5 Fragen an ... Rafik Schami

5 Fragen an ... Rafik Schami

Rafik Schami, »Sophia oder Der Anfang aller Geschichten« ist ein starker Titel. Warum beginnen alle Geschichten mit Sophia?
Darin liegt ein Geheimnis des Lebens, dass das Leben nicht nur von denen beeinflusst wird, die im Vordergrund handeln, sondern vielmehr von Menschen, Gedanken, Erfahrungen, die unspektakulär sind. Der Held des Romans ist Salman, aber ohne Karim wäre er verloren, und Karim wäre ohne Sophia längst tot. Sophia, Salmans Mutter, also ist diejenige, ohne die es keine Geschichte und damit auch keinen Roman gegeben hätte.
Man denkt bei dieser ruhigen Frau, ihre eigene Geschichte endet dort, wo sie sich statt für Karim für einen reichen Juwelier entscheidet und den Wohlstand genießt, doch plötzlich taucht sie wieder auf und agiert so, dass der Verlauf der Handlung durch sie bestimmt wird. Allein für das bewegende Kapitel mit ihrem Selbstgespräch hat sie es verdient, im Titel des Romans zu erscheinen.

Nachdem Salman über dreißig Jahre in Deutschland und Italien gelebt hat, will er unbedingt in seine Heimatstadt Damaskus reisen. Was treibt ihn zu diesem Entschluss, obwohl er weiß, dass die Reise gefährlich werden kann?
Es ist die Wunde des Exils. Auch ich stand 2009 kurz vor der Rückkehr, ich bekam ein sehr verführerisches Angebot von der syrischen Regierung, doch im letzten Augenblick habe ich abgelehnt, weil ich das Spiel durchschaut habe. Heute bin ich froh, dass ich meiner Eitelkeit nicht gefolgt bin.
Das Exil verletzt, und Salman, der Held des Romans, ist in Rom sehr erfolgreich geworden und will zu Besuch zurückkommen, um denen zu sagen, die ihn exiliert haben, dass es sich gelohnt hat zu kämpfen, und um sich bewundern zu lassen. Was ihm ja anfangs auch gelingt. Aber trotz aller Vorsicht hat er nicht geahnt, dass er in eine Falle gelockt wurde.

Eine zentrale Rolle im Roman spielen Karim und Aida, ein Liebespaar im fortgeschrittenen Alter. Als Leser entwickelt man für die beiden rasch eine große Sympathie. Empfinden Sie diese Sympathie auch als Autor?
Ja, aber nicht so, das ich meine Distanz zu ihnen verliere. Das ist der Nachteil bei der Schriftstellerei. Ein(e) Leser(in) kann und darf sich in eine Figur im Roman verlieben, ein Autor darf das nicht, sonst krankt der Roman daran. Das ist wie in der Chirurgie. Ein Chirurg darf (außer im Notfall) einen von ihm geliebten Menschen nicht operieren.
Diese Distanz ermöglicht in der Chirurgie und in der Schriftstellerei den behandelten Menschen Leben. Aber Karim und Aida zeigen, wie Liebe Leben retten kann, ohne Kitsch, sondern mit Witz, obwohl beide am Rande des Abgrunds agieren und mit ihrer Hilfe das eigene Leben gefährden.

Die Atmosphäre in Damaskus 2010, kurz vor dem Arabischen Frühling, ist im Roman unerhört anschaulich beschrieben. Wie ist das möglich, wenn man als Autor nicht dorthin reisen kann?
Mich persönlich interessiert eine Revolution sehr, aber als Romancier finde ich vor allem die Zeit davor spannend. Alle Revolutionsromane scheitern, deshalb habe ich meinen syrischen Freunden, die von mir gern einen »Revolutionsroman« hätten, eine Absage erteilt. Die Zeit davor ist viel interessanter. Die Erde bebt, die Unruhe der Menschen wird sichtbar. Aber merkwürdigerweise werden alle kurz vor dem Ausbruch ängstlicher. Als ob jeder sagen würde: Es ist schlimm, aber sollen doch die anderen ihr Leben riskieren.
Diese Stimmung ist heute durch die modernen Medien leicht zu recherchieren, und da ich mit vielen Oppositionellen unterschiedlichster Anschauungen und Berufe in Kontakt bin, konnte ich durch Gespräche die Atmosphäre genau erfassen. Die Teile des Romans, die in Rom spielen, habe ich vor Ort recherchiert.

Auch zu diesem Roman wird es eine ausgedehnte Lesereise geben. Was macht Ihnen Vergnügen bei einer solchen Reise?
Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen: Ich schreibe Bücher, um zu reisen. Für mich sind die Auftritte ein reines Vergnügen, und wenn im Abstand von zwei bis fünf Jahren ein neues Buch erscheint, schützt mich das davor, mich zu wiederholen. Es ist die Freude, von der Bühne aus zu erleben, wie ich die Menschen mit meiner Literatur verzaubern kann. Das ist die Magie des mündlichen Erzählens. Und ich als Erzähler spüre, wie erwachsene Menschen langsam zu lauschenden Kindern werden, obwohl sie vielleicht gerade erst von der Arbeit gekommen sind. Bei meiner Reise durch 100 Städte liegen die meisten Termine an Wochentagen und nicht am Wochenende oder einem Feiertag, sondern an ganz normalen Arbeitstagen. Wer davon nicht süchtig wird, muss aus Stahl oder Beton sein.

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