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"‘Die Verteidigung‘ gehört zu den aufwühlendsten Büchern dieses Herbstes. Es führt in atemberaubender Verdichtung jenen Moment vor Augen, in dem in Deutschland aus Wissenden angeblich Unwissende wurden." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.08.21
"Der Roman hat eine unglaubliche Leidenschaft. Eine Leidenschaft der Aufklärung, der Nuance, des genauen Hinsehens. ... Wer ein bisschen für das Abenteuer des Denkens und Mitfühlens und nicht für schnellfertiges Denken gemacht ist, der wird ein riesiges Vergnügen daran haben. ... Und er wird eine sehr schwierige Situation der deutschen Geschichte so genau verstehen, wie man es bisher nicht konnte. Fridolin Schley geht näher heran als jeder andere bisher." Andreas Isenschmid, 3sat/Kulturzeit, 27.08.2021
"Mit sicherem Gespür für den historischen Kontext, unter Verzicht auf überflüssige romanhafte Ausschmückung und ohne das moralische Auftrumpfen der Nachgeborenen entfaltet Fridolin Schley ein inneres Zwiegespräch von bedrückender Intensität. … Der Leser, der sich auf die verstörende Dialektik dieser Perspektive einlässt, wird durch die Lektüre reich belohnt." Thomas Karlauf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2021
"Eine atmosphärisch dichte Erzählung, die einerseits eng an den gesicherten Fakten und Dokumenten bleibt, andererseits aber kräftig Gebrauch macht von der dem Literaten … jederzeit offenstehenden Möglichkeit, zu spekulieren und zu psychologisieren. Das Ergebnis ist beachtlich."
Norbert Frei, Süddeutsche Zeitung, 13.08.2021
"In diesem ungeheuer dicht erzählten und lesenswerten Roman verschlägt es einem immer wieder die Sprache. Vor allem aber wird deutlich, es gibt nicht die Erinnerung, auf die sich irgendwann alle verständigen." Andreas Wirtensohn, WDR3, 28.12.2021
"Es ist, als habe Kafka nicht nur bei der Architektur des riesigen Justizpalasts sondern auch bei der des Verfahrens Pate gestanden, wenn Fridolin Schley davon erzählt. … Die Dezenz, mit der Fridolin Schley seine Bögen schlägt, hat etwas Meisterliches. Und die Verbindungen, die er uns aus seinem Text herauslesen lässt, verleihen dem Roman seine eigentlich spannende Dimension. … Es ist schade, ja ein Verlust für die deutsche Gesellschaft, dass Richard von Weizsäcker seine wahren Gedanken zu dieser Verteidigung nie hat teilen wollen. Für die deutsche Literatur unserer Tage war es eine Chance und Dank der Tatsache, dass Fridolin Schley sie ergriffen hat, so etwas wie ein Glück." Hans von Trotha, Deutschlandfunk, 28.09.2021
"'Die Verteidigung' ist ein Balanceakt zwischen Fakten und Fiktion, ein Justizdrama als Docufiction, ein Vater-Sohn-Szenario als Kammerspiel, das jede besserwisserische, anmaßende Geste vermeidet, das Fakten anbietet, aber eine gültige Wahrheit nie behauptet, Aufklärung im besten Sinne, in einer Zeit, in der es kaum noch Zeitzeugen gibt, von einem Autor der Urenkelgeneration, ein Generationenbuch also, ein Zwiegespräch zwischen den Generationen. Großartig!" Cornelia Zetzsche, BR Bayern2, 07.12.2021
"Schley, der an mehreren Stellen Bruchstücke aus der Rede in den Bewusstseinsstrom des jungen Richard einfließen lässt, kommt ohne jede wohlfeile moralische Überlegenheitspose des Nachgeborenen aus. In einer Zeit, in der Rufe nach neuen Formen der Gedenkkultur immer lauter werden, ist Die Verteidigung ein längst überfälliger Beitrag. Nicht nur weil darin kurzweilig und akribisch ein in die Gegenwart hineinwirkender Schlüsselmoment der deutschen Geschichte versinnbildlicht wird. Zudem wird mit unverbrauchten Mitteln eine alte, dennoch häufig verkannte Wahrheit demonstriert: ‚Verstehen‘ und nuancierter psychologischer Nachvollzug bedeuten eben nicht automatisch zu entschuldigen. Vielmehr wird dadurch erst jene Distanz erzeugt, ohne die Erkenntnis nicht zu haben ist.“ Marianna Lieder, Zeit Online, 28.09.2021
