5 Fragen an ... Rafik Schami

5 Fragen an ... Rafik Schami

Lieber Rafik Schami, ein Kardinal wird ermordet und in einem Fass Olivenöl an die italienische Botschaft in Damaskus geliefert. Zwei Kommissare ermitteln, der Syrer Barudi und der Italiener Mancini. Dennoch ist das eigentlich kein Kriminalroman?
Nein, es ist ein Roman, der in der Zeit kurz vor dem Aufstand in Syrien spielt. Die Gesellschaft ist in einer Krise, erste Risse werden sichtbar. Armut, Diktatur und Angst herrschen, und die Scharlatane haben Hochkonjunktur. Die Ermordung des Kardinals bringt die Strukturen der syrischen Mafia ans Licht. Dabei sind die Ermittlungen durchaus spannend. Die Leser sollen bis kurz vor der Aufdeckung nicht ahnen, wer der Mörder ist. Bis dahin haben sie sehr viel über Land und Leute erfahren, ohne sich dabei zu langweilen. Man könnte vielleicht sagen, es ist ein kriminalistisch grundierter Gesellschaftsroman.

Könnte man Die geheime Mission des Kardinals auch einen Roman über den Aberglauben nennen?
Sicher, wenn man die zwei Wörter „unter anderem“ hinzufügt. So jedenfalls habe ich ihn konzipiert, als einen Roman mit vielen Schichten, und eine davon ist der Aberglaube. Zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, dass sich der Aberglaube in zwei Gesellschaften epidemisch verbreitet: in einer Gesellschaft im Elend (entrechtet, gewalttätig, arm, erstickt durch eine Diktatur) und in einer übersättigten Gesellschaft. Der Aberglaube eroberte bereits das Hirn des frühzeitlichen Menschen, wenn er Naturerscheinungen (Blitz, Donner, Vulkanen etc.) hilflos gegenüberstand und verzweifelt nach einer Erklärung suchte. In einer elenden Gesellschaft suchen die Menschen nach Rettung und finden sie beim Weihrauch der Scharlatane. Aber auch die seelische Leere in einer übersättigten Gesellschaft veranlasst Menschen, nach neuen Reizen zu suchen, einer Befriedigung durch übernatürliche Kräfte. Ich kenne Leute, die, nachdem sie radikale Marxisten gewesen waren, zu Bhagwan gingen und in orangenen Gewändern zurückkamen. Daher wollte ich im Roman eine Brücke zwischen Europa und Syrien schlagen und dabei verschiedene Spielarten des Aberglaubens, hier wie dort, zeigen.

Welche Rolle spielen die Wunderheiler im Roman?
Eine große Rolle. Es gibt ja wirkliche Heiler, aber das sind nur wenige. Auf der anderen Seite stehen die Betrüger, die mit Taschenspielertricks arbeiten. Sie lassen Olivenöl (dritte oder vierte Pressung) aus heiligen Bildern fließen und fügen sich künstliche Stigmata an Händen, Füßen und Stirn zu, um zu beweisen, dass sie in Kontakt mit Jesus oder Maria stehen – als wäre Jesus ein Sadist, der erst in Kontakt mit Menschen tritt, nachdem er sie schrecklich gequält hat. Wenn aber ein Mensch in der Tat über Kräfte verfügt, mit denen er heilen kann, kommt oft die nächste Phase, dass seine Anhänger ihn für heilig halten … und das ist gefährlich.

Kommissar Barudi nimmt immer wieder Zuflucht zu seinem Tagebuch. Warum?
Das ist eine weitere wichtige Schicht dieses Romans. Kommissar Barudi steht kurz vor der Pensionierung und will mit Leidenschaft die Ermordung des Kardinals aufklären, weil er sich als echter Damaszener schämt, dass ein Gast umgebracht wurde. Er hat schon vor Jahren – nach einer gesundheitlichen Krise und auf Anraten seines Arztes – angefangen, Tagebuch zu schreiben, da er niemand anderem seinen Kummer anvertrauen kann. Fünfzehn Geheimdienste horchen die Menschen aus. Barudi ist unpolitisch, aber er kann das Regime nicht ausstehen. Dieses Tagebuch zeigt den Werdegang eines Menschen, der Hölle und Paradies durchlebt hat, und lässt uns an seinen Geheimnissen teilhaben. Dadurch kommt er uns mit all seinen Schwächen, Liebschaften, großen Enttäuschungen und Fehlern sehr nahe.

Welche Rolle spielen die Frauen in diesem Roman?
Wie in allen meinen Romanen spielen die Frauen eine große Rolle, weil ich bereits als Kind verstanden habe, dass Frauen und Männer gleich wichtig sind. Anders als in meinem Roman Sophia aber, in dem zwei starke Frauen die Hauptrolle spielen, sind es hier zwei Männer, die beiden Kommissare. Die Frauen tauchen an vielen Stellen auf und agieren sehr unterschiedlich: Da gibt es die heilige Maria, die Heilerin Dumia, Barudis verstorbene Frau Basma, eine Telekommunikationsexpertin, und mehrere misshandelte Frauen in der Nachbarschaft des Kommissars. Außerdem ist da die Chefsekretärin, die alle Männer auf der Polizeiwache wie eine Mutter achten. Und nicht zuletzt die neue Liebe des alten Kommissars, Nariman, eine kluge und mutige Frau, die sich von ihrem Mann trennte, weil er sie gedemütigt hat, und sich nun in Lebensgefahr begibt, als sie beschließt, einen Christen nicht nur zu lieben, sondern auch mit ihm zusammenzuleben.

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