Mary
Aris Fioretos

Mary

übersetzt aus dem Schwedischen von Paul Berf
Details zum Buch
Roman
  • Erscheinungsdatum: 22.08.2016
  • 352 Seiten
  • Hanser Verlag
  • Fester Einband
  • ISBN 978-3-446-25270-7
  • Deutschland: 24,00 €
  • Österreich: 24,70 €

  • ePUB-Format
  • E-Book ISBN 978-3-446-25411-4
  • E-Book Deutschland: 13,99 €

Aris Fioretos erzählt von einer jungen Frau unter der griechischen Militärdiktatur, die sich entscheiden muss.
„Es mag seltsam klingen, aber ich bin die einzige, die erzählen kann, wie ich endete.“ Es ist die Zeit der Diktatur des Militärs in Griechenland. Marys Bericht beginnt mit ihrer Liebe zu Dimos, einem Anführer der Studentenbewegung. Im November 1973 wird Mary festgenommen, in den Verliesen des Sicherheitsdiensts ist sie Hunger, Kälte und Folter ausgesetzt. Nur sie weiß von ihrer Schwangerschaft, dem Kind von Dimos. Aber Mary erzählt auch von der Solidarität unter den gefangenen Frauen, wie es ihr gelang zu überleben, ohne Verrat zu begehen. Mit großer literarischer Kraft beschreibt Aris Fioretos, der Autor aus Schweden, die existentielle Krise einer jungen Frau, die vor einem unlösbaren Konflikt steht.

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Aris Fioretos

Aris Fioretos

Aris Fioretos, 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechisch-österreichischer Herkunft. Bei Hanser erschienen Das Maß eines Fußes (Essays, 2008), Der letzte Grieche (Roman, 2011), Die halbe Sonne (Prosa, ...

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Mary

Presse

"Aus dem Hässlichen, Unmenschlichen entsteht bei Fioretos eine poetische Schönheit, ohne dass er die Grausamkeit verklären würde." Wiebke Porombka, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.02.17

"Jetzt hat der schwedische Schriftsteller einen Roman vorgelegt, dessen Geschehen sich schmerzhaft in den Leser einschreibt und ihn in eine Schutzlosigkeit treibt, die zugleich eine Kraft hervorbringt, die mitten im Schrecken wächst… Bewegt legt man das Buch aus der Hand und beginnt, in sich selbst nach den Reserven politischer und moralischer Courage zu suchen." Gabriele von Arnim, Der Tagesspiegel, 09.01.17

"Für seine Ich-Erzählerin hat Aris Fioretos eine Sprache gefunden, die ungeschminkt und zugleich behutsam festhält, was der Protagonistin alles widerfährt auf der Gefängnisinsel. Diese verknappte, aufs Wesentliche reduzierte Sprache glänzt und funkelt auch in der deutschen Übersetzung von Paul Berf und lässt einen mit stockendem Atem weiterlesen." Sandra Leis, NZZ am Sonntag, 27.11.16

"‘Mary‘ hat die Authentizität, die Dringlichkeit, die sie als Kassiber aus dem Fegefeuer der Diktatur an die freie Welt braucht. Als Menetekel, als Erinnerung daran, was es zu verhindern gilt. In Griechenland und überall. 'Mary' ist der Roman zur Zeit." Elmar Krekeler, Literarische Welt, 26.11.16

"Diese Passionsgeschichte ist nicht nur großartig erzählt, sondern zudem höchst politisch und aktuell. Weil sie zeigt, was Gefängnis und Folter anrichten können. ... Die Prinzipien der Gewalt sind universell und auf alle Unrechtsregime anwendbar. Was sich in den Folterkellern dieser Welt abspielt, wird hier auf eine stille Weise geschildert, die deshalb umso eindringlicher und erschütternder ist." Dorothea Westphal, Deutschlandradio Kultur, 15.09.16

"Dieses Buch, das einer Figur bis in ihr Innerstes folgt, ist von einem erzählerischen Reichtum, wie er in der Gegenwartsliteratur nur selten begegnet." Ulrich Rüdenauer, Süddeutsche Zeitung, 22.08.16

"Wenn Mary den Hunger mit schwarzen Aalen vergleicht, die sich in die Eingeweide fressen, oder die Wellen der winterlichen Ägäis sie an Vögel aus Blei erinnern, die vergebens abzuheben versuchen – dann spürt der Leser, dass es darum geht, um der Würde der eigenen Existenz willen die Grenzen des Sagbaren auszuweiten." Manuel Gogos, Neue Zürcher Zeitung, 10.09.16

"Überhaupt, Farben und Formen, Konsistenzen und Körper: Aris Fioretos, Jahrgang 1960, ist ein fantastischer Beobachter all dessen, was Philosophen in der Nachfolge von Aristoteles als Akzidentien bezeichnet haben. Nur dass das Flüssige, Farbige oder Runde der Substanz in seinem Werk eben keineswegs nachgeordnet ist … ‚Die Trauer ist ein Geschenk‘, sagt die älteste Mitgefangene zu Mary, und: ‚Erzähl.‘ Diese bittere Pille des Erzählens und Erinnerns hat Aris Fioretos in eine wahrlich grandiose Form gebracht." Jutta Person, Die Zeit, 13.10.16

"Ein ehrenwerter, sprachlich hochdifferenzierter Roman, der auch vorführt, wie die Diktatur die Sprache missbraucht." Martin Ebel, Tages-Anzeiger, 17.11.16

Jeanette Schocken Preis

Aris Fioretos ist mit dem Jeanette Schocken Preises – Bremerhavener Bürgerpreis für Literatur 2017 ausgezeichnet worden – insbesondere für seinen Roman „Mary“. Die Preisverleihung fand im Historischen Museum Bremerhaven statt. Die vollständige Dankesrede von Aris Fioretos können Sie hier lesen und auch als PDF herunterladen. >

Ohne Negation

Aris Fioretos

DAS EINZIG erhaltene Photo von Jeanette Schocken, der Namensgeberin des Preises, den ich heute mit ebenso großer Dankbarkeit wie Überraschung, Freude wie Rührung, entgegennehme, verleitet mich dazu, über die Bedeutung von Bildern beim Schreiben, bei meinem Schreiben nachzudenken.

WÄHREND DER Phase, in der alles ein Adergeflecht aus Träumen und Fragezeichen ist, trug mein letzter Roman den Titel Sieben Kapitel über Schmerz. Ich dachte viel darüber nach, was Schmerz ist, wie er vermittelt wird und ob er sich teilen lässt. Ich wollte wissen, ob er eine Sprache hat, ja, sogar eine ist. Dann wurde der Titel jedoch in Mary geändert, aus Gründen, die mit einem bestimmten Bild zu tun haben. Die Heldin des Buchs ist eine junge Architekturstudentin, die am selben Tag, an dem das Militär einen Aufstand an der Hochschule in ihrer (namenlosen) Heimatstadt niederschlägt, erfährt, dass sie schwanger ist. In der Nacht zum 17. November 1973 durchbricht ein Panzer die Tore der Polytechnischen Universität. Es folgen Verhaftungen, Verhöre, Deportationen.

Leser, die sich für zeitgenössische Geschichte interessieren, erkennen das Griechenland der Diktatur kurz vor dem Ende der siebenjährigen Herrschaft der Obristen wieder. Auch wenn sowohl das Hauptquartier des Geheimdienstes als auch die Gefängnisinsel, auf der größere Teile der Handlung spielen, existierten und es weiterhin tun, war mir der reale Hintergrund des Buches, obwohl wichtig, dennoch nicht so gewichtig wie die Frage nach der Rolle der Frauen im Aufstand, nach der Sprache des Schmerzes und der Solidarität in Zeiten der Unterdrückung – im Roman »die Politik des Herzens« genannt. Indem ich reale Schauplätze namenlos ließ, hoffte ich, dass diese Themen deutlicher – das heißt: ohne die ideologisch gefärbten Geschichtsschreibungen, die die griechische soziale und politische Kultur bis heute prägen – hervortreten würden. Außerdem erlaubte mir diese Maßnahme, von den tatsächlichen Umständen abzuweichen, wenn die Handlung es zu erfordern schien.

Dimos, der Freund meiner Heldin, ist einer der führenden Aufständischen. Er befindet sich in der Hochschule, in der sich die Studenten verbarrikadiert haben, weiß also noch nicht, dass er Vater wird. Als Mary bei dem Versuch verhaftet wird, zu ihm zu gelangen, versetzt sie das in ein Dilemma. Sie will ihren Freund und seine Kameraden nicht verraten. Gleichzeitig erkennt sie, je länger sie in Haft sitzt, desto deutlicher wird, dass sie ein Kind erwartet. Wenn das Militär Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangen würde, könnte es diese gegen sie ausnutzen. Schlimmstenfalls wird man sie zwingen, ein Kind zu bekommen, das anschließend von einem regimetreuen Paar adoptiert wird. Es ist eine schmerzliche Erkenntnis. Und eine zweischneidige. Der einzige Weg, das Kind und Dimos schützen zu können, besteht darin zu schweigen – obwohl sie begreift, dass der Körper sie allmählich verraten und die Zeit für sie somit zu einem Feind wird. Kurzum: Die Uhr tickt. Auf den letzten Seiten wird sie vor der unmöglichen Wahl stehen, sich entweder für den Freund oder das Kind entscheiden zu müssen. (Eine Wahl, die ähnlich, aber sicherlich nicht identisch mit der von Jeanette Schocken ist, die wegen ihrer kranken Tochter sich entschied, in Deutschland zu bleiben, bis es zu spät wurde, auszuwandern oder vielmehr: zu fliehen.)

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen einzigen Satz geschrieben: »Sachte wird ihr Körper seine neue traurige Stärke lernen.« Ich wusste, dass so der letzte Satz des Buches lauten würde, mir war aber nicht klar, wie ich dorthin gelangen sollte. Also vertiefte ich mich in den Hintergrund eines Ereignisses, das der heroische Gründungsmythos einer ganzen Generation – der der griechischen 68er, die mit Jetlag 1973 geboren wurde – werden sollte. Was wusste ich über meine Heldin, abgesehen davon, dass sie auf der letzten Seite eine neue »Stärke« erfahren würde?
Letztlich doch einiges. Sie hatte ihre rechtsgerichtete Familie verlassen und studierte Architektur im abschließenden Studienjahr. Sie wurde als »reserviert« eingeschätzt, da sie schlechte Zähne hatte und selten lächelte. Außerdem zog sie auf Grund einer Polioerkrankung in der Kindheit ein Bein ein wenig nach. Schultern und Hüften waren schmal, ohne dass sie deshalb wie ein Junge oder anorektisch aussah. Sie kleidete sich am liebsten in Schwarz, in Polojumper und Slacks, sie trug Clarks mit Kautschuksohlen an den Füßen. (Die Sohlen waren wichtig, weil sie die Schläge mit den Bambusstöcken des Geheimdienstes abmildern würden.) Außerdem mochte sie die Glamrockkönigin Suzi Quatro.

Und ihr Äußeres? Eigentlich wusste ich nur, dass sie kurze Haare, zusammengewachsene Augenbrauen sowie volle Lippen hatte. Mehr, dachte ich, musste niemand wissen. Gleichwohl brauchte ich – wie bei mir immer beim Schreiben – ein Bild, um die Interessen zu bündeln, quasi als Magnet meiner Leidenschaften, und ein solches fehlte noch. Ratlosigkeit machte sich breit, Missmut stellte sich ein. Es verging einige unangenehme Zeit. Dann fand ich den Film To Chronikó tis diktatorías, der auf Youtube gerade eingestellt worden war. In den sieben Jahren zwischen April 1967 und Juli 1974 dokumentierte Pantelis Voulgaris’ »Chronik der Diktatur« das Leben im Griechenland des Militärs – den Alltag, die Propaganda, die Repression. Bei der Beschaffung von Rohfilm soll ihm unter anderem Chris Marker geholfen haben; nach dem Sturz der Junta wurde Material von Nachrichtenagenturen eingefügt.

Voulgaris schilderte eine Zeit, an die ich mich erinnerte; die Viertel und Straßen, die man sah, sollte ich kurze Zeit später selbst bewohnen oder besuchen. Erst glaubte ich, meine Heldin inmitten der Menschen auszumachen, die nach dem Sturz der Junta am Polytechnikum vorbeidefilierten, um der Studenten zu gedenken, die bei dem Aufstand umgekommen waren. Sie hatte kurze Haare, trug einen Rollkragenpullover und eine Sonnenbrille. Es war keine lange Sequenz – zehn, zwölf Sekunden nur. Aber sie war lang genug, um zu sehen, wie die Frau ging: bedächtig, würdevoll, beherrscht. Es fiel nicht weiter schwer, sich eine mythische Gestalt in moderner Kleidung vorzustellen.

Trotzdem stimmte etwas nicht. Anfangs glaubte ich, es läge daran, dass die Frau nicht hinkte. Aber man brauchte nur wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass sie es tat. Außerdem würde ein Standbild kaum enthüllen, ob sie unter den Folgen einer Kinderlähmung litt. Nein, es war etwas anderes. Dann erkannte ich: Es war die Sonnenbrille. Es ging nicht darum, dass die Frau dem Blick des Betrachters nicht begegnete, sondern darum, dass ihre Augen nicht zu sehen waren. Ich wusste nichts über ihre Farbe oder Form, außerdem verbarg das Gestell die Augenbrauen. Dies war nicht meine Hauptperson.

Ich setzte die Suche fort, musste aber schließlich aufgeben. Ich war bedrückt. Bevor ich den Link abspeicherte, beschloss ich, mir den Film ein letztes Mal anzuschauen. Nun erregte eine Sequenz in der Mitte meine Aufmerksamkeit. Anfangs hatte ich sie nicht weiter beachtet, da sie griechische Zyprioten zeigte, die anlässlich der türkischen Invasion vertrieben wurden, die im Sommer 1974 zum Sturz der Junta führte. Dies geschah weit von den Orten entfernt, an denen mein Buch spielen sollte. Aber war das wichtig? Wenn ich ohnehin von den historischen Gegebenheiten abweichen würde, sobald die Handlung dies verlangte, brauchte ich mich da vielleicht auch nicht an die passenden Orte zu halten?

Die Qualität des Filmmaterials war schlecht, die Bewegungen der Menschen ruckartig. Das störte mich, weil mein Interesse den Nahaufnahmen galt – Frisuren, Haut, Augen. Viele schienen nur zu besitzen, was sie am Leib trugen. Andere schleppten Koffer, die wahrscheinlich Papiere, Schmuck und Photografien enthielten. Die Art von Dingen, die man mitnimmt, wenn man gezwungen wird, sein Zuhause zu verlassen, ohne zu wissen, ob man es je wiedersehen wird.

Ich spulte nochmals zurück, und nun, zwischen den Sekunden 31:07 und 31:13, entdeckte ich sie. Unmittelbar nachdem eine weinende Frau zu einem flachen Zementgebäude mit vergitterten Fenstern geführt worden war, tauchte sie auf. Als die Frau in dem Bau verschwunden war, den ich für eine Kapelle hielt – was später zur Bezeichnung des kleinen Zementbaus werden würde, in dem Mary vierzig Tage in Isolation verbringen muss –, zeigte der Film eine junge Person. Aus irgendeinem Grund war sie mir bisher entgangen. Man sah nur ihren Oberkörper, sie saß vor einer weißen Wand, jammerte und weinte, aber ohne Tränen. In der Hand hielt sie ein Taschentuch, mit dem sie sich über Kinn und Hals strich. Sie war schwarz gekleidet, begegnete dem Blick des Betrachters nicht. Dennoch zeigten ihre leicht übertriebenen Gesten, dass ihr bewusst war, sie wurde gefilmt. Einen Augenblick später legte ein Mann in einem kurzärmeligen Hemd seine Hand auf ihre Schulter. Der Kopf war nicht zu sehen, aber es fiel nicht weiter schwer zu verstehen, dass er sie trösten wollte.

Ich wusste es sofort. Das war meine Heldin.

IN MEINER Brust hämmerte ein Stummfilmpiano eine Fanfare. Wenn jemand erklärt hätte, soeben habe eine neue Zeitrechnung begonnen, hätte ich dümmlich zufrieden genickt. Immerhin war für sechs, sieben Sekunden eine fiktive Gestalt Gast der Wirklichkeit. Von nun an schrieben wir n. M., »nach Mary«.

Der kurzen Szene – ein wahrliches tableau vivant – folgten vier schwarzgekleidete Frauen mit Kopftüchern. Nichts, was ihnen vorausging oder folgte, erklärte, wer sie waren. Man sah die Frauen von hinten, etwas hinabgehend, was eine Hafenpromenade zu sein schien, fort von der stehenden Kamera. Es war ein Schlussbild, das eines Antonioni oder Angelopoulos würdig gewesen wäre. Das Finale hätte ebenso gut aus Cronaca di un amore, der »Chronik einer Liebe«, von 1950 stammen können, in dem Michelangelo Antonioni einen Detektiv schilderte, der den Auftrag erhält, die Vorgeschichte zu einer fatalen Leidenschaft zu rekonstruieren. Oder eher noch aus Anaparástasi, »Rekonstruktion«, Theo Angelopoulos’ erstem Spielfilm, in dem er aus verschiedenen Perspektiven zeigte, was hätte passieren können, als ein Familienvater, der nach Deutschland ausgewandert war, in sein Heimatdorf zurückkehrt, in dem seine Frau mittlerweile einen heimlichen Liebhaber hat.

Die zusammenhanglosen Frauen sprachen mich an. Schließlich sollte der Roman nicht nur von einer jungen, schwangeren Person handeln, die bei einem Studentenaufstand verhaftet wurde, sondern auch die Beziehungen, ja Gemeinschaft zwischen Frauen schildern. Zwar brauchte ich fünf Frauen (sowie einen sechsjährigen Jungen), aber die vier, die sich von der Kamera entfernten, waren ein guter Anfang. Und woher wollte man wissen, dass es keine fünfte Person gleich außerhalb des Bildes gab, in dem Fall wahrscheinlich links? Mir gefiel alles an der Szene. Der Kontrast zwischen den schwarzen Figuren und der grauweißen Umgebung, der offene Himmel in der Ferne und die Tatsache, dass man nur die Rücken sah… Aber vor allem, dass sich die Gestalten so glichen und dennoch Solitäre blieben. Sie hielten einander nicht an den Händen, keine schien irgendetwas zu tragen. Dennoch strahlten ihre Bewegungen sowohl Zusammenhalt als auch Entschlossenheit aus. Caspar David Friedrich hatte seinen einsamen heroischen Mann, der mit dem Rücken zum Betrachter vom Gipfel eines Berges auf ein Nebelmeer hinausblickte. Ich begnügte mich mit vier solidarischen Frauen auf einer Höhe mit dem Wasser.

Die Figuren bildeten die notwendige Ergänzung zu Mary. Auf der einen Seite ein einzelnes Individuum mit seiner Sorge und seiner Schwangerschaft; auf der anderen vier Variationen von Trauer und Verbundenheit. So stellte ich mir den Roman vor, dessen Handlung sich weniger in einem bestimmten Land, sondern eher zwischen privatem und geteiltem Schmerz, Abgeschiedenheit und Gemeinschaft abspielen sollte. Mehr als diese wenigen Sekunden waren nicht erforderlich, um die Pole des Buchs zu veranschaulichen. Die Bilder konnten durchaus die Vorder- und Rückseite des Buchs sein.

Lange stellte ich mir das Ganze in der Tat so vor: die junge griechische Zypriotin auf der Vorderseite, die alten Frauen hinten. Am Ende fand ich das allerdings überdeutlich. Und eine Spur zu gewollt. Wenn ein Standbild aus Voulgaris’ Film den Umschlag zieren sollte, musste die einsame Frau reichen. Aber hieß dies, dass die anderen abwesend waren? Hatte nicht auch ein Buch, zumindest symbolisch, eine abgewandte Seite? Diese Rückseite, von der Rilke in einem berühmten Brief an eine der Adligen, die ihn immer wieder mit Kost und Logis versorgten, meinte, das Leben besitze sie genau wie der Mond, »eine uns dauernd abgewendete Seite, die nicht sein Gegenteil ist, sondern seine Ergänzung zur Vollkommenheit«? Im selben Brief aus dem Winter 1923, geschrieben, während er in der Schweiz die Duineser Elegien vollendete, sprach er davon, wie wichtig es sei, »das Wort Tod ohne Negation zu lesen«. In meinen Augen zeigten das die Frauen in Trauerkleidung. Sie wandten sich vom Betrachter ab, dem Verlust jedoch zu – als würden sie einer Leere entgegengehen, die dennoch nicht negativ gedeutet werden konnte.
»Sachte würde ihr Körper seine neue traurige Stärke lernen«… Nun wusste ich, dass es dieser Zustand war, auf den sich mein Roman zubewegen würde, dieser Tod, verstanden ohne Negation.

JE MEHR ich meine Heldin betrachtete, desto faszinierter war ich, was allerdings nicht daran lag, dass sie zufällig gut aussah. Oder kurze Haare hatte, schöne Lippen und, wie ich mir einbildete, zusammengewachsene Augenbrauen, die gezupft worden waren und nun breite Bögen über geschlossenen Augen bildeten. Sondern dass sie in einer bestimmten Position – Zählwerkstand 31:08 – eingefangen wurde in einem Zustand zwischen Qual und etwas, das tatsächlich… Entrückung glich.

Ich machte einen Screenshot, und in all den folgenden Jahren der Arbeit hing ein Ausdruck davon vor mir an die Wand gepinnt. 31:08 kristallisierte die Vorstellungen von sowohl Mary als auch Mary heraus. Während der wilderen Phasen bildete ich mir sogar ein, der ganze Roman wäre eine Ekphrasis dieses einen Bildes. Aufgeteilt in eine helle und eine dunkle Partie, einfach und deutlich in seiner dokumentarischen Form und gerade deshalb sachlich und expressiv, enthielt es fast alle wichtigen Aspekte. Erstens gab es da den Schmerz, der die qualvolle Erfahrung im Herzen des Buchs war. Zweitens gab es da die Sehnsucht, die Mary bei dem Gedanken an das wachsende Kind und den unwissenden Freund erlebte. Und drittens gab es da ihre buchstäbliche Ent-rückung: Um die Misshandlung und Folter zu ertragen, versucht sie, wie so viele Opfer der Geschichte vor ihr, sich neben sich zu stellen, als könnte sie ihre eigene Zeugin werden. Ich übertreibe nicht, wenn ich gestehe: Obwohl es sich um ein Photo und nicht um ein bemaltes Stück Holz handelte, der Screenshot wurde meine Ikone.

Aber es gab noch etwas, etwas Viertes. Als das Bild aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gehoben wurde und von seinem Kontext befreit schwebte, verwandelte sich die anonyme Hand auf Marys Schulter in etwas Bedrohliches. Nun wurde sie nicht mehr getröstet, sondern von einem nicht identifizierbaren Vertreter der Staatsmacht verhaftet. Hinter seinem Arm sah man sogar noch einen zweiten Arm, diesmal in einem schwarzen Hemd, als würde sie nicht von einer, sondern von zwei Personen bewacht.

Es klingt wahrscheinlich unzeitgemäß, aber mir kam der Gedanke, dass dieses Bild zwei der wichtigsten Reaktionen der antiken Tragödie heraufbeschwor: phóbos und éleos, also »Schrecken« und »Mitleid«. Oder mit einem moderneren Begriffspaar: »Furcht« und »Gefühl«. Nicht, dass ich beabsichtig hätte, einen Thriller zu schreiben oder freiwillig sentimental zu werden. Aber zwischen diesen Polen würde der Leser sich bewegen. Ein Bild reichte, um den erforderlichen Kontrast zu erzeugen – und die beiden Extreme der Gänsehaut zu markieren, die, wie ich glaube, jedes Buch dem Leser geben muss, wenn es etwas zu bedeuten hat.

