5 Fragen an ... Nir Baram

5 Fragen an ... Nir Baram

Nir Baram, Weltschatten ist ein großer Roman über das Zeitalter der Globalisierung. Ist es möglich, das Buch und seine politische Dimension in wenigen Sätzen zu beschreiben?
Die treffendste Beschreibung von Weltschatten, die ich gehört habe, kam aus Spanien: das Buch sei ein „globaler Abenteuerroman“. Und es ist wirklich ein großes Abenteuer, aber eben keines, das auf einer einsamen Insel spielt, sondern in der globalisierten Welt der letzten vierzig Jahre. Für mich ist es kurios zu beobachten, dass Leute quer durch das politische Spektrum das Buch interessant finden, auch im Hinblick auf ihre eigenen Ziele. Sie lieben dieselben Charaktere aus ganz unterschiedlichen Gründen – das gefällt mir: Ein guter Roman ist einer, den man auf viele Arten lesen kann.

Einer der Protagonisten, ein junger Israeli namens Gavriel Manzur, wird von einem amerikanischen Finanzinvestor angeheuert. Was wird da passieren?
Gavriels Familie gehört dem unteren Mittelstand Israels an. Schon in jungen Jahren verlor Gavriel seine Mutter. Im Grunde wuchs er allein auf bei einem genialen, aber wenig erfolgreichen Vater, der nie wirklich für ihn da war, den er aber trotzdem liebte.
Ich denke, dass Gavriel – wie manche Protagonisten bei Balzac – seine familiäre Herkunft hinter sich lassen und zu den Mächtigen und Einflussreichen aufsteigen will. Vielleicht weiß er noch nicht einmal warum. Er glaubt nicht an all diese politischen Ziele, aber er lernt, das Spiel zu spielen. Und er gerät in ein großes Abenteuer, in einer Welt, die er nicht wirklich versteht.

Den Gegenpol zur Wirtschafts- und Finanzwelt bildet eine Gruppe Anarchisten aus England. Deren Ziel: am 11. November einen weltweiten Streik zu organisieren. Haben diese jungen Leute Ihre Sympathie?
Bei einem Treffen mit ehemaligen Richtern des Obersten Gerichts in Israel, bei dem es um das Buch ging, sagte einer verärgert: „Was wollen diese jungen Leute? Wollen sie einfach nur zerstören? Ihrer Wut freien Lauf lassen? Das sind Nihilisten!“ Meine Antwort war: „Aus diesem teuren Penthouse heraus können Sie nicht über sie richten.“
Ob sie mir sympathisch sind? Ja, ich mochte sie mehr und mehr. Sie sind manchmal voller Hass, aber auch loyal untereinander. Sie wissen nicht, was sie wollen, sie entscheiden sich irgendwann für Gewalt, sie machen sich schmutzig. Sie lernen alle Tricks. Es sind sehr arme junge Leute, vom Rand der Gesellschaft, und sie beschließen, alles zu verändern, einen Ort zu finden abseits der kapitalistischen Ordnung (gibt es so einen Ort überhaupt?). Sie denken, sie können alles schaffen. Es fiel mir schwer, ihr letztes Kapitel zu schreiben, sie loszulassen.

Im Roman geht es auch um eine Gruppe Campaigner einer großen Politikberatungsagentur und ihre Rolle in der Gesellschaft. Haben Sie dafür Recherchen betrieben?
Ich habe ein wenig recherchiert, mit diesen Leuten gesprochen, aber vor allem kam es mir darauf an, kein real existierendes Unternehmen zu kopieren, sondern ein noch viel interessanteres zu erfinden. Ich mochte (und fürchtete manchmal) die teuflische Energie der Mitarbeiter bei MSV, vor allem der jungen. Tatsächlich weiß man nicht so genau, was man über sie denken soll, ihre Motive sind so vage. Sie sind nicht einfach nur habgierig und machtbesessen, sondern manchmal auch überzeugte Anhänger liberaler Ziele, zumindest einige von ihnen. Und sie verstehen die Welt nicht so gut, wie sie glauben – und das ist zentral für den gesamten Roman: Niemand ist wirklich in der Lage, das große Bild zu verstehen.

In dem Buch geht es vor allem auch um moralische Fragen. Wie möchten wir leben? Wie unterscheiden wir zwischen Gut und Böse? – Was sagen Sie dazu?
Ich glaube absolut nicht an Gut und Böse, aber die erste Frage ist auf jeden Fall zutreffend: Was bedeutet es, in unserer heutigen Zeit zu leben? Ich finde es interessant, dass es heutzutage so eine Diskrepanz gibt zwischen dem Einsatz, den man für die Karriere an den Tag legt, und dem Einsatz, mit dem man seine politischen Überzeugungen verfolgt. Viele Leute meiner Generation verausgaben sich für etwas, an das sie nicht wirklich glauben; aber anders als in totalitären Systemen, wo man seine Billigung heucheln muss, ist man in unserer Welt „frei“ zu glauben, was man möchte. Das sieht dann so aus, dass man abends bei Facebook Parolen gegen die Dominanz der Großunternehmen schreibt, für die man morgens noch gearbeitet hat. Eine interessante, existentielle Situation: die totale Trennung zwischen Beruf und ethischen Grundsätzen.

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