Artur Weigandt: Die Verräter
Bozen
Waltherhaus,
Schlernstr. 1,
39100 Bozen
Artur Weigandt schreibt als Chronist der Heimatlosen über den Zusammenbruch der Sowjetunion, die Suche nach der eigenen Herkunft und den Krieg in der Ukraine.
Uspenka, ein Plandorf in der weiten Steppe im heutigen Kasachstan, in dem alles parallel zueinander läuft: Straßen, Menschen, Kühe. Alles, was in Uspenka geschah, könnte auch im Rest der UdSSR so geschehen sein: die Repressionen, der Zwang, die Deportationen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion verwaiste Uspenka. Viele Menschen gingen weg und begannen ein neues Leben in der Fremde. Und wurden damit zu Verrätern ihrer Heimat.
Artur Weigandt, selbst in Uspenka geboren, hat einen journalistischen Heimatroman geschrieben, über ein Dorf, das für den Lauf der Geschichte nie eine Rolle spielte, und über die Menschen, in deren Erinnerungen das Dorf weiterlebt. Mit diesen Menschen spricht er, und er folgt den Spuren, die Flucht und Vertreibung in seiner eigenen Familie hinterlassen haben. Nur um am Ende festzustellen, wie sehr der russische Angriff auf die Ukraine seine Identität infrage stellt.
"Hart, rätselhaft, verletzbar, diese Mischung verleiht der Geschichte, die erzählt wird, ihre Eigentümlichkeit. ... Weigandt, der selbst in Deutschland aufgewachsen ist, beschreibt seine Reisen nach Kasachstan und nach Kiew mit eindrücklicher Präzision und Melancholie. ... Man folgt dem Autor gerne durch den Irrgarten seiner eigenen Biografie." Xaver von Cranach, Der Spiegel, 01.04.23
"Ein phantastischer Mix aus Autobiographie und politischer Analyse." Julia Encke, FAS, 09.07.23
"Ein gewichtiges Erstlingswerk, das interessant zwischen Autofiktion und politischem Essay changiert ... Die Kapitel, in denen Artur Weigandt beschreibt, wie sich die Opfer mit dem Aggressor identifizieren, zeugen von einer enormen geistigen Unabhängigkeit, und manche Szenen sind herzzerreißend ... Ohne auf diesen großen Vorläufer Bezug zu nehmen, bewegt Artur Weigandt sich mit dem Motiv des Verrats auf den Spuren Milan Kunderas." Jörg Lau, Die Zeit, 13.07.23
„Das Buch hat diese russische Traurigkeit, es hat Wortwitz, es erklärt wahnsinnig viel über die russischsprachige Community in Deutschland. Es ist sehr lebhaft, einerseits komisch, andererseits traurig, aber wirklich sehr bewegend.“ Catrin Stövesand, Deutschlandfunk Kultur, 29.07.23
"Ein literarischer Stammbaum einer Familie … Mit gerade mal 153 Seiten ist das Buch zu kurz, um alles sagen zu können, was es zu diesem Thema zu sagen gäbe, aber lang genug, um zu beginnen zu verstehen. Ein Buch, das nicht nur die Geschichte eines Einzelnen erzählt, sondern für viele postsowjetische Biografien in Deutschland steht." Johanna Müller, Süddeutsche Zeitung, 08.04.23
"Ein lesenswertes, weil aufklärerisches und vor allem sehr gegenwärtiges Buch." Christoph Schröder, Deutschlandfunk, 03.05.23
"Die Form ist entscheidend für die Wirkung des Textes. ... Es ist in einem autobiografischen Reportagestil verfasst, den man durchaus in der berühmten Erzähltradition Joan Didions sehen kann. ... Berichtsstil und Dialogform wechseln sich ab. So oszilliert der Text gekonnt zwischen Nähe und Distanz. ... Es ist bewegend zu lesen, wie dieser Autor als Kind der postsowjetischen 90er Jahre nach seinem Platz sucht – hin- und hergerissen zwischen dem Erinnerungs- und Sehnsuchtsort Uspenka und Deutschland, der noch immer etwas fremden neuen Heimat." Angela Gutzeit, SWR2, 26.05.23
"Bei der Lektüre dieses wichtigen Buches, das zwischen autobiographischen und literarischen Episoden und analytischen Einwürfen wechselt, das mit wunderbaren erzählerischen Passagen ausstaffiert wird, ist kein Schongang angesagt. … Weigandt schont auch sich selbst nicht, traktiert sich mit Zweifeln, er legt die Finger in Wunden, evoziert bewusst Schmerz und Trauer und Wut – um den einzigen Prozess anzustoßen, der helfen kann: den der Erkenntnis." Ingo Petz, neues deutschland, 31.05.23
"Es sind Details, die das Buch von Artur Weigandt so besonders machen: Das große Drama eines schrecklichen Kriegs und seiner Folgen wird in ‚Die Verräter‘ auch über das Kleine erzählt. Das scheinbare Kleine." Christoph Amend, Zeit-Newsletter "Der Tag", 13.04.23
„Ein beeindruckender Text. Weil er so furchtlos ist. Und so klar. Mit präziser, oft literarischer Sprache zeigt Artur Weigandt, dass das, was er für eine russische Heimat gehalten hat, im Grunde genommen eine Illusion ist.“ Felix Münger, SRF Kultur, 31.07.23
"153 Seiten, die es in sich haben. Und es muss in diesem Fall zuallererst über die Form gesprochen werden, denn sie ist bestechend. Artur Weigandt erzählt zwischen Elementen der Reportage, essayistischen Passagen und Autobiografischem vom postsowjetischen Leben in Deutschland. ... Ganz besonders eindrücklich sind die Gegenschnitte zwischen Momenten des Erinnerns an eine frühere Tristesse und dem Krieg in der Ukraine jetzt." Nora Zukker, Tages-Anzeiger, 25.04.23
„Gerade vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist dieses schmale Buch eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Lebensgeschichten, die in keine Schubladen passen.“ Karin Cerny, profil, 30.07.23
"Die knappen und pointierten Miniaturen beