5 Fragen an ... Colson Whitehead

5 Fragen an ... Colson Whitehead

Lieber Colson Whitehead, Sie erzählen die Odyssee von Cora, einer jungen Sklavin, die der unmenschlichen Schinderei auf einer Baumwollplantage in Georgia entkommt – mithilfe der Underground Railroad, jenem historischen Fluchtnetwerk für Sklaven, das in Ihrem Roman als unterirdisches Geflecht aus Schienen, Eisenbahnen und Stationswärtern phantastisch konkrete Gestalt annimmt. Wie viel von Coras Geschichte steht in der Tradition des Slave narrative – und wie viel davon ist reine Fiktion?
Slave narratives sind Non-Fiction, Erfahrungsberichte ehemaliger Sklaven. Zeitgenössische Literatur über Sklaverei nennen wir normalerweise Neo-Slave Narrative, soweit ich das beurteilen kann, allerdings bin ich auch nicht an solchen Etiketten interessiert. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, den Roman in irgendeine Schublade zu stecken, das machen ja schon andere – ich schreibe nur. "Underground Railroad" ist kein historischer Roman; mein Motto lautete, "Halte dich nicht an Tatsachen, sondern an die Wahrheit". Wenn das Buch den Verständnishorizont des Lesers, was verschiedene Aspekte der Sklaverei und der amerikanischen Geschichte angeht, erweitern kann – das ist es doch, wo-rauf es ankommt.
Tatsächlich bezog sich meine Recherche vor allem auf Slave narratives – die berühmten wie Frederick Douglass und Harriet Ann Jacobs – und mündliche Überlieferungen ehemaliger Sklaven, die die Regierung in den 1930er Jahren gesammelt hatte. Die Tuskegee-Syphilis-Studie wurde nicht 1850 durchgeführt – aber welche Haltung gegenüber dem schwarzen Körper lässt sie in jenem Jahr erkennen? Das historische North Carolina hatte nicht so repressive Gesetze wie das North Carolina im Buch – aber was, wenn wir die Geschichte der Jim Crow Laws nehmen, die Genozidpläne der Nazis und die Lynchjustiz, um daraus einen Staat zu schaffen, wo diese Dinge konsequent zu Ende gedacht werden?

Auf der Suche nach Freiheit irrt Cora kreuz und quer durch die Südstaaten, von South Carolina bis nach Indiana und darüber hinaus, wobei jeder Staat andere Möglichkeiten, andere Gefahren bereithält – eine weitere phantastische Wendung Ihres Romans, der mit jedem Kapitel, mit jeder Station der Underground Railroad, die dunklen Seiten der amerikanischen Geschichte zu einer Art Collage verarbeitet. Geht der American Dream im Kern auf die Sklaverei zurück?
Natürlich handelt es sich bei der Sklaverei um einen unserer fundamentalen Irrtümer; ein Fehler, der tief im kulturellen Code verwurzelt ist. Manche bezeichnen die Sklaverei als Erbsünde Amerikas, aber diese zweifelhafte Ehre gebührt wohl eher der Enteignung und Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner. Ich bin froh, dass die Struktur des Romans es mir ermöglicht hat, beide dieser "Sünden" – und darüber hinaus noch vieles andere – zu thematisieren.

Cora ist – nach heutigen Begriffen – im Teenageralter. Weshalb haben Sie sich gerade für diese junge Heldin und ihre Perspektive entschieden?
Harriet Ann Jacobs’ Erlebnisse aus dem Leben eines Sklavenmädchens war eines der ersten Slave narratives, die ich gelesen habe. Sie lief ihrem Besitzer weg und lebte sieben Jahre auf einem Dachboden, bevor sie einen sicheren Fluchtweg aus North Carolina fand. Ihre Zeit auf dem Dachboden inspirierte mich teilweise zu dem North-Carolina-Kapitel im Buch und ermöglichte es mir, das historische Spiel dieses Kapitels zu inszenieren, indem ich Jacobson mit Anne Frank verknüpfte, die Unterdrückung der Schwarzen in den USA mit der Verfolgung der Juden unter den Nationalsozialisten. Jacobs schreibt über den spezifischen Horror weiblicher Sklaverei – mehr Sklaven zu produzieren, die mehr Baumwolle pflücken können, um ihre Herren noch reicher zu machen –, ein Thema, das ich ebenso erkunden wollte wie die Mutter-Tochter-Beziehung im Roman, etwas, das ich vorher noch nicht ausprobiert hatte. Außerdem hatte ich vorher schon eine Reihe männlicher Hauptfiguren, manchmal muss ein wenig Abwechslung sein!

Mit "Underground Railroad" haben Sie gewaltige Erfolge gefeiert, sowohl bei den Kritikern als auch bei den Lesern. Welche Reaktion auf das Buch hat Sie am meisten überrascht?
Ganz am Anfang, als das Buch gerade erschienen war, sagte eine ältere weiße Dame, dass es sie mitfühlender gemacht habe. Was vielleicht nicht überraschend ist, aber schön zu hören. Wir können alle mehr Mitgefühl brauchen.

Geschrieben haben Sie "Underground Railroad" während Barack Obamas Amtszeit; könnte man sagen, es ist ein Buch der Hoffnung? Hätte sich mit dem Wissen um gegenwärtige Entwicklungen etwas geändert?
Warum sonst sollte sich Cora auf eine so gefahrvolle Reise begeben, wenn sie sich nicht von der Hoffnung leiten ließe? Was bliebe uns ohne die Hoffnung darauf, dass irgendwo ein sicherer Hafen existiert? Sowohl für die Obama- als auch für die Post-Obama-Ära gilt: immer, wenn man über den Rassismus der Vergangenheit schreibt, schreibt man auch über den Rassismus der Gegenwart. Genauso verhält es sich auch mit dem weißen Nationalismus. Donald Trumps Wahl – unter anderem – ist ein Symptom für das Wiedererstarken des weißen Nationalismus, der die amerikanische Geschichte bis heute tief geprägt hat.

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