5 Fragen an ... Norbert Gstrein

5 Fragen an ... Norbert Gstrein

Norbert Gstrein, in Ihrem Roman geht es um sehr kleine und sehr große Dinge: Den Kuss zweier junger Leute, Schuldgefühle und Begehren, Eigenständigkeit und Einsamkeit. Wie gelangt man als Autor zu einem solchen Roman – gibt es so etwas wie eine Anfangsidee?
Am Anfang habe ich eine junge Frau gehabt, die am Tag ihrer Hochzeit ums Leben kommt, dazu einen Erzähler, der einerseits nichts, andererseits aber doch etwas damit zu tun hat. Er hat die Braut bei der Hochzeit fotografiert und wenige Wochen davor am selben Ort ein Mädchen gegen dessen Willen geküsst. Ausgerechnet eine Nonne formuliert in dem Roman die etwas robuste "feministische Theorie", dass ein Mann im Umgang mit einer Frau grundsätzlich dazu neige, ein Schubser zu sein, bis sie von all den Schubsern in ihrem Leben so weit gebracht ist, dass sie an einem Abgrund steht und es vielleicht nur mehr ein falsches Wort braucht. Der Erzähler denkt darüber nach, durchaus mit Schuldgefühlen, die ihn noch nach Jahren verfolgen, ob er für das Mädchen, das er geküsst hat, der erste in dieser Reihe gewesen sein könnte.

Erzählen gute Romane für Sie vom Unglück der Menschen oder vom Glück?
Vom Glück! Wenn sie vom Unglück erzählen, beklagen sie damit nur die Abwesenheit des Glücks und formulieren eine Sehnsucht danach. Ähnlich verhält es sich mit der Gerechtigkeit und dem Schönen. Sie erzählen genau davon, wenn sie von Ungerechtigkeit und Hässlichem erzählen. Ein direkter Zugang zum Glück stellt sich in Romanen oft als schwierig heraus, weil solche Glücksromane in aller Regel nur offenlegen, wie banal deren Vorstellung von Glück ist: Urlaub, ein Haus in der Toskana oder in der Provence, eine neue Liebe oder eine alte neu aufgewärmt. Dann hat man sofort die größte Sehnsucht nach dem Unglück, in den Romanen wie im Leben.

Immer wieder brechen in Ihren Romanen Menschen auf aus der Enge Ihrer Verhältnisse, hinaus in die Welt. Warum interessiert diese Bewegung Sie so sehr?
Dieser Roman spielt zur Hälfte in Tirol und zur Hälfte in Wyoming. Mir kommt es fast wie ein topologisches Spiel vor: als hätte ich die Berge meiner Tiroler Herkunft ausgewalzt und in die Prärie des amerikanischen Westens verlegt und verlängert. Die Schönheiten und Schrecklichkeiten sind ähnliche, aber mein Erzählraum wird um vieles größer. Das hat, glaube ich, damit zu tun, dass ich immer schon „amerikanisch“ geträumt und „amerikanisch“ gelesen habe und sich für mich in diesem Vorstellungsraum die Dinge anders erzählen lassen. Ich bilde mir also wieder einmal ein, ich hätte einen amerikanischen Roman geschrieben.

Könnte Als ich jung war zu allen Zeiten spielen, oder hat er dafür viel zu stark zu tun mit den Debatten rund um Moral und Gerechtigkeit, wie sie in der Gegenwart geführt werden?
Die Grundkonstellation könnte es zu allen Zeiten ähnlich geben, aber der Protagonist reagiert ganz und gar gegenwärtig auf die Frage, wo er selbst steht. Er sieht sich in einem äußerst problematischen Zusammenhang, den er erkennt, von dem er aber auch ahnt, dass er ihm nicht entkommen ist. Er ist nicht auf der sicheren Seite, er weiß um seine Möglichkeiten als Mann, und das heißt, auch um seine Möglichkeiten im Negativen. Einmal sagt er von einer Frau, dass er sie beschützen wolle, und erschrickt im nächsten Augenblick, weil er sich selbst seine Rolle als Beschützer nicht abnimmt. Deswegen tritt er ganz am Ende aus der Geschichte heraus. Er sieht das Mädchen, das er gegen dessen Willen geküsst hat, viele Jahre später aus der Ferne und würde gern sagen, dass es „ungebrochen“ auf ihn wirkt, weiß aber, dass ihm ein solches Urteil nicht zusteht.

„A lot remained to be explained“, lautet das wunderbare Motto des Buches. Ist das von Ihnen als Autor ironisch gemeint – oder ganz und gar nicht?
Das Motto stammt von Louis L'Amour, einem Genre-Schriftsteller von Western, der zudem auch noch der Lieblingsschriftsteller von Ronald Reagan war, und ist allein dadurch ironisch. Man sichert sich ja eher mit Namen aus der Hochkultur ab, wenn man ein Motto wählt, unter Walter Benjamin, Goethe oder Hölderlin geht es kaum. Vielleicht sollte man das aber zehn Jahre oder noch länger aussetzen, weil es so leicht ist, sich mit seinen Romanen unter die Schirmherrschaft dieser Namen zu stellen, die dann manchmal auch vor sehr schmalbrüstigen Werken stehen: also bis auf weiteres keinen Benjamin mehr, keinen Wittgenstein und das knappe Dutzend anderer, die immer auftauchen – es sei denn, man hätte eine Möglichkeit, sie posthum um Erlaubnis zu fragen. Ironisch ist das Motto auch insofern, als es von einem Autor kommt, der über eine Männlichkeitswelt schreibt, die ausgedient hat. Rein inhaltlich ist es aber ganz und gar ernst gemeint und gleichzeitig, richtig verstanden, ein Qualitätssiegel für einen Roman, wenn man das am Ende von ihm sagen kann. Das Schlimmste ist ja, wenn alles klar ist und wenn die Rechnung aufgeht und wie in der Schule null als Rest herauskommt.

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