5 Fragen an ... Nir Baram

5 Fragen an ... Nir Baram

Lieber Nir BaramIhr neuer Roman Erwachen ist sehr anders als die beiden Romane, die wir bei Hanser bereits veröffentlichten: Gute Leute und Weltschatten. Warum?
Ich habe den Roman geschrieben, nachdem mein bester Freund 2014 Selbstmord begangen hatte. Um ehrlich zu sein, konnte ich gar nicht über etwas anderes schreiben. Das Buch ist so anders als die letzten beiden Romane, weil es ein sehr israelischer Roman ist, und auch ein sehr persönlicher, der sich ganz unmittelbar um Kindheit dreht. Aber man kann auch Anknüpfungspunkte dazu in Gute Leute und gar in Weltschatten finden; sie als rein politische Romane zu lesen war schon immer Unsinn.

Ist Erwachen ein autobiographischer Roman? Wieviel Nir Baram steckt in Jonathan?
Ich kann sicherlich nicht verleugnen, dass es viele Parallelen gibt, insbesondere in biographischer Hinsicht: der Tod meiner Mutter und der von Uri, und auch, wenn es darum geht, was es hieß, in Jerusalem während der 80er und 90er Jahre aufzuwachsen. Aber wie in all meinen Romanen gibt es die Komponente der Phantasie, ohne die ich nicht schreiben könnte. Meine israelischen Leser fragen mich oft, was davon wirklich geschehen ist und was nicht, aber das ist nicht so wichtig. Wenn man einen Roman schreibt, schafft man Figuren und dann werden diese Figuren innerhalb des Romans lebendig – und zwar aufgrund der Bewegung des Romans an sich und nicht aufgrund von realen Dingen, die so passiert sind.

In einem Interview im israelischen Fernsehen haben Sie gesagt, es sei ein Buch über 30 Jahre Freundschaft. Was für eine Freundschaft war das?
Die Freundschaft im Roman ist sehr komplex, man kann alles darin erkennen: von der vollkommenen Identifikation (oder der Einbildung, dass es so war) zu einer bestimmten Zeit ihrer Kindheit bis ins spätere Leben, zur Konkurrenz, dem Verrat, der Trennung, die für einen von beiden immer schwerer ist, und auch bis zu der Erkenntnis, dass sie so verschieden sind, nachdem sie geglaubt hatten, sie seien die dunklen Zwillingsseelen in der grässlichen Nachbarschaft. Sie lernen gewissermaßen gemeinsam, die Welt zu interpretieren. So sieht man in einigen Abschnitten des Romans, wieviel Spaß sie haben, wenn sie gegen den Rest der Welt kämpfen, aber dann verändert sich das insbesondere als, wenn sie in ihren Dreißigern sind, sodass sich der Leser letztlich die Frage stellt: Sind sie überhaupt noch Freunde? Der Roman dreht sich um Erinnerungen, spielt mit ihnen; auch der Abstand zwischen Jonathan und Joël ist geprägt von Erinnerungen: Wer hängt mehr an ihren gemeinsamen Erinnerungen? Wer kann ihre Geschichte erzählen? Gibt es überhaupt eine gemeinsame Geschichte?

Aber es ist auch ein Buch über Jonathans Verhältnis zu seiner Mutter, insbesondere über den Tod seiner Mutter. Fiel es Ihnen schwer, über diese Erfahrungen zu schreiben?
Ich habe in jedem meiner Bücher darüber geschrieben; aber diesmal war es konkret, ohne jegliche Maskierung, und auch ohne dass ich darüber nachgedacht hätte, was andere wohl darüber denken mögen. Es war schwierig und befreiend; in meinen vorherigen Romanen habe ich –glaube ich – meine Mutter „verteidigt“ und bin nie auf den intimsten Teil unserer Beziehung eingegangen: unsere verlorene Liebe, das, was sie als meinen Verrat empfand, und wie sie darauf reagierte, ihre Rolle in unserer Geschichte: das „goldene Zeitalter“ und dann der „Bad Boy“, der sie hinterging und vielleicht auch der Grund für ihre Krankheit war. Es war ihre Geschichte. Es ist ein sehr komplexes Bild einer Mutter und eines Sohnes im Schatten des Todes.

Wie wurde der Roman in Israel aufgenommen?
Ich habe noch nie eine solch emotionale Reaktion erlebt. Ich spreche nicht von den guten Rezensionen oder den Verkaufszahlen, sondern von der Tatsache, dass es ein Buch war, über das mir die Leute die ganze Zeit schrieben, und manchmal fiel es mir schwer, dies alles zu lesen, denn es war sehr persönlich. Letztens haben wir sämtliche Briefe sortiert, die ich zu Erwachen bekam. Die Zahl war erstaunlich: 1078 Briefe von Lesern zwischen 16 und 85 Jahren, auch viele aus meiner eigenen Generation. Mehr Briefe als ich für meine Romane zusammengenommen und den preisgekrönten Dokumentarfilm über die besetzten Gebiete erhalten habe. Diese Briefe lese ich noch immer.

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