10 Fragen an Colson Whitehead

10 Fragen an Colson Whitehead

Das Interview führte Lalena Hoffschildt für büchermenschen: Lesenswert

1. Sie haben den National Book Award und den Pulitzer-Preis für Underground Railroad gewonnen, sind Sie jetzt berühmt? Und waren Sie davon überwältigt, hat es etwas in Ihrem Leben verändert?
Ich hatte ein Jahr lang gute Laune – das war eine erfreuliche Veränderung. Es fiel mir schwer, zurück in meine übliche Melancholie zu finden, als so viele schöne Dinge mit dem Roman passierten. Ich war zum Beispiel geduldiger, wenn ich in einer langen Schlange im Supermarkt stand – plötzlich fühlte es sich wie schlechte Manieren an, sich darüber zu beschweren. Meine gute Laune hielt etwa ein Jahr an, und dann kehrten die üblichen Irritationen des Lebens zurück.

2. In Deutschland wurden Sie vor allem durch Ihren letzten Roman Underground Railroad bekannt. Der Roman handelt von der Sklaverei in den USA. Sklaverei existiert leider auch noch zur heutigen Zeit. Wollten Sie den Leser darauf aufmerksam machen? Ist dieser Roman nicht nur ein historischer Roman, sondern gleichzeitig auch eine Warnung für die Zukunft?
Ich wollte eine Geschichte erzählen und nicht belehren. Seitdem eine Person Macht über eine andere ausüben kann, hat es immer Sklaverei gegeben. Und ich nehme an, dass es auch so bleiben wird – die Unterdrücker und die Unterdrückten, wir Menschen haben eine Veranlagung für Grausamkeit.

3. Sie sind ein sehr innovativer Schriftsteller, Sie benutzen gerne surrealistische oder auch fantastische Elemente, wie zum Beispiel in Underground Raildroad oder Zone One, einem Zombieroman. Planen Sie dies vorab oder ergibt sich das erst beim Schreiben?
Ich mag alle möglichen Geschichten – realistische, fantastische, entsetzliche, humorvolle. Wenn ich weiterhin schreibe, dann werde ich sie alle erzählen können. Wenn ich einen neuen Roman anfange, versuche ich herauszufinden, welches das beste Werkzeug wäre, um den Erzähler, den Protagonisten und den Ton zu fassen. Manchmal muss man es gerade heraus erzählen und andere Male braucht man ein Monster oder eine fantastische Eisenbahn.

4. Ich liebe den Koloss von New York; können Sie mir verraten, was diese Stadt für Sie bedeutet?
Wenn ich das wüsste, würde ich aufhören über meine Heimatstadt zu schreiben, aber soweit bin ich noch nicht. Ich bin in New York aufgewachsen, es hat mich geprägt, es ist eine Quelle der Inspiration – aber es ist auch laut, dreckig und überfüllt mit vielen nervigen Menschen. Wenn ich irgendwann einmal verstanden habe, was das alles bedeutet, werde ich wahrscheinlich umziehen.

5. Warum haben Sie sich entschlossen, Schriftsteller zu werden – und würden Sie jungen Leuten in der heutigen Zeit, in der man behauptet, das Lesen sterbe aus, diesen Beruf empfehlen?
Stirbt das Lesen aus? Es war schon immer schwer, Schriftsteller zu sein. Hatte Homer überhaupt Papier? Er musste sich an all diese Dinge erinnern und sie in seinem Kopf behalten. Edgar Allan Poe hätte womöglich viel mehr Bücher geschrieben, hätte man in seinen Zeiten Gruppen der Anonymen Alkoholiker gehabt. Kafka hätte Antidepressiva gebrauchen können. Im Vergleich dazu habe ich es recht einfach. Aber ich würde niemandem das Leben eines Schriftstellers wünschen – es ist ätzend, sich immer neuen Mist auszudenken. Wenn ich einen richtigen Job bewältigen könnte, würde ich das tun.

6. Was lieben Sie am meisten am Schreiben: den Anfang eines neuen Projektes oder dessen Abschluss?
Alle Phasen haben ihre frohen und elendigen Momente. Die Geschichte und ihre Figuren zu entdecken, zu recherchieren, die Worte niederzuschreiben, den Text zu überarbeiten – sie sind alle gleichermaßen beglückend und ermüdend zugleich. Am meisten Spaß macht es mir vielleicht, wenn ich bei Feierabend auf meine Arbeit zurückblicke und erkenne, dass ich etwas wirklich Erstaunliches zustande bekommen habe – wenn man sich hinsetzt, weil man ein Problem hatte, und dann irgendwann nach dem Mittagessen auf die Lösung stößt… aber dann beginnt natürlich am nächsten Tag alles wieder vorne.

7. Ihre Frau ist Literaturagentin, also nehme ich an, dass Ihr Haus vom Keller bis auf den Dachboden mit Büchern zugestellt ist. Lesen Ihre Kinder gerne?
Wir haben in der Tat sehr viele Bücher – viel zu viele! Meine Tochter ist vierzehn und liest momentan Schriftstellerinnen wie Celeste Ng und Karen Russell, das ist eine schöne Entwicklung. Mein fünfjähriges Kind mag alles über das All und über Roboter.

8. Ihr neuer Roman Die Nickel Boys ist eine Geschichte über Gewalt, kontinuierlichem Missbrauch und absoluter Ungerechtigkeit und lehnt an die schrecklichen Ereignisse an, die sich an der realen Dozier School for Boys in Florida zutrugen. Über 100 Jungen starben dort – vor allem schwarze Jungen. Als Leser denke ich immer daran, wie schwierig es sein muss, in solch Horror tief einzutauchen; können Sie all das von ihrem Privatleben trennen?
Es fiel mir schwer, Die Nickel Boys nach Underground Railroad zu schreiben. Normalerweise schreibe ich witzreichere Bücher. Die letzten sechs Wochen, in denen ich an Die Nickel Boys saß, waren sehr kräftezehrend – es galt, das tragische Gerüst der Geschichte auch umzusetzen. Als ich fertig war, sah ich im Grunde sechs Wochen lang nur fern, spielte Videospiele und starrte ins Leere… und dann begab ich mich zurück an meine Arbeit und überarbeite den Text. Aber ja, es war manchmal sehr zermürbend.

9. Wahrscheinlich reisen Sie viel mit ihrem neuen Roman – können Sie während dieser Zeit auch schreiben, inspiriert es Sie vielleicht sogar? Oder ziehen Sie die Routine des Alltags vor, um kreativ zu sein?
Ich mag es lieber, für etwa neun Monate Zuhause zu sein, wo ich dann nur an meinem Buch arbeiten muss – aber manchmal spielt das Leben eben anders. Ich musste mit den Nickel Boys lernen, in Zügen, Flugzeugen und im Hotel zu schreiben. Aber es war entweder so oder gar nicht, also hatte ich letztendlich keine wirkliche Wahl.

10. Und zu allerletzt, Frage Nr. 10: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Drei Wünsche… hm… Weltfrieden, ein Krebsheilmittel, und dass ich zurück nach Paris gehen könnte, um diese Hose mit dem Hahnentrittmuster zu kaufen, die ich dort vor sieben Jahren entdeckt habe. Ich bin am nächsten Tag zurück in den Laden gegangen, aber sie war weg. Sie war so cool und seitdem habe ich nie wieder etwas dergleichen gesehen.

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