Presse
"Norbert Gstrein fischt auf künstlerisch bestechende Weise im Trüben der Ambivalenz. Ein schmutziger Job. Gut, dass ihn jemand macht." Christoph Schröder, Die Zeit, 24.11.22
"Gstrein verhandelt kunstvoll Fragen der Identität jenseits identitätspolitischer Schablonen." Beate Tröger, Der Freitag, 08.09.22
"Kaum ein anderer in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dürfte so eindrucksvoll von der Blindheit der Subjekte für ihr ganz spezifisches So-Sein erzählen wie Norbert Gstrein. … Vier Tage, drei Nächte führt mit traumwandlerischer Sicherheit in Abgründe und Widersprüche. Die Erinnerung filtert und trügt; was bleibt, ist die Gewissheit, dass man in den letzten Dingen mit sich bleibt, unabänderlich fremd.“ Beate Tröger, Freitag, 09.09.22
"'Vier Tage, drei Nächte' feiert den Triumph des Uneindeutigen – und man mag darin, wenn man will, subkutan einen Gegenentwurf zu den verheerenden indentitätspolitischen Debatten unserer Tage erkennen ... Norbert Gstreins vielschichtiger Roman ertappt uns auf raffinierte Weise beim ganz alltäglichen Rassismus." Bettina Schulte, Badische Zeitung, 02.09.22
"Norbert Gstrein ist ein Meister des Perspektivenwechsels. Meisterhaft lädt er seine Leserinnen und Leser dazu ein, es ihm nachzutun und mit den Figuren aus der Geschichte den eigenen Blick auf die Welt zu schärfen." Sabine Zaplin, BR24 30.08.22
"Gstrein lockt den Leser quasi in die Falle seiner unbewussten Vorannahmen: Warum gehen wir selbstverständlich davon aus, dass eine Figur weiß sei, wenn das gar nicht gesagt wird. Blättert man noch einmal zurück, stellt man fest, wie subtil dieses Motiv gleichsam unter den Augen des farbenblinden Lesers vorbereitet worden ist." Richard Kämmerlings, Welt am Sonntag, 28.08.22
"Der Roman hallt als dichtes, ausgeklügeltes Spiel mit Identitäten und Motiven lange nach. Und hat obendrein noch einiges an bösem Humor auf Lager." Paula Pfoser, ORF.at, 27.08.22
"Es ist angerichtet! Diese drei Worte sollten auf allen Vorsatzblättern der Romane Norbert Gstreins stehen. Irgendwer hat etwas angerichtet, und der Österreicher hebt das Ergebnis menschlichen Makels auf die kulinarische Ebene seiner Romane. Und zwar mit ziemlichem Raffinement." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 25.08.22
"Was kann man vom Leben der anderen wissen, was weiß man überhaupt von sich selbst? In makellosen, gern auch etwas weiter ausholenden Sätzen arbeitet sich Norbert Gstrein in seinen Büchern, immer neu ansetzend, an ähnlichen Fragen ab. Dass sein Schreibprogramm nicht langweilig wird, spricht für ihn." Sebastian Fasthuber, Falter, 24.08.22
"Im letzten Abschnitt mit dem Titel 'Drei Arten, ein Rassist zu sein' tritt der Autor vollends zurück und überlässt seinen Figuren das Kommando ... Es ist eine Eskalation des Erzählens, die Gstrein hier, an einem möglichen Ende eines Liebesromans, glanzvoll in Szene setzt." Klaus Kastberger, Die Presse, 23.08.22
"Norbert Gstrein ist ein Meister darin, all diese zurechtgelogenen Wahrheiten seiner Protagonisten wunderbar schillern zu lassen. Man muss die Figuren deshalb weder bedauern noch verurteilen. Man darf sie in all ihrer Schwäche lieben." Jörg Magenau, Deutschlandfunk Kultur Lesart, 22.08.22
"Ein kunstvoll gebauter, politisch hochbrisanter Text. … Dieser Roman bietet eine intellektuelle Lektüre, ohne verkopft zu sein. Beeindruckend wie immer bei Gstrein sind die Satzschlangen, die sich um die bitteren Gedankengänge der Protagonisten winden. So entwickelt die Prosa gerade in heftigen Szenen eine seltsam schöne Sinnlichkeit." Carsten Otte, SWR2 lesenswert, 22.08.22
"Das Ende ist brillant und schafft das Kunststück, Rassismus, Flüchtlingskrise die Frage nach Dazugehörigkeit und das Vermögen der Literatur, in eine fremde Haut schlüpfen zu können (oder eben nicht), in Szenen zu fassen, die von großer Anschaulichkeit sind." Thomas Andre, Hamburger Abendblatt, 20.08.22
5 Fragen an …
Norbert Gstrein
Lieber Norbert Gstrein, oft fragt man hier nach dem Inhalt eines Romans. Aber lassen sich sehr gute Romane denn überhaupt schlicht nacherzählen?
Nein, aber ich würde es schon versuchen, wenn mir ein amerikanisches Filmstudio einen großen Scheck hinlegen würde und ich vor der Aufgabe stünde to pitch my novel, also möglichst süffig zu sagen, worum es in dem Buch geht und warum die Leute es verfilmen sollen. Ich würde sagen, da sei ein junger Mann, der seine Schwester über alles liebt und nicht von ihr loskommt, und würde so alle glauben lassen, sie hätten es mit einem Skandalroman zu tun, und dann würde ich mich so lange zum Narren machen in meiner Selbstanpreisung, bis ich entweder den Scheck in der Hand hätte oder zur Tür hinausgebeten würde.
Womit begann Ihre Idee für Vier Tage, drei Nächte, wohin entwickelte sie sich?
Die erste Idee war, einen Roman zu schreiben, von dem ich wusste, dass ich mit ihm scheitern würde: eine Dreiecksgeschichte, zwei Männer, eine Frau, die sich für alles andere als Rassisten halten, sich jedoch plötzlich in der Anspannung und Überforderung der Situation selbst ganz anders wahrnehmen müssen. Diesen Roman, der den Titel Drei Arten, ein Rassist zu sein trägt, habe ich einer meiner Figuren untergeschoben. Das ist mir sicherer erschienen, als wenn ich ihn selbst geschrieben hätte, aber damit war ein Anfang gemacht, war eine Figurenkonstellation da, zwei Männer und eine Frau, die ich dann aber anders gruppiert habe: Bruder und Schwester, die sich lieben, und ein von außen dazukommender Freund.
Ihr Roman schlüpft auf kunstvollste Weise in verschiedenste Identitäten und erzählt etwa aus unterschiedlichen Perspektiven von der Erfahrung von Rassismus und von der Erfahrung von Frauenhass. Sollte denn wirklich jeder alles erzählen dürfen – kann es nicht wirklich sehr schmerzhaft für Menschen mit bestimmten Erfahrungen sein, wenn andere einfach so am Schreibtisch meinen, sich in alles hineinversetzen zu können?
Ich hatte immer schon meine Schwierigkeiten mit dem einfühlenden sich Hineinversetzen in Figuren und habe in der Regel eher auf Distanz geachtet, als eine Form von Respekt. Andererseits bringt mich mein Experimentieren mit Ich-Erzählern zu der Frage, wie weit ich dieses Ich strapazieren kann, wenn ich in einem Roman “ich” sage, bevor ich an Grenzen stoße, die es natürlich gibt. Das Leid der anderen ist das Leid der anderen, und da sollte man schon sehr genau wissen, was man tut. Ein schlechter Roman ist sonst schnell einmal nicht nur schlecht, sondern auch moralisch fragwürdig. Eher als dass ich mich in ein anderes Ich hineinversetze, weite ich die Vorstellung von den Möglichkeiten meines eigenen Ichs aus. Zudem versuche ich wie im Decamerone eine Erzählsituation zu erzeugen, in der am Ende andere Ichs eine Stimme bekommen, über deren Fremdheit es keinen Zweifel gibt. Dabei verstehe ich immer mehr, dass es nicht nur eine Marotte von mir war, von meinem ersten Buch an nicht mehr als nötig von mir preiszugeben. Ich hatte eine instinktive Scheu vor dem Biografischen, und am liebsten hätte ich von Anfang an gar nichts über mich gesagt, außer vielleicht, dass ich offensichtlich irgendwann geboren bin, geradeso, als gäbe mir das größere Freiheiten meinem fiktiven Ich gegenüber.
Ist Vier Tage, drei Nächte ein aktuelles Buch, ist der Roman ein Beitrag zu bestimmten derzeitigen Debatten – oder ist er das eben gerade nicht?
Es ist nicht das erste Mal in meinem Schreiben, dass es den Anschein haben kann, als schriebe ich aktuellen Debatten hinterher. Wenn man den Roman daraufhin abklopft, welche aktuellen “Themen” er möglicherweise behandelt, kommt man auf einiges, Identität, Rassismus, Misogynie, aber so gehe ich nicht an die Sache heran. Ich erzähle von Figuren, die im Hier und Jetzt leben, nicht blind und nicht taub und auch nicht ganz dumm sind und deshalb heutigen Erfahrungen gar nicht entkommen können. Der größte Teil des Romans spielt kurz vor Weihnachten 2020, ein kleiner Anhang im Sommer darauf, und natürlich haben die Figuren deshalb auch mit Corona zu tun, das aber auf so selbstverständliche Weise Teil ihrer Lebensrealität ist, dass der Roman mit Sicherheit kein Corona-Roman ist, eher sogar das genaue Gegenteil davon oder höchstens the Corona novel to end all Corona novels before they get started. Er ist aber auch sonst kein Dies- oder Das-Roman, weil es diese Setzung der Themen ganz einfach nicht gibt.
Für wen schreiben Sie?
Oh? Merkwürdigerweise untergräbt diese Frage mehr und mehr mein Selbstverständnis. Die Vorstellung, dass es “da draußen” Leute gibt, die meine Bücher lesen. Die Vorstellung, es gäbe sie nicht, die Vorstellung, ich würde mich dann trotzig verbissen verteidigen, ich schriebe – für wen dann? Ich werde nichts Pathetisches sagen. Aber manchmal treffe ich “in der freien Wildbahn” auf eine Leserin oder einen Leser und muss aufpassen, dass ich nicht blödsinnig gerührt bin und mir vorzustellen beginne, dass es doch andere Menschen gibt, mit denen ich gegen alle Wahrscheinlichkeit eine Gruppe bilden könnte.