„Es ist dies kein historischer, wohl aber ein historisch gründlich recherchierter, ein feinsinniger und intelligenter Roman, der seine Leser sensibel sowie mit hohem Respekt vor dem ehemaligen Bundespräsidenten mitnimmt in dessen inneres Zwiegespräch und innere Zwiespältigkeiten über Schuld und Gerechtigkeit, Verantwortung und Pflicht, Wahrheit und Lebenslüge. Richard von Weizsäcker hat sich zeitlebens nie öffentlich über seine Erfahrungen im Prozess geäußert. Für Fridolin Schley war diese Leerstelle eine Chance. Er hat sie gut genutzt.“ Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, 30.01.2022
„Fridolin Schleys kluger, psychologisch feinfühliger und genau recherchierter historischer Dokumentarroman ist ein Gerichtssaal-Drama, das das ‚große Drama der Geschichte‘ und das der Beteiligung daran verhandelt. …Der Autor konfrontiert uns mit der Frage, wie der Einzelne und seine Familie mit der Schuld umgehen, die Weizsäcker durch seine Mitarbeit im nationalsozialistischen Verbrechensapparat auf sich geladen hatte. Fridolin Schley schreibt kühl, präzise und ohne jeden moralischen Überlegenheitsgestus des Nachgeborenen. ‚Die Verteidigung‘ zeigt uns das Ringen um die Wahrheit als lebenslangen Prozess.“ Jurybegründung Tukan-Preis 2021
„[E]ine wirklich atemberaubende und hoch literarische Annäherung an dieses Vater-Sohn-Verhältnis. … Schley gelingt ein wirklich dicht komponierter Text.“ Natascha Freundel, RBB Kultur, 19.01.2022
„Ein virtuos gewebtes Netz aus Fakt und Fiktion. Richards Fragen sind letztlich unsere. Das macht ‚Die Verteidigung‘ gerade heute, wo die letzten Zeitzeugen bald gestorben sein werden und nach neueren Studien immer weniger Jugendliche über den Nationalsozialismus und seine Menschheitsverbrechen Bescheid wissen, zu einem eminent wichtigen Buch.“ Florian Welle, Münchener Feuilleton, Dezember 2021
„‚Die Verteidigung‘ basiert auf einem beachtlichen Quellenstudium. Damit versetzt uns Fridolin Schley in die moralische Kälte der Nachkriegsgesellschaft: In atmosphärischer Dichte erleben wir, wie die gesellschaftlichen Eliten die Vergangenheit verdrehen und von Weizsäcker und sich selbst zu Widerstandskämpfern stilisieren.“ Eva Schmidt, ZDF, 12.12.2021
„Ein Stück Zeitgeschichte verlebendigt … Schley schildert die zunehmenden Zweifel Richards an der Unschuld des lavierenden Vaters – und macht deutlich, wie schwierig die Suche nach einer Wahrheit ist.“ Antje Weber, Süddeutsche Zeitung, 10.12.2021
"Wie Fridolin Schley die Räume der Vergangenheit mit Leben füllt, und wie er sich dort im Denken der Weizsäckers und der damaligen Zeit umsieht, das ist hochspannend. Und dass er für den Wechsel aus erzählerischen und essayistischen Passagen den richtigen Rhythmus findet, macht seinen Roman auch sprachlich zu einem Genuss." Wolfgang Popp, ORF Ö1, 27.08.2021
"Ein Roman, der nicht nur einen profunden erzählerischen Blick auf die Entstehungszeit der Bundesrepublik wirft, sondern zugleich die ganz großen Themen in den Ring schleudert: Schuld und Unschuld, Opfer- und Täterrollen, Moral und Gewissen. ... ein großartiges, herausforderndes Buch, das nicht zuletzt aufgrund seiner exzellenten Sprache besticht." Sabine Zaplin, BR24, 08.09.2021
"Für mich ist das Buch dermaßen intensiv, dermaßen berührend, dass ich sagen würde, es ist eines der besten des Herbstes." Felix Münger, SRF1, 05.10.2021
"Eine meisterhaft geformte Sprache ..., eine große schriftstellerische Leistung." Jürgen Feldhoff, Lübecker Nachrichten, 13.11.2021
5 Fragen an …
Fridolin Schley
Lieber Fridolin, wenn man sich die historische Aufstellung anschaut, mit der Du Dich in Deinem neuen Buch Die Verteidigung literarisch auseinandersetzt, wundert man sich, dass noch niemand darüber geschrieben hat. Wie hast Du dieses Thema für Dich entdeckt?