DIE UNBEKANNTE Frau auf der Rückseite einer Kapelle sollte den ganzen Roman durchdringen – oder vielmehr durchströmen. Es gibt kaum eine Passage im Buch, in der ich nicht dieses Wasserzeichen durch das Geschriebene hindurch schimmern sehe. Trotzdem ist sie auf dem Umschlag der fertigen Drucksache nicht zu sehen, obwohl der Probesatz, der angefertigt wurde, damit der Text auf Distanz kam und Streichungen möglich wurden, von Sekunde 31:08 geschmückt wurde.

Der Grund dafür, dass nie ein Hersteller beauftragt wurde, diese Skizze zu verwandeln, ist ein fatales Wort. Sicher, gegen Ende der Arbeit hatte ich begonnen, an dem Bild zu zweifeln. War Mary nicht ein bisschen zu hübsch? Und eine Spur zu dramatisch? Vor allem störte es mich, dass sie die Augen schloss und sich so abschottete, was sie unnötig passiv wirken ließ. Ich befürchtete, dass das Bild ihr eine Rolle zuschreiben würde, mit der mein Roman abrechnen wollte: eine, bei der Passivität gleich Opfer gleich Frau ist. Aber der Grund, warum es gestrichen wurde, ist dennoch ein anderer. Als ich das Manuskript mit einer Freundin diskutierte, fiel das Wort »Inspirationsbild«. Meine Bekannte verstand, dass ich an der jungen Frau hing, konnte aber nicht verhehlen, dass sie persönlich es vorzog, sich ihr Aussehen selbst vorzustellen. »Um zu überzeugen«, fügte sie hinzu, »muss eine Heldin der Fiktion, im Gegensatz zu einer der Wirklichkeit, imaginiert werden.« Mein Vorsatz wurde zunichtegemacht, das Bild sank auf den Grund des Textes. Es war ein klassischer Fall von Kill your darlings.

ICH GEBE diese Überlegungen nicht in solcher Länge wieder, um die Entstehung meines Romans zu dokumentieren, sondern um zu sagen, dass ein Bild manchmal das Herz eines Buches sein kann, eines, ohne das das Adernetz des Textes einfach nicht auskommt, auch wenn das Bild selbst schließlich nirgends zu sehen ist.

Zwischen der realen Namensgeberin des Preises und meiner fiktiven Heldin liegen Welten. Jeder Vergleich wäre unangebracht. Dennoch freut und ehrt es mich, das Photo von Mary, Zählwerkstand 31:08, in Geistesnähe zur einzigen erhaltenen Aufnahme von Jeanette Schocken zu wissen. Die 58-jährige Mutter, die aus NS-Deutschland hätte fliehen können, aber wegen eines schwerkranken Kindes in ihrer Heimat blieb, die ausgerechnet am 17. November 1941, genau 32 Jahre vor dem Athener Studentenaufstand, mit ihrer Tochter nach Minsk deportiert und anschließend getötet wurde, diese Frau, deren Blick uns so sanft, ein wenig traurig und auch zurückhaltend auf dem Bild begegnet, diese Frau wusste, als das Photo aufgenommen wurde, noch nicht, was ihr und ihrer Familie bevorstand.

Für uns heute, die fast alle einer der Nachkriegsgenerationen angehören, ist es unmöglich, Jeanette Schockens späteres Schicksal auszublenden. Und warum sollten wir, warum würden wir dies überhaupt tun wollen? Gleichwohl meine ich, wir täten Jeanette Schocken unrecht, nicht auch an die erfinderische Freude und die munteren Überraschungen, an das anregende, sicherlich strapaziöse und manchmal auch traurige Familienleben zu erinnern, das samt so vielen weiteren, für uns unbekannten Erfahrungen und Ereignissen zu ihrem Leben gehört haben muss. Nur so, glaube ich, geben wir dem unerträglichen Tod, der sie wenige Jahre später im Vernichtungslager ereilte, nicht das letzte Wort – wir zeigen, dass er, der Tod, auch »ohne Negation zu lesen« ist.

So wie ich Literatur verstehe, gehört es zu ihren Aufgaben, sofern sie welche hat, vielleicht ist es auch ihre einzige, nichts zu verleugnen, nichts schönzureden, nicht auszuweichen bei dem, was mit Menschen zu tun hat – und trotzdem, bei aller Gewalt und Schmerz und Ungerechtigkeit, mit denen sie sich so oft beschäftigt, zumindest wenn sie von meinen Vorgängern als Preisträger geschrieben wird, kommt sie ohne Negation aus. Jedes sprachliche Ereignis, paradoxerweise auch ein Wort wie nein oder nicht, ist das Gegenteil vom Tod.

Sie fragen, was statt der jungen Frau letztlich auf dem Umschlag des gedruckten Romans zu sehen ist? Eine Mischung aus Herz und Schädel, die für Tod und Auferstehung, Leidenschaft, Begehren und Vielfalt steht – kurzum: ein Granatapfel. Aber das ist eine andere Geschichte.

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5 Fragen an …

Aris Fioretos

Worum geht es in Ihrem neuen Roman?
Die Hauptperson, zugleich die Ich-Erzählerin, ist eine 23-jährige Studentin mit dicken Augenbrauen und kurzem Haar. Sie mag Suzi Quatro, aber keine Ausrufezeichen. Sie zieht ein wenig das Bein nach. Und steht kurz vor dem Abschluss ihres Architekturstudiums. Ihr Freund nennt sie „eine Granate aus nie vergossenen Tränen“. Als die Handlung einsetzt, hat Mary gerade erfahren, dass sie schwanger ist. Am selben Abend wird sie vor ihrer Hochschule, in der sich die Studenten seit drei Tagen verbarrikadiert haben, um gegen die Junta des Landes zu protestieren, verhaftet. Als sie von der Sicherheitspolizei verhört wird, will sie weder sagen, wer sie ist, noch ihren Freund verraten, der einer der Anführer des Aufstands ist und noch nicht weiß, dass er Vater werden wird. Gleichzeitig weiß sie jedoch, sollten die Sicherheitsleute merken, dass sie ein Kind erwartet, werden sie das gegen sie verwenden. Die Uhr tickt also.
Am Ende des Buchs wird Mary vor einem Dilemma stehen, vor dem kein Mensch stehen sollte: Sie muss zwischen Kind und Freund wählen.

Mary ist durchgehend aus der Perspektive einer schwangeren jungen Frau erzählt. Welche Herausforderung war es für Sie, sich in diese Perspektive hineinzuversetzen?
Autoren gehören einer von zwei Gruppen an, vermute ich. Entweder schreiben sie über Umstände, die ihnen bekannt sind oder so vorkommen. Oder ihre Sehnsüchte gehen zum Fremden, zu dem, was sie nicht kennen oder persönlich erlebt haben. Ich gehöre sicherlich zu letzterer Fraktion. Als Autor interessieren mich Menschen und Umstände, mit denen ich nicht vertraut bin. Zwar bin ich Vater, habe aber kein Kind zur Welt gebracht. Dennoch glaube ich, es sollte für Menschen mit meiner Chromosomenkonfiguration nicht unmöglich sein, sich in die Rolle einer schwangeren Frau zu versetzen. Was wäre die Literatur ohne ihre Fähigkeit zur Empathie? Das Gefühl, etwas in sich zu tragen, das restlos aus einem selbst besteht, aber dennoch mehr ist als man selbst, dieses paradoxe Gefühl glaube ich nachempfinden zu können. Was könnte natürlicher und merkwürdiger sein, als das Gefühl, etwas in sich zu tragen, das zugleich, in diesem Inneren, seine eigene Außenseite hat.

Mary spielt im letzten Jahr der griechischen Militärdiktatur. Was bedeutet dieser historische Zeitpunkt für den Roman?
Ja, der Roman beginnt im November 1973. Auch wenn die Stadt und das Land namenlos bleiben, sind Ähnlichkeiten mit Athen und Griechenland sicherlich kein Zufall. Wie Sie wissen, haben die Studenten damals gegen das Militär protestiert. Nach drei Tagen wurde der Aufstand am Polytechnikum zwar niedergeschlagen. Die Regierung wurde umgebildet, der Chef des Sicherheitsdienstes neuer Führer; die Repressionen nahmen zu. Dennoch war der Aufstand das Ende für die Diktatur. Nach der Zypernkrise im folgenden Sommer fiel die Junta.
Mary gehört zu dieser Generation. Es sind die griechischen 68er, die aber wegen der Diktatur sozusagen mit Jetlag geboren wurden, erst 1973. Sie haben anschließend das Land aufgebaut und in den Wohlstand geführt, jedoch auch korrumpiert. Die Krise, die wir heute erleben, ist Teil ihrer krummen Erfolgsgeschichte. Darin spielt der Studentenaufstand eine prägende, wenn nicht identitätsstiftende Rolle. Gewiss war er bewundernswert, ja heroisch. Aber er ist auch zu einer recht männlichen Erzählung verhärtet worden, die kaum Zwischentöne, geschweige denn Selbstkritik erlaubt. Mich interessierte der ideologische Überbau nur in zweiter Linie. Ich wollte an die Geschichte in oder hinter der Geschichte herankommen, an die konkreten Erfahrungen der Frauen, die dabei und mitprägend waren, deren Erzählung bisher allerdings im Schatten geblieben ist.
Auch wenn die griechische Zeitgeschichte mir keineswegs unwichtig ist: Hätte ich das Land und das Volk beim Namen genannt, wäre die Gefahr da gewesen, dass die Taten und die Geduld, das Leiden und der Widerstand dieser Frauen nicht als solche gewürdigt würden. Ich möchte nichts verschweigen, eine abschließende Anmerkung zum Text spricht ja Ähnlichkeiten mit historischen Umständen an, aber letztlich ging es mir um diese Frauen und die Art von Gesellschaft, in der sie leben, und nicht darum, dass alles zufällig im Griechenland der 1970er Jahre passierte. Außerdem erlaubte mir diese Zurückhaltung von Fakten abzuweichen, sobald die Handlung es verlangte.

Im Roman wird sehr eindrucksvoll von der Solidarität der Frauen im Gefängnis erzählt. Wie haben Sie dafür recherchiert?
Im Laufe der Zeit habe ich mehrere Berichte gelesen, in Archiven gewühlt und mich durch YouTube geklickt, aber auch und vor allem mit Personen gesprochen, die damals dabei waren. Einige sind Frauen, die schon in den 1950er und 1960er Jahren auf den berüchtigten griechischen Gefängnisinseln inhaftiert waren. Sie alle haben mir über ihre Zeit dort, über die Bedingungen sowie über ihre Mitgefangenen erzählt. Manche, die sich damals in der vordersten Reihe des Widerstands befanden, hatten ihre Erlebnisse jedoch so oft erzählt, dass sie zu fertigen Geschichten erstarrt waren. Das passiert uns allen, fürchte ich, mehr oder weniger. Erzählen Sie eine Begebenheit aus Ihrem Leben ein paar Mal zu oft, verlieren Sie schnell die Beziehung zu den konkreten Details und Umständen. Aus dem Erlebten wird eine Anekdote, und erzählte Erinnerungen neigen dazu, stillschweigend Komplikationen und Widersprüchliches auszusortieren. Bei meinen Gesprächspartnern, die nicht besonders oft Auskunft über ihr Leben – in mancher Hinsicht sogar nie zuvor – gegeben hatten, merkte ich, da gibt es eine lebendige Beziehung zu den Einzelheiten des damaligen Daseins, sie sind noch nicht in den sklerotischen Formen des Nacherzählten aufgegangen. An diesen Dingen war ich interessiert. Ich wollte wissen, wie man Trinkwasser auf einer Insel gewann, die von Meer umgeben und deren einziger Brunnen verschlammt war. Was tat man, wenn man seine roten Tage bekam? Wie haben die Frauen sich gegen Kälte, Nässe, die Gewalt der gelangweilten Aufseher geschützt?
Sie haben nach den Herausforderungen beim Schreiben gefragt. Vor sechs, sieben Jahren, als ich anfing über das Buch nachzudenken, vermutete ich noch, das Schwierigste werde sein, aus der Perspektive einer schwangeren Frau zu erzählen. Mit der Zeit wurde jedoch klar, die größere Herausforderung bestand darin, die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Frauen zu schildern, wenn keine Männer dabei sind. Solch ein Reichtum an Zwischentönen – Kälte kann sich als Wärme erweisen, Nähe durch Abstand markiert werden. Personen meiner viereckigen Sorte haben davon nur wenig Ahnung.

Auf dem Cover ist ein Granatapfel abgebildet. Welche Rolle spielt diese Frucht im Roman?
Natürlich hat der Granatapfel eine lange religiöse und kulturelle Geschichte. Mir gefiel aber eher seine harte Außenseite und sein ebenso reiches wie sinnliches Inneres. Dieser Gegensatz schien mir Ähnlichkeiten nicht nur mit einem Buch zu haben, sondern auch und wichtiger mit der Art und Weise, wie Mary während ihrer Gefangenschaft zurechtzukommen versucht. Um sich und ihr Kind – ihre weiche Innenseite, wenn Sie so wollen – zu schützen, muss sie sich nach außen unnachgiebig geben. Da Gewalt nur Gewalt erzeugen würde, und dies das letzte sein dürfte, wozu eine schwangere Frau greifen würde, entscheidet sie sich für einen passiven Widerstand – will sagen: Sie schweigt.
Es gibt aber auch die Abschlussarbeit, die Mary schreiben muss, um ihr Studium zu beenden. Darin soll es um „Mehrfamilienhäuser in urbaner Umgebung“ gehen, sie ist allerdings noch nicht besonders weit gekommen. Ihr fehlt die zündende Idee, eine genaue Vorstellung dessen, wie mit Rücksicht auf jede Einzelwohnung gebaut werden kann. Erst als sie ein paar Monate vor dem Aufstand mit ihrem Freund auf dem Motorrad durch den Süden des Landes reist, versteht sie, wie sie verfahren soll. Nach einer schlaflosen Nacht auf dünner Unterlage frühstücken die beiden. Der Freund greift einen Granatapfel, wirft ihn hoch und lässt ihn in seinen Handteller fallen – und Mary erkennt: In diesem Apfel ist kein Kern wichtiger als ein anderer. So möchte sie bauen. „Das Zentrum ist überall.“

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