5 Fragen an ... Norbert Gstrein

5 Fragen an ... Norbert Gstrein

Lieber Norbert Gstrein, oft fragt man hier nach dem Inhalt eines Romans. Aber lassen sich sehr gute Romane denn überhaupt schlicht nacherzählen?
Nein, aber ich würde es schon versuchen, wenn mir ein amerikanisches Filmstudio einen großen Scheck hinlegen würde und ich vor der Aufgabe stünde to pitch my novel, also möglichst süffig zu sagen, worum es in dem Buch geht und warum die Leute es verfilmen sollen. Ich würde sagen, da sei ein junger Mann, der seine Schwester über alles liebt und nicht von ihr loskommt, und würde so alle glauben lassen, sie hätten es mit einem Skandalroman zu tun, und dann würde ich mich so lange zum Narren machen in meiner Selbstanpreisung, bis ich entweder den Scheck in der Hand hätte oder zur Tür hinausgebeten würde.

Womit begann Ihre Idee für Vier Tage, drei Nächte, wohin entwickelte sie sich?
Die erste Idee war, einen Roman zu schreiben, von dem ich wusste, dass ich mit ihm scheitern würde: eine Dreiecksgeschichte, zwei Männer, eine Frau, die sich für alles andere als Rassisten halten, sich jedoch plötzlich in der Anspannung und Überforderung der Situation selbst ganz anders wahrnehmen müssen. Diesen Roman, der den Titel Drei Arten, ein Rassist zu sein trägt, habe ich einer meiner Figuren untergeschoben. Das ist mir sicherer erschienen, als wenn ich ihn selbst geschrieben hätte, aber damit war ein Anfang gemacht, war eine Figurenkonstellation da, zwei Männer und eine Frau, die ich dann aber anders gruppiert habe: Bruder und Schwester, die sich lieben, und ein von außen dazukommender Freund.

Ihr Roman schlüpft auf kunstvollste Weise in verschiedenste Identitäten und erzählt etwa aus unterschiedlichen Perspektiven von der Erfahrung von Rassismus und von der Erfahrung von Frauenhass. Sollte denn wirklich jeder alles erzählen dürfen – kann es nicht wirklich sehr schmerzhaft für Menschen mit bestimmten Erfahrungen sein, wenn andere einfach so am Schreibtisch meinen, sich in alles hineinversetzen zu können?
Ich hatte immer schon meine Schwierigkeiten mit dem einfühlenden sich Hineinversetzen in Figuren und habe in der Regel eher auf Distanz geachtet, als eine Form von Respekt. Andererseits bringt mich mein Experimentieren mit Ich-Erzählern zu der Frage, wie weit ich dieses Ich strapazieren kann, wenn ich in einem Roman "ich" sage, bevor ich an Grenzen stoße, die es natürlich gibt. Das Leid der anderen ist das Leid der anderen, und da sollte man schon sehr genau wissen, was man tut. Ein schlechter Roman ist sonst schnell einmal nicht nur schlecht, sondern auch moralisch fragwürdig. Eher als dass ich mich in ein anderes Ich hineinversetze, weite ich die Vorstellung von den Möglichkeiten meines eigenen Ichs aus. Zudem versuche ich wie im Decamerone eine Erzählsituation zu erzeugen, in der am Ende andere Ichs eine Stimme bekommen, über deren Fremdheit es keinen Zweifel gibt. Dabei verstehe ich immer mehr, dass es nicht nur eine Marotte von mir war, von meinem ersten Buch an nicht mehr als nötig von mir preiszugeben. Ich hatte eine instinktive Scheu vor dem Biografischen, und am liebsten hätte ich von Anfang an gar nichts über mich gesagt, außer vielleicht, dass ich offensichtlich irgendwann geboren bin, geradeso, als gäbe mir das größere Freiheiten meinem fiktiven Ich gegenüber.

Ist Vier Tage, drei Nächte ein aktuelles Buch, ist der Roman ein Beitrag zu bestimmten derzeitigen Debatten – oder ist er das eben gerade nicht?
Es ist nicht das erste Mal in meinem Schreiben, dass es den Anschein haben kann, als schriebe ich aktuellen Debatten hinterher. Wenn man den Roman daraufhin abklopft, welche aktuellen "Themen" er möglicherweise behandelt, kommt man auf einiges, Identität, Rassismus, Misogynie, aber so gehe ich nicht an die Sache heran. Ich erzähle von Figuren, die im Hier und Jetzt leben, nicht blind und nicht taub und auch nicht ganz dumm sind und deshalb heutigen Erfahrungen gar nicht entkommen können. Der größte Teil des Romans spielt kurz vor Weihnachten 2020, ein kleiner Anhang im Sommer darauf, und natürlich haben die Figuren deshalb auch mit Corona zu tun, das aber auf so selbstverständliche Weise Teil ihrer Lebensrealität ist, dass der Roman mit Sicherheit kein Corona-Roman ist, eher sogar das genaue Gegenteil davon oder höchstens the Corona novel to end all Corona novels before they get started. Er ist aber auch sonst kein Dies- oder Das-Roman, weil es diese Setzung der Themen ganz einfach nicht gibt.

Für wen schreiben Sie?
Oh? Merkwürdigerweise untergräbt diese Frage mehr und mehr mein Selbstverständnis. Die Vorstellung, dass es "da draußen" Leute gibt, die meine Bücher lesen. Die Vorstellung, es gäbe sie nicht, die Vorstellung, ich würde mich dann trotzig verbissen verteidigen, ich schriebe – für wen dann? Ich werde nichts Pathetisches sagen. Aber manchmal treffe ich "in der freien Wildbahn" auf eine Leserin oder einen Leser und muss aufpassen, dass ich nicht blödsinnig gerührt bin und mir vorzustellen beginne, dass es doch andere Menschen gibt, mit denen ich gegen alle Wahrscheinlichkeit eine Gruppe bilden könnte.

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