Es gibt eine ganze Reihe Forschung zum Wilhelmstraßen-Prozess, aber kaum etwas in dieser doppelten Zuspitzung – der Weizsäcker-Fall als zeithistorischer Nukleus und die besondere Fallhöhe durch die Vater-Sohn-Konstellation. Ich hatte schon vor etlichen Jahren die Idee, das literarisch zu verdichten. Im Zuge meiner Dissertation war ich zum ersten Mal auf den Prozess gestoßen und auf die berühmte Spiegel-Fotografie von Richard und Ernst von Weizsäcker, die nun auch auf dem Umschlag des Romans unscharf abgebildet ist: der Vater auf der Anklagebank, wie er zu seinem Sohn aufblickt, Richard in der Robe der Verteidigung. Beide scheinen etwas verlegen zu lächeln, und ich dachte sofort: das ist ein Roman! Aber ich ließ es bald liegen, weil ich keine richtige Form fand. Warum es dann plötzlich doch Klick gemacht hat, darüber kann ich nur mutmaßen. Möglich, dass es damit zusammenhängt, dass in den letzten Jahren wieder viel über Fakt und Fiktion, Geschichte und ihre künstlerischen Ausprägungen diskutiert wurde und ich mich damit beschäftigt habe. Konkret hinzu kamen dann noch wichtige Lektüren für mich, etwa Die Gedächtnislosen von Géraldine Schwarz oder die Bücher von Éric Vuillard, obwohl beide letztlich andere Ansätze verfolgen.
Wie alt warst Du, als Richard von Weizsäcker seine berühmte Rede hielt? Las man die bei Dir im Geschichtsunterricht?
Bei der Rede am 8. Mai 1985 war ich acht Jahre alt – da kann ich mich an nichts erinnern. Aber ich weiß noch, dass mir als Kind die allgemeine Verehrung für Richard von Weizsäcker auffiel. Denn sogar meine Eltern sprachen sehr positiv von ihm, die eigentlich andere Parteien wählten. Ich merkte, irgendetwas musste an ihm anders sein. Noch heute gilt er ja vielen als idealer Bundespräsident, und das will ich gar nicht in Frage stellen. Aber es ist interessant, wie sich dieser Nimbus entwickelt hat, historisch und entlang seiner politischen Lebensstrecke. Auch die Rede selbst hatte einen Kontext, der ihr gegenüber inzwischen verblasst ist, etwa ein außenpolitischer Konflikt mit Helmut Kohl, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass kurz darauf der sogenannte Historikerstreit begann. Manche sehen sogar eine große Linie am Werk, die von der Verteidigung des Vaters in Nürnberg bis zur Rede in Bonn 1985 führt, fast 40 Jahre später. Aus literarischer Sicht ist das natürlich reizvoll, trotzdem wäre ich da eher vorsichtig. Solche Großthesen lassen sich schnell instrumentalisieren. Teils wurde Die Rede, wie sie oft nur noch genannt wird, von den Einen als eine Art späte, stellvertretende Gegenreaktion auf den schuldbeladenen Vater gesehen, von den Anderen als zu versöhnliche Fortsetzung seiner Verteidigung auf Kosten der deutschen Nation, die statt seiner in Haftung genommen werde. Beide Extreme sind mir fremd – und müssen es vermutlich sein, sonst wäre eine literarische Auseinandersetzung, die Ambivalenzen und Graubereiche braucht, sinnlos.
Du hast über W.G. Sebald promoviert. Beeinflusst er die Art wie Du Dich Deinem Stoff annäherst, und gibt es andere Vorbilder oder Inspirationen?
Obwohl ich eine eher kritische Arbeit zu Sebald geschrieben habe und sein Werk zwiespältig sehe, würde ich schon sagen, dass es längere Zeit starken Einfluss auf mich hatte. Für die schwierige Frage nach dem literarischen Umgang mit Zeitgeschichte gilt das vielleicht sogar besonders. Ich teile seine Skepsis gegenüber bloßem Reenactment einerseits, gegenüber einem zu schnellen Zurückziehen auf den Unsagbarkeitstopos andererseits. Mir ist wichtig, die Mittel der Literatur in ihrem eigenen Recht zu lassen – sie aber zugleich zu problematisieren, mal offen, mal im Subtext. Oder einfacher: Wenn ich als Nachgeborener heute literarisch über einen realen Nachkriegsprozess schreibe, dann geht das meinerseits nur als Annäherungsprozess, als Befragung, nicht klassisch linear erzählt, sondern als ruhelose Pendelbewegung zwischen Nähe und Distanz. So ist aus dem Text eine Art Hybrid aus literarischer und essayistischer Ebene geworden, die sich wechselseitig ergänzen oder brechen. In dieser Richtung könnte ich etliche Vorbilder aufzählen. Während des Schreibprozesses habe ich zum Beispiel einige andere Vater-Bücher gelesen, darunter ganz herausragende wie Nach den Kriegen von Dagmar Leupold oder Suchbild von Christoph Meckel.
Der Roman beschreibt ja eine doppelte Entwicklung: wie der Sohn Richard seinem Vater während des Prozesses menschlich näherkommt – und sich dessen Schuld zugleich immer bewusster wird. Wie nah kommt man denn dem realen Richard von Weizsäcker mit Deiner Figur?
Mit dem Anspruch bin ich sehr vorsichtig. Das wäre aus literarischer Sicht auch gar nicht unbedingt so interessant. Ein Seelenporträt zu entwerfen, würde sich vielleicht eher für einen Biografen anbieten. Letztlich weiß ich natürlich nicht, was in Richard von Weizsäcker während des Prozesses vorging, wahrscheinlich wissen das nur sehr, sehr wenige Menschen, wenn überhaupt. Er war ja in der Auskunft über derlei auch rückblickend äußerst zurückhaltend. Was sich finden ließ, habe ich zwar versucht zu berücksichtigen, aber die vielen Lücken boten zugleich die Möglichkeit, darüber hinauszugehen, noch mehr einfließen zu lassen und literarisch zu gestalten. Nicht in Form klassischer Einfühlung, sondern eher wie eine Art Zustrom mit mäandernden Nebenflüssen, Deltas und Abzweigungen: Fragen etwa nach der Entstehung von demokratischem Bewusstsein, nach Selbstblendung oder dem Dilemma aus moralischer und emotionaler Verpflichtung. Insofern ist der Richard von Weizsäcker aus meinem Roman zweifellos eine Kunstfigur, von der ich jedoch hoffe, dass sie bei aller Durchlässigkeit in sich geschlossen ist.
Dachtest Du während des Schreibens an dem Roman über Dein eigenes Verhältnis zu Deinem Vater nach, und inwieweit spielt Deine eigene Vaterschaft hinein?
In meinen ersten Büchern habe ich mich viel mit Vaterfiguren beschäftigt, sicherlich auch wegen eigener familiärer Fragen. Mein Debütroman hieß nicht umsonst Verloren, mein Vater. Dann verschwand das Thema lange, zumindest vordergründig. Jetzt, da ich selbst Vater bin, überlege ich schon manchmal, was das mit meinem Schreiben macht, aber so richtig bin ich noch nicht dahintergekommen. Als Elternteil lernt man ja vor allem schnell, auch mal von sich selbst abzusehen. Das kann durchaus erlösend sein. Vielleicht ist das auch schon ein Teil dessen, was sich überträgt: Welche Rolle mein eigenes Sohn- und Vater-Sein bei dem Weizsäcker-Buch gespielt hat, habe ich nicht gezielt verfolgt. Dass sie jedoch irgendwo im Unbewussten Teil der Faszination waren, die diese besondere Vater-Sohn-Konstellation auf mich ausgeübt hat, liegt sicher auf der Hand. Vielleicht wollte ich es gar nicht so genau wissen. Als Autor sollte man sich ohnehin nie auf zu gesichertem Grund wähnen. So habe ich eher in weiterer Entfernung herumgestöbert, von Aeneis, der seinen Vater aus dem brennenden Troja trägt, bis zum Motiv der Vaterrettung in der Psychologie – interessanterweise als Zwilling des Vatermordes. Und wenn schon familiär, dann eher bei meinen Großvätern. Ich habe sie nicht mehr kennengelernt und hatte lange nur das Bild von ihnen, das in den Familienerzählungen tradiert wurde. Dass sie sich in der NS-Zeit jeweils ins System einfügten, mit welcher Überzeugung auch immer, kam darin kaum vor.