5 Fragen an ... R.J. Palacio

5 Fragen an ... R.J. Palacio

Liebe R.J. Palacio, dieses Buch unterscheidet sich sehr von Ihren bisherigen Büchern, die alle im Wunder-Universum angesiedelt waren. Warum nun also Pony?
Mein Sohn hatte einen sehr, sehr lebhaften Traum über ein Kind mit einem halb roten Gesicht, und ich dachte mir: Das ist ein wirklich gutes Bild. Es blieb hängen und ließ mich nicht mehr los. Vor etwa acht Jahren habe ich angefangen, an einem ersten Entwurf zu arbeiten. Damit habe ich zwei Jahre verbracht. Ich hatte dann ein 400 Seiten langes Manuskript, und mir wurde klar, dass es einfach nicht funktionierte. Das war nicht das Buch, das ich schreiben wollte. Das Schreiben langweilte mich, und ich dachte mir, wenn ich mich schon selbst langweile, werden sich auch meine Leser:innen langweilen. Ich wollte das Manuskript wirklich retten, immerhin steckte so viel Arbeit darin, aber letztendlich war es nicht zu retten. Also habe ich es weggeworfen und lange geweint. Ich wusste nicht, ob ich je wieder darauf zurückkommen würde. Es war herzzerreißend. Es hat mich wirklich fertig gemacht, zwei Jahre Arbeit einfach so wegzuwerfen. Ich wusste schon länger, dass ich den falschen Weg genommen hatte, wusste aber auch nicht genau, wie ich den Kurs noch hätte ändern können. Ich hatte schon früh eine falsche Richtung eingeschlagen, was das Erzähltempo und einfach alles anging. Am Ende gab es nichts mehr zu retten, und ich hatte Angst, noch einmal neu anzufangen. Aber die Figuren blieben. Sie waren in meinem Kopf und sagten: „Erzähl meine Geschichte" – sie wollten mich einfach nicht loslassen. Dann, während des Corona-Lockdowns, gab es diesen Moment, in dem ich dachte: Okay, ich glaube, ich bin bereit. Und ich fing an zu schreiben und hörte nicht mehr auf. Ich meine, ich schlief, ich aß, aber im Grunde habe ich einfach immer weitergemacht. Ich glaube, ich habe das Ganze in sechs Wochen oder zwei Monaten oder so geschrieben. Der neue Entwurf sprudelte nur so aus mir heraus. Das war wirklich die beste Schreiberfahrung, die ich je hatte, denn es war einfach so boomm.

Für Schriftsteller:innen muss es ziemlich schwierig sein, ein Projekt, an dem man lange gearbeitet hat, beiseitezulegen, weil man, wie Sie bereits sagten, keine Ahnung hat, ob man je darauf zurückkommen wird oder was als Nächstes kommt. Wie haben Sie diese Zweifel überwunden und weitergemacht?
Ich komme aus dem Kunstbereich. Ich war an der Parsons School of Design und hatte diesen Zeichenkurs für lebensgroße Figuren. Ich erinnere mich, dass ich einmal diesen Kerl zeichnete, und ich zeichnete die perfekteste Hand. Ich hatte echt das Gefühl, Rembrandt wäre nichts dagegen! Und dann habe ich angefangen, den Rest der Figur zu zeichnen, aber es klappte nicht. Ich weiß noch, wie mein Lehrer sagte: „Das ist eine schöne Hand", und ich sagte: „Danke, aber den Rest kriege ich nicht hin." Und er sagte: „Ja, du musst die Hand loswerden." Das war mir eine Lektion: dass man manchmal seine Lieblinge töten muss, sozusagen. Ich wusste einfach, dass dieses Manuskript nicht das war, was ich schreiben wollte. Und das war schmerzhaft. Aber die Zeit ist in gewisser Weise ein ausgezeichneter Bäcker – ich weiß nicht, ob das die richtige Metapher ist – aber manchmal muss man die Dinge einfach eine Weile im Kopf und in der Seele backen lassen, bis sie bereit sind, herauszukommen. Und ich glaube, genau das ist bei diesem Projekt passiert.
Pony spielt quasi im Wilden Westen, für das Buch ist also sicherlich eine Menge Recherche notwendig gewesen, von den gesellschaftlichen Gepflogenheiten Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zu den frühen Fotoapparaten, die Silas' Vater verwendet. War es schwierig, so viel Rechercheaufwand zu betreiben?
Die Recherche für dieses Buch hat tatsächlich sehr viel Spaß gemacht. Ich habe sogar einen Kurs über Kollodium-Nassplattenfotografie belegt. Ich liebe die frühen fotografischen Verfahren und sammle Daguerreotypien und alte Fotografien und solche Dinge, seit ich ein Teenager war. Diese ganze Thematik – der Wettlauf um die ersten Fotografien des Mondes, der Wettlauf um die Entwicklung verschiedener fotografischer Verfahren – all das war ziemlich spannend. Sogar das Geldfälschen, also das Recherchieren all der verschiedenen Verfahren, die hinter Falschgeld und all dem stecken – das sind die Dinge, die mir wirklich Freude bereiten.

Wie hat es sich angefühlt, das Wunder-Universum nach so vielen Jahren mit diesem Buch zu verlassen?
Wunder führte zu der ganzen Choose Kind-Bewegung und wurde allgegenwärtig und das hat viel Gutes in der Welt bewirkt. Darauf bin ich wirklich stolz. Dennoch war es eine Geschichte, die in meinem Kopf herumschwirrte und die ich als Geschichtenerzählerin erzählen wollte. Ich habe eine Weile gezögert, das Wunder-Universum hinter mir zu lassen, weil ich weiß, dass man, wenn man sich einmal in ein Buch oder eine:n Autor:in verliebt hat, immer wieder das Gleiche von ihm oder ihr lesen möchte. Man will nicht, dass er oder sie etwas Neues schreibt. Und Pony ist wirklich etwas ganz Neues. Ich war ein bisschen nervös, dass meine Leser:innen sagen könnten: Moment mal, was machst du hier eigentlich?
Aber ich denke, als Schriftsteller:in, als jemand, der Geschichten erschafft, will man sich auch weiterentwickeln. Man will sich selbst testen, man will sich dazu bringen, neue Dinge zu schreiben, und man muss seiner Stimme treu bleiben. Letztendlich habe ich die Welt von Wunder also mit ein wenig Bangen, aber auch sehr zufrieden verlassen. Und ich lasse sie auch nicht komplett hinter mir – ich mache nur einen kleinen Abstecher.

Sind Sie eine Autorin, die sich im Vorhinein eine genaue Übersicht macht oder legen Sie direkt los mit dem Schreiben?
Ich lege direkt los. Ich habe Meilensteine, die ich erreichen will. Bei Pony wusste ich, wo es enden würde, ich wusste, was die letzte Szene sein würde, ich wusste grundlegende Dinge darüber, was mit den verschiedenen Figuren passiert. Aber wie sich alles zusammenfügt, das möchte ich erst im Laufe der Handlung herausfinden. Bei Pony gab es viele Teile, die am Ende ineinandergriffen, und das war die befriedigendste Sache der Welt. Ich war z. B. auf Seite 36 und schrieb etwas, weil es sich gut anhörte und mir gefiel, und dann merkte ich später auf Seite 243, dass diese Sache, von der ich nicht einmal genau wusste, warum ich sie ursprünglich geschrieben hatte, perfekt war. Es gab viele dieser Momente, in denen die Dinge zusammenpassten, und ich mir dachte: „Oh, wow, ich wusste nicht einmal, dass das passieren würde."

Aus einem Interview von Rachel Simon für shondaland.com, September 2021. Übersetzt von Stefanie Beck.

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