5 Fragen an ... Christina Wessely

5 Fragen an ... Christina Wessely

Liebe Christina Wessely, Sie haben einen aufrichtigen, sehr bewegenden und trotzdem äußerst humorvollen Text über eine Mutter nach der Geburt ihres ersten Kindes geschrieben. Wie fühlt sich Ihre Erzählerin in der ersten Zeit mit Baby?
Zunächst ist sie natürlich müde und körperlich angeschlagen. Aber schlimmer noch ist die psychische Erschöpfung. Die große Freude über die Geburt ihres Sohnes will sich nicht einstellen, stattdessen hat sie das Gefühl, ihr altes Leben – ihr altes Ich – verloren zu haben. Zudem fühlt sich diese gerade erst zur Mutter gewordene Frau sehr alleine, verlassen und verraten von ihren Freundinnen und Bekannten, deren Glückwünschen zur Geburt des Babys so gar nicht zu ihrer eigenen Gefühlslage passen: Von „zauberhaften“ ersten Wochen ist da die Rede, von der „wundervollen Zeit“ des gegenseitigen Kennenlernens. Von den Schmerzen, dem Gefühl der Fremdheit und des Verlusts spricht hingegen keiner. Alle gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie „überglücklich“ ist. Mit diesen Reaktionen stellen sich schließlich auch Zweifel ein, wächst die Angst der Erzählerin, nicht „normal“ zu sein: Denn offenbar schaffen es alle anderen, die Geburt ihres Kindes als reines Glück zu empfinden – nur eben sie nicht.

Trotzdem nimmt das Umfeld der Erzählerin die Lage erst einmal nicht so richtig ernst – oder ist es die Mutter selbst, die sich nicht eingestehen kann, dass es ihr nicht gut geht? Woran liegt das?
Einerseits liegt das sicher daran, dass die fundamentalen Fragen, die sich mit der Geburt eines Kindes stellen und die daraus resultierenden Zweifel, die sich zu einer tiefen Traurigkeit steigern können, verniedlichend als baby blues bezeichnet werden. Sie werden also gerade nicht als notwendige, wichtige, verständliche Fragen aufgeklärter, emanzipierter Frauen verstanden, sondern als Ausdruck einer kleinen, nicht weiter besorgniserregenden Pathologie abgetan. Aber noch wichtiger ist die Tatsache, dass diese junge Mutter den Fehler immer bei sich sucht: Die Traurigkeit, die Einsamkeit, das Gefühl, das Kind gar nicht zu kennen und ihm wie eine Fremde gegenüberzustehen, ordnet sie als persönliches Scheitern ein. Sie selbst scheint das Problem zu sein, ihre Gefühle scheinen falsch und unangemessen, und nicht die gesellschaftlichen Erwartungen, die festlegen, wie eine „richtige“, „normale“ Mutter zu denken und zu fühlen hat.

Liebesmühe“ ist dennoch überhaupt kein niederschmetternder Text – im Gegenteil, er hat etwas sehr Ermächtigendes. Was hilft der Erzählerin?
Ja, es war mir wichtig, deutlich zu machen, dass man als Mutter diese sozialen Erwartungen nicht passiv erdulden muss, sich ihnen nicht unterwerfen muss: Die Erzählerin – und dieser Aspekt ist tatsächlich sehr autobiografisch, weil ich nicht nur selbst als Frau und Mutter, sondern eben auch als Historikerin schreibe – wird sich Schritt für Schritt bewusst, dass zeitgenössische Vorstellungen von „normaler“ Mutterschaft, von Mutterliebe und Kindererziehung gesellschaftlich gemacht sind und einem historischen Wandel unterworfen sind. Kurz: Dass all diese Ideen nicht naturgegeben sind, wie das oft behauptet wird. Sobald die Erzählerin das verstanden hat, kann sie damit besser umgehen und ist in der Lage, sich davon zu emanzipieren. Ein Grund dafür, dass der Text als ermächtigend wahrgenommen wird, liegt aber, wie ich hoffe, auch am Humor, der die Geschichte durchzieht. Denn die Erzählung erkundet die Ideologien zeitgenössischer Mutterschaft nicht – oder nur sehr am Rande – in Form theoretischer Reflexionen, sondern begibt sich an die Orte, an denen „richtige“ Mutterschaft heute eingeübt wird: In Rückbildungskurse, in denen „Mama-Königinnen“ trainieren, in Küchen, in denen vor lauter ökologischer Babyfürsorgepflichten noch mehr unter Druck gesetzte Frauen baby-led-weaning praktizieren, in Mütterberatungsstellen mit uterusfarbenen Wänden, in Babyshops, in denen ihr vor lauter mauve- und salbeifarbenen Naturfasern ganz schwindelig wird. Diese ganze Einübung der perfekten Mutterrolle hat einfach auch etwas sehr Komisches, das wollte ich zeigen.

Sie erzählen eine sehr persönliche Geschichte und schreiben trotzdem in der 3. Person. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
In Liebesmühe habe ich auch eigene Erfahrungen verarbeitet, es wäre also durchaus naheliegend gewesen, in autobiografischer Absicht „Ich“ zu sagen. Ich wollte die Geschichte aber ganz bewusst nicht als (m)eine individuelle Geschichte erzählen, sondern auf das Allgemeine daran hinweisen. Deshalb haben die Figuren auch keine Namen, sondern treten als Typen auf: Die Erzählerin wird nur „sie“ genannt, es gibt „die Freundin“, „den Vater des Kindes“, „die Schwiegermutter“ etc. Darüber hinaus schien mir die 3. Person aber auch deshalb richtig, weil das „Ich“ der Erzählerin so brüchig geworden ist. Sie erkennt sich nicht mehr, sie weiß nicht mehr, wer sie „eigentlich“ ist und wer sie geworden ist. Sie versucht zunächst, ihre Erlebnisse und Gefühle in der 1. Person niederzuschreiben, das klappt aber nicht. Im Buch heißt es dazu: „Der Wechsel in die dritte Person ist wie eine Erlösung, lässt er sie vor sich selbst doch immerhin als die Fremde dastehen, als die sie sich empfindet.“

Die Geschichte Ihrer Erzählerin zeigt auch, dass Frauen in vielen Lebensbereichen nicht nur unglaublichem Druck und unerfüllbaren Erwartungen gegenüberstehen, sondern auch mit völlig rückwärtsgewandten Vorstellungen konfrontiert sind. Kann man von einem antifeministischen Backlash sprechen?
Ja, ich glaube das ist durchaus richtig, ich würde aber eher von einem antiempanzipatorischen Backlash sprechen, weil sich die ideologische Situation so darstellt, dass Frauen – in diesem Fall Mütter – paradoxerweise an der Beschränkung ihrer eigenen Freiheit selbst mitwirken. Die französische Philosophin Elisabeth Badinter hat diese Konstellation sehr überzeugend in Zusammenhang mit dem, was sie „ökologische Mutterschaft“ nennt, in Zusammenhang gebracht. Die Rückbesinnung auf die Natur scheint heute die zentrale Dynamik in der Kinderfürsorge (und damit verbunden im Verständnis von guter Mutterschaft) zu sein. Dabei werden nicht nur Gefühle naturalisiert, allen voran die Mutterliebe, die gegenwärtig als eine der Frau gleichsam angeborene biologische Tatsache verstanden wird, sondern auch Praktiken der Kinderfürsorge: Das Bonding und die sogenannte bedürfnisorientierte Erziehung, sehr langes Stillen, danach baby led weaning, der Verzicht auf Wegwerfwindeln – all das sind im Grunde ideologische Gebote im Namen der Natürlichkeit, die als solche gar nicht auffallen, weil man ja überzeugt ist, wirklich das Beste für das eigene Kind und die ganze Welt zu tun. Das Problem ist nur, dass sie mit enormem Zeitaufwand verbunden sind, den in allererster Linie Frauen leisten: Weil sie ohnehin für gleiche Leistung weniger verdienen als Männer und daher eher zu Hause bleiben, aber auch, weil sie „Mutter Natur“ vermeintlich näherstehen. Mein Buch ist aber keine Kampfschrift – es geht mir eher um eine Darstellung der Paradoxien und Widersprüche, die den Alltag von Müttern in unserer Gegenwart prägen.

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