenster und meine großen schwarzen Bücherregale an die Wand gegenüber. Mit der Zeit kam ein bisschen mehr dazu, aber der Raum schien immer zu groß für seinen Zweck zu sein. Dann wurde ich schwanger.
Einige Monate später kam jemand vorbei, um Fotos von mir an meinem Arbeitsplatz zu machen. Auf diesen Fotos konnte man meine Bücherregale sehen, die bald von einem Baby-Bett ersetzt werden sollten. Meine Lieblingsbücher auf dem Fensterbrett waren früher stets auf beiden Seiten von Kranichen aus Papier flankiert. Jetzt standen dort bunte Kinderbücher, die von Buchstützen in Elefantenform gehalten wurden.
Mein Arbeitstisch steht noch immer in der Fensternische, obwohl ich dort nicht mehr viel schreibe. Er ist mittlerweile eher der Ort, an dem Bücher landen, die auf Empfehlungen von mir warten, Rechnungen, die bezahlt werden, und Briefe, die beantwortet werden sollten. Heutzutage bin ich ein Nomade mit einem Laptop, jeden Morgen auf der Suche nach einem ruhigen Ort, an dem ich allein bin. Doch der Anblick meines Schreibtischs, wenn ich mitten in der Nacht mein Baby schaukle, erinnert mich jedes Mal daran, dass Schreiben immer das Zentrum meines Leben war, und es bleiben wird, was auch immer sich ändern mag.”