5 Fragen an ... Fridolin Schley

5 Fragen an ... Fridolin Schley

Lieber Fridolin Schley, wenn man sich die historische Aufstellung anschaut, mit der Du Dich in Deinem neuen Buch Die Verteidigung literarisch auseinandersetzt, wundert man sich, dass noch niemand darüber geschrieben hat. Wie hast Du dieses Thema für Dich entdeckt?
Es gibt eine ganze Reihe Forschung zum Wilhelmstraßen-Prozess, aber kaum etwas in dieser doppelten Zuspitzung – der Weizsäcker-Fall als zeithistorischer Nukleus und die besondere Fallhöhe durch die Vater-Sohn-Konstellation. Ich hatte schon vor etlichen Jahren die Idee, das literarisch zu verdichten. Im Zuge meiner Dissertation war ich zum ersten Mal auf den Prozess gestoßen und auf die berühmte Spiegel-Fotografie von Richard und Ernst von Weizsäcker, die nun auch auf dem Umschlag des Romans unscharf abgebildet ist: der Vater auf der Anklagebank, wie er zu seinem Sohn aufblickt, Richard in der Robe der Verteidigung. Beide scheinen etwas verlegen zu lächeln, und ich dachte sofort: das ist ein Roman! Aber ich ließ es bald liegen, weil ich keine richtige Form fand. Warum es dann plötzlich doch Klick gemacht hat, darüber kann ich nur mutmaßen. Möglich, dass es damit zusammenhängt, dass in den letzten Jahren wieder viel über Fakt und Fiktion, Geschichte und ihre künstlerischen Ausprägungen diskutiert wurde und ich mich damit beschäftigt habe. Konkret hinzu kamen dann noch wichtige Lektüren für mich, etwa Die Gedächtnislosen von Géraldine Schwarz oder die Bücher von Éric Vuillard, obwohl beide letztlich andere Ansätze verfolgen.

Wie alt warst Du, als Richard von Weizsäcker seine berühmte Rede hielt? Las man die bei Dir im Geschichtsunterricht?
Bei der Rede am 8. Mai 1985 war ich acht Jahre alt – da kann ich mich an nichts erinnern. Aber ich weiß noch, dass mir als Kind die allgemeine Verehrung für Richard von Weizsäcker auffiel. Denn sogar meine Eltern sprachen sehr positiv von ihm, die eigentlich andere Parteien wählten. Ich merkte, irgendetwas musste an ihm anders sein. Noch heute gilt er ja vielen als idealer Bundespräsident, und das will ich gar nicht in Frage stellen. Aber es ist interessant, wie sich dieser Nimbus entwickelt hat, historisch und entlang seiner politischen Lebensstrecke. Auch die Rede selbst hatte einen Kontext, der ihr gegenüber inzwischen verblasst ist, etwa ein außenpolitischer Konflikt mit Helmut Kohl, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass kurz darauf der sogenannte Historikerstreit begann. Manche sehen sogar eine große Linie am Werk, die von der Verteidigung des Vaters in Nürnberg bis zur Rede in Bonn 1985 führt, fast 40 Jahre später. Aus literarischer Sicht ist das natürlich reizvoll, trotzdem wäre ich da eher vorsichtig. Solche Großthesen lassen sich schnell instrumentalisieren. Teils wurde Die Rede, wie sie oft nur noch genannt wird, von den Einen als eine Art späte, stellvertretende Gegenreaktion auf den schuldbeladenen Vater gesehen, von den Anderen als zu versöhnliche Fortsetzung seiner Verteidigung auf Kosten der deutschen Nation, die statt seiner in Haftung genommen werde. Beide Extreme sind mir fremd – und müssen es vermutlich sein, sonst wäre eine literarische Auseinandersetzung, die Ambivalenzen und Graubereiche braucht, sinnlos.

Du hast über W.G. Sebald promoviert. Beeinflusst er die Art wie Du Dich Deinem Stoff annäherst, und gibt es andere Vorbilder oder Inspirationen?
Obwohl ich eine eher kritische Arbeit zu Sebald geschrieben habe und sein Werk zwiespältig sehe, würde ich schon sagen, dass es längere Zeit starken Einfluss auf mich hatte. Für die schwierige Frage nach dem literarischen Umgang mit Zeitgeschichte gilt das vielleicht sogar besonders. Ich teile seine Skepsis gegenüber bloßem Reenactment einerseits, gegenüber einem zu schnellen Zurückziehen auf den Unsagbarkeitstopos andererseits. Mir ist wichtig, die Mittel der Literatur in ihrem eigenen Recht zu lassen – sie aber zugleich zu problematisieren, mal offen, mal im Subtext. Oder einfacher: Wenn ich als Nachgeborener heute literarisch über einen realen Nachkriegsprozess schreibe, dann geht das meinerseits nur als Annäherungsprozess, als Befragung, nicht klassisch linear erzählt, sondern als ruhelose Pendelbewegung zwischen Nähe und Distanz. So ist aus dem Text eine Art Hybrid aus literarischer und essayistischer Ebene geworden, die sich wechselseitig ergänzen oder brechen. In dieser Richtung könnte ich etliche Vorbilder aufzählen. Während des Schreibprozesses habe ich zum Beispiel einige andere Vater-Bücher gelesen, darunter ganz herausragende wie Nach den Kriegen von Dagmar Leupold oder Suchbild von Christoph Meckel.

Der Roman beschreibt ja eine doppelte Entwicklung: wie der Sohn Richard seinem Vater während des Prozesses menschlich näherkommt – und sich dessen Schuld zugleich immer bewusster wird. Wie nah kommt man denn dem realen Richard von Weizsäcker mit Deiner Figur?
Mit dem Anspruch bin ich sehr vorsichtig. Das wäre aus literarischer Sicht auch gar nicht unbedingt so interessant. Ein Seelenporträt zu entwerfen, würde sich vielleicht eher für einen Biografen anbieten. Letztlich weiß ich natürlich nicht, was in Richard von Weizsäcker während des Prozesses vorging, wahrscheinlich wissen das nur sehr, sehr wenige Menschen, wenn überhaupt. Er war ja in der Auskunft über derlei auch rückblickend äußerst zurückhaltend. Was sich finden ließ, habe ich zwar versucht zu berücksichtigen, aber die vielen Lücken boten zugleich die Möglichkeit, darüber hinauszugehen, noch mehr einfließen zu lassen und literarisch zu gestalten. Nicht in Form klassischer Einfühlung, sondern eher wie eine Art Zustrom mit mäandernden Nebenflüssen, Deltas und Abzweigungen: Fragen etwa nach der Entstehung von demokratischem Bewusstsein, nach Selbstblendung oder dem Dilemma aus moralischer und emotionaler Verpflichtung. Insofern ist der Richard von Weizsäcker aus meinem Roman zweifellos eine Kunstfigur, von der ich jedoch hoffe, dass sie bei aller Durchlässigkeit in sich geschlossen ist.
Dachtest Du während des Schreibens an dem Roman über Dein eigenes Verhältnis zu Deinem Vater nach, und inwieweit spielt Deine eigene Vaterschaft hinein?
In meinen ersten Büchern habe ich mich viel mit Vaterfiguren beschäftigt, sicherlich auch wegen eigener familiärer Fragen. Mein Debütroman hieß nicht umsonst Verloren, mein Vater. Dann verschwand das Thema lange, zumindest vordergründig. Jetzt, da ich selbst Vater bin, überlege ich schon manchmal, was das mit meinem Schreiben macht, aber so richtig bin ich noch nicht dahintergekommen. Als Elternteil lernt man ja vor allem schnell, auch mal von sich selbst abzusehen. Das kann durchaus erlösend sein. Vielleicht ist das auch schon ein Teil dessen, was sich überträgt: Welche Rolle mein eigenes Sohn- und Vater-Sein bei dem Weizsäcker-Buch gespielt hat, habe ich nicht gezielt verfolgt. Dass sie jedoch irgendwo im Unbewussten Teil der Faszination waren, die diese besondere Vater-Sohn-Konstellation auf mich ausgeübt hat, liegt sicher auf der Hand. Vielleicht wollte ich es gar nicht so genau wissen. Als Autor sollte man sich ohnehin nie auf zu gesichertem Grund wähnen. So habe ich eher in weiterer Entfernung herumgestöbert, von Aeneis, der seinen Vater aus dem brennenden Troja trägt, bis zum Motiv der Vaterrettung in der Psychologie – interessanterweise als Zwilling des Vatermordes. Und wenn schon familiär, dann eher bei meinen Großvätern. Ich habe sie nicht mehr kennengelernt und hatte lange nur das Bild von ihnen, das in den Familienerzählungen tradiert wurde. Dass sie sich in der NS-Zeit jeweils ins System einfügten, mit welcher Überzeugung auch immer, kam darin kaum vor.

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