Presse
"Mit Detailblick und erzählerischem Gespür leuchtet Wieringa die Grenzbereiche europäischer Männerbefindlichkeit aus: schwindelndes Heimatgefühl, gekapptes Selbstvertrauen, Perspektivlosigkeit, diffuser Frust und sich füllende Migrantenlager am Horizont." Joseph Hanimann, Süddeutsche Zeitung, 27.01.20
"Ein witzig-ernster Dorfroman aus der niederländischen Pampa ... Wieringa hat ein sicheres Händchen für die plakative Inszenierung des stetigen Niedergangs, ja einer geradezu in Abwicklung befindlichen Welt ... Es wäre falsch, sich diesen Roman nunmehr als bloß düstere Angelegenheit vorzustellen, denn ab der ersten Seite wohnen ihm auch Witz und Lakonie inne." Jan Weile, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.19
"Tommy Wieringa erhebt sich nicht über diese Charaktere, gibt sie nicht der Geringschätzung oder dem Spott preis, sondern verschafft ihnen mit viel Einfühlungsvermögen und sprachlicher Subtilität Verständnis, ja sogar Empathie. Auch zeichnet er sie nicht als willenlose Spielbälle des Schicksals, sondern lässt ihnen – wie widersprüchlich ihre Antriebskräfte auch sein mögen – Handlungsfähigkeit und Tatkraft." Bruno Jaschke, Wiener Zeitung, 28.09.2019
„So ein Buch über ein Dorf, das kann man eigentlich gar nicht schreiben. Aber der Wieringa kann das. Weil er über den ganzen Scheiß schreibt und nichts auslässt – und dabei trotzdem so viel Mitgefühl für seine Typen hat, als würde er sie beim besoffenen Billard jede Nacht umarmen.“ Martin Becker, WDR 3 Mosaik, 24.09.19
"Tommy Wieringa lässt zwischen seinen Figuren ein enges Beziehungsgeflecht entstehen. Es ist da – unausgesprochen zwar, aber doch wunderbar erzählt – eine Zärtlichkeit, die anrührt, weil sie der Härte des Lebens abgetrotzt ist und der Einsamkeit." Ulrich Rüdenauer, Deutschlandfunk Büchermarkt, 13.09.2019
"In ‚Santa Rita‘ zeigt Wieringa einmal mehr sein Händchen für kleine und große Bilder.“ Außerdem „verwebt der Autor Plot und Symbolik, ohne dabei Klang und Rhythmus der Sprache aus dem Blick zu verlieren.“ Marten Hahn, Deutschlandfunk Kultur Lesart, 28.08.2019
"Ein bitteres, ernstes und wahrhaftiges Buch." Renée Zucker, rbb Inforadio Quergelesen, 18.08.2019
Podcast
Die Provinz ist wichtig für die aktuelle europäische Literatur – für eine Literatur jedenfalls, die sich dafür interessiert, wie Menschen leben, denken und fühlen, die nicht am Leben der ganz direkt an den Zeitgeist angeschlossenen Mittelschichten in den Metropolen teilnehmen.
Die Welt an der Peripherie und von der Peripherie aus betrachten, das macht auch Tommy Wieringa in seinem Roman „Santa Rita“ – 2017 in den Niederlanden erschienen und dort ein ungeheuer viel gelesenes Buch, das große Preise bekam und auch auf der Liste zum internationalen Man Booker Prize stand. Es spielt in Twente, an der deutsch-niederländischen Grenze, in einer sogenannten Schrumpfregion. Tommy Wieringa, 1967 geboren, wuchs dort auf, lebt heute in der Nähe von Amsterdam auf einem Bauernhof und hat bei Hanser bereits vier Romane veröffentlicht. Übersetzt wurden sie ebenso wie die in diesem Herbst erschienene „Santa Rita“ von Bettina Bach, in Deutsch lektoriert von Tatjana Michaelis, die das Gespräch für unseren Podcast Hanser Rauschen mit Tommy anlässlich der Präsentation der deutschen Ausgabe in der Niederländischen Botschaft in Berlin führte. Viel Spaß beim Zuhören!
5 Fragen an …
Tommy Wieringa
Santa Rita spielt im Osten der Niederlande, nahe der deutschen Grenze. Was bedeutet diese Gegend für dich?
Ich bin in dieser Gegend aufgewachsen, wo man „Nedersaksisch“ spricht, einen niederdeutschen Dialekt, der inzwischen auch als offizielle Sprache anerkannt ist. In der Provinz aufzuwachsen hat mir eine Vorstellung von Weite und Abenteuer gegeben, und danach suche ich auch beim Schreiben. In der Provinz finde ich mein Material.
Über die abgehängten Gebiete, wo es heute wieder Wölfe, aber keine Geldautomaten mehr gibt, lesen wir öfter in der Zeitung als in einem Roman. Was hat dich an den Menschen dort interessiert?
Wenn die Menschen in Twente, in der Peripherie, miteinander kommunizieren, spielen trockener Humor und augenzwinkernde Bemerkungen eine wichtige Rolle. Man merkt es nicht sofort, wenn sie einen Witz machen oder ironisch sind, und diese Eigenschaft mag ich sehr. In städtischen Gebieten, wo das Ego eine viel größere Rolle spielt, hat man es mit allen möglichen Formen der Selbstdarstellung zu tun. In der Gegend, wo ich großgeworden bin, kommt das weniger vor, teils weil man sich unterlegen fühlt, teils wegen der ausgeprägten Kargheit der Sprache, die den Worten eine tiefere Bedeutung gibt.
Paul Krüzen lebt allein mit seinem Vater auf einem ehemaligen Hof. Eine verzweifelte und anrührende Männerwirtschaft. Wie bist du darauf gekommen?
Die Idee für Santa Rita hat mit meiner frühen Jugend zu tun, die ich mit meinem Vater auf einem Hof verbracht habe, weit entfernt von allem. Das Haus war ein paar hundert Jahre alt und voller Gespenster. Mein Vater und ich waren einerseits voneinander abhängig, aber andererseits gelang es uns nicht recht, eine Beziehung zueinander aufzubauen. Er versuchte, mich auf seine eigene klägliche Weise großzuziehen. Als ich älter wurde, rührte mich die Erinnerung daran, mit welch gut gemeinter Amateurhaftigkeit er sich bemüht hatte, meine abwesende Mutter zu ersetzen. Von dieser Erinnerung nahm das Buch seinen Ausgang. Für die weitere Geschichte stellte ich mir vor, was geschehen wäre, wenn ich für den Rest meines Lebens bei ihm geblieben wäre – und das kommt sehr oft vor in dieser Gegend: Kinder, die ihr Elternhaus nie verlassen haben und als pflegende Angehörige ihre alten Eltern betreuen.
Was bedeutet der Titel Santa Rita?
Santa Rita ist die Heilige der hoffnungslosen Fälle – und damit passt sie hervorragend zu den Romanfiguren. Die Hauptfigur Paul Krüzen verehrt Santa Rita zunächst ironisch, aber im Verlauf der Geschichte wird es immer ernsthafter.
Ist es wahr, dass du, wenn du mit einem Roman fertig bist, das Manuskript noch einmal von der ersten bis zur letzten Zeile mit der Hand abschreibst? (Und wozu ist das gut?)
Richtig, ich schreibe das ganze verdammte Ding Wort für Wort noch einmal ab, bevor ich es an den Verlag schicke. Im Falle von Santa Rita umfasste das Buch rund 80.000 Wörter, als ich mit dem Abschreiben begann, und 70.000, als ich fertig war. Das ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Diese 10.000 Wörter sind überflüssig – ich brauche sie beim Schreiben (als Gerüst, um eine Szene zu erfinden), aber später sind sie redundant. Der Prozess des Abschreibens ist notwendig, um sie ausfindig zu machen. Er reinigt die Prosa und macht sie dichter – und erhöht hoffentlich das Lesevergnügen.