5 Fragen an ... Colson Whitehead

5 Fragen an ... Colson Whitehead

Lieber Colson Whitehead, in Ihrem Roman sprechen Sie über die besondere Atmosphäre im Harlem der siebziger Jahre, in dem Gruppen wie die Black Panther und die Black Liberation Army sehr sichtbar waren. Wie haben Sie diese Zeit als Kind erlebt?
Ich habe in Harlem gelebt, bis ich sechs Jahre alt war, aber ich greife nicht auf meine eigenen Erinnerungen dieser Zeit zurück – bis auf die Tatsache, wie schmierig und schmutzig die Stadt damals war. Die Kriminalität stieg in einem vorher unerreichten Maße an und eine Spannung lag in der Luft, sobald man die Wohnung verließ. Das meiste habe ich durch Nachforschungen herausgefunden. Ob ich nun über versklavte Menschen im Süden der USA schreibe oder über Jungs in einer Besserungsanstalt in Florida wie in The Nickel Boys: Ich muss mich immer in die Figuren hineinversetzen und das bedeutet, bis ins Detail alles richtig zu machen, selbst wenn ich keine Erinnerung an oder direkte Erfahrung eines Ereignisses habe.

Das New York, das Sie beschreiben, ist durchsetzt von Kriminalität. Es herrscht Korruption selbst in öffentlichen Institutionen wie der Polizei. Haben Sie sich das ausgedacht oder war das damals wirklich so?
Um ein Konzertticket für die Jackson Five zu bekommen, reaktiviert der Protagonist Ray Carney sein kriminelles Netzwerk und kontaktiert einen verbrecherischen Detektiv namens Munson. Es gab zu dieser Zeit wirklich die sogenannte Knapp-Kommission, die über Korruption bei der Polizei ermittelte. Einige hochrangige Beamte waren zugleich Verbrecher, die sehr viel Geld damit machten, Drogen von Drogenverkäufern zu stehlen und sie wiederum selbst zu verkaufen. Munson ist eigentlich eine zahme Version dieser echten Polizisten.

Wie verändert sich der Protagonist Ray Carney verglichen mit dem letzten Buch?
Ich betrachte die drei Bände als das Porträt einer Person über einen Zeitraum von dreißig Jahren. In Harlem Shuffle ist er Mitte Vierzig und rechnet mit seinem bisherigen Leben ab. Ist er ein ehrlicher Mensch oder ein Krimineller? Er hat sein Unternehmen mit Geld von seinem Vater gekauft, der ein Brandstifter war – hat er also Schuld an den Versicherungsbränden in den 1970er Jahren? Ohne Blutgeld wäre er nicht der Mann, der er heute ist. Seine Verstrickung ins kriminelle System wird ihm klar und er stellt sich dieser Verantwortung, entweder halbherzig oder aufrichtig, das hängt ganz von Ihrer Interpretation ab.

Was gefällt Ihnen am Genre Kriminalroman?
Mit dem Genre Kriminalroman kann man sehr gut spielen. In diesen Geschichten gibt es oft einen Gauner, der das kriminelle Leben hinter sich lassen möchte, aber wieder hineingezogen wird. Die Regeln des Spiels ist davon inspiriert, ebenso wie von der Idee des sogenannten heist. Insbesondere Munson ist besessen von der Vorstellung, dass man mit einem gelungenen Überfall, einem durchgezogenen Plan, sein Schicksal ändern kann. Das gilt für das gesamte korrupte New York. Ob Polizist oder Dieb, beide sind gleichermaßen von dem Wunsch getrieben, ihre Herkunft hinter sich zu lassen. Auch Carney kann sich dem nicht entziehen. Er hat es nicht auf Überfälle abgesehen wie Munson, aber auch er möchte seine Herkunft überwinden und ein bürgerliches Leben führen. Ich untersuche also die Widersprüche von „Räubern und Gendarmen“ und wie sich diese Zuschreibungen kreuzen.

Muss man Harlem Shuffle vorher gelesen haben, um dieses Buch zu verstehen?
Die beiden Romane funktionieren natürlich auch eigenständig. Die Hintergrundgeschichte von Harlem Shuffle lasse ich nach und nach in die aktuelle Story einfließen.

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