5 Fragen an ... Aris Fioretos

5 Fragen an ... Aris Fioretos

Lieber Aris Fioretos, erzählen Sie uns von Ihrem neuen Roman! Was hat Sie inspiriert?
Es muss 1976 gewesen sein, ich war damals sechzehn Jahre alt. Zu jener Zeit lief am späten Sonntagabend im Schwedischen Radio eine Sendung mit dem Titel „Daheim bei". Eines Abends spielten die beiden Äther-Anarchisten, die die Sendung machten, eine unbekannte Band aus New York. Die Gruppe war Television, die Debüt-Single, die sie gerade veröffentlicht hatte, hieß „Little Johnny Jewel". Ich war wie elektrisiert. Am nächsten Tag tauschte ich schwedische Kronen gegen Dollar und schickte das Geld an das unbekannte Label Ork Records. Ein paar Wochen später war ich glücklicher Besitzer einer Platte mit blutrotem Etikett. Seither habe ich Televisions Alben tausende Male gehört. Ihre Musik war die erste, die mich erkennen ließ, dass in der Kunst Dinge kombiniert werden können, von denen ich geglaubt hatte, sie passten nicht zusammen: Coolness, Nerven, Transzendenz. Der Roman ist mein verspäteter Dank an die Band.

Wer ist die Hauptperson Ache Middler?
Geboren 1949 in Delaware. Zwilling und dennoch einsam. Früher Kenner von Gewittern und Feuer. Nicht an Drogen interessiert, aber offen für andere Formen der Bewusstseinserweiterung. Liebhaber von Poesie und „perfekter Vernunft". Bewohner von Alphabet City am südöstlichen Rand von Manhattan. Frontmann und Gitarrist bei Transmission. Der Zusammenhalt zwischen ihm und der übrigen Band zerbricht bald, denn Ache möchte seine künstlerische Vision jenseits kommerzieller Einschränkungen verwirklichen. Erst viele Jahre später wird ihm klar: Kunst braucht nicht nur Freiheit, sondern auch menschliche Bindung.

Ache streift in seinem Leben einige Metropolen. Jede von ihnen stellt einen besonderen Abschnitt dar und jede steht für die Liebe zu einer Frau. Wer sind diese Frauen?
Dreimal erlebt er eine Leidenschaft, die seinen Drang zur Kunst strittig macht – zuerst mit Trish Kelly in New York, die wie Ache Rock und Poesie vereinen will, danach mit Edie Ried in London, die Probleme mit den Augen hat und immer eine Sonnenbrille trägt, schließlich mit der deutsch-türkischen Künstlerin Ona Onder in Berlin, die er Why nennt und ohne die er, wie ihm klar wird, nicht leben kann. Ache begeht viele Fehler, fast immer, weil er das Gefühl hat, seine Unabhängigkeit wird bedroht. Erst nach einem schweren Irrtum spät im Leben, der die Handlung des Romans auslöst, versucht er wiedergutzumachen, was er anderen aufgebürdet hat.

Die dünnen Götter, wer sind sie?
Einerseits ist eine frühe Rezensentin von Transmission der Ansicht, die Mitglieder seien „dünnen Göttern gleich". Sie meint wohl, dass sie von der schlaksigen Sorte sind, die Gliedmaßen wie Lakritzstangen haben. Andererseits sagt Aches jüdische Großmutter kurz vor ihrem Tod zu ihrem Enkel, dass Menschen, die man liebt, aber verliert – Verwandte, Freunde, Partner – nicht einfach verschwinden, sondern die Lebenden weiterhin begleiten. Manchmal spüre man sie an den Schläfen, flatternd. Möglicherweise sind die Figuren im Titel des Buchs etwas von beidem.

Mit Ihrem Protagonisten verbindet Sie die Suche nach künstlerischem Ausdruck, er in der Musik, Sie in der Literatur. Wie persönlich ist der Roman?
Die Romane, die ich bisher geschrieben habe, weisen nicht viel Gemeinsames auf, außer der Tatsache, dass ich dazu neige, mich für Erfahrungen von Anderen zu interessieren – wie etwa Schwangerschaft oder gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen. Gut möglich, dass von kultureller Aneignung gesprochen werden könnte. Persönlich glaube ich allerdings, es geht eher um den Wunsch, aus seiner eigenen Haut zu kommen, und sei es auch nur stellvertretend. Ich empfinde es als eine erquickende Befreiung, über Menschen mit fremden Voraussetzungen zu schreiben. Ich lerne aus Überzeugungen und Beweggründen, mit denen ich nicht vertraut bin, wesentlich mehr über die Welt. Solange ich mich erinnern kann, wollte ich einen Künstlerroman schreiben. Er sollte aber nicht von Ausdrucksformen handeln, die mir bekannt sind. Weil also weder Literatur noch bildende Kunst in Frage kam, blieb nur die Musik übrig – genauer genommen: die Rockmusik. Ich wollte wissen, was alles passieren könnte, wenn ein Dasein der Kunst untergeordnet, ja, zu Kunst wird. Ist Einsamkeit der Preis für Unabhängigkeit? Ist es in einer Gattung, die die Jugend feiert, möglich zu altern, ohne in seiner Haltung zu erstarren? Wie bleibt man während eines Lebens im Dienst der Musen offen und empfänglich und damit verletzlich? Gut möglich, dass die 60+ Jahre, die wir Ache durch die Welt folgen, auch ein Porträt einer Ära zeichnen – vom Vinyl des anno dazumal bis zu den heutigen Streamingdiensten, von den Gegenkulturen der Sechzigerjahre bis zur Flüchtlingskrise unserer Zeit. Ob ich es möchte oder nicht, dies ist auch meine Zeit.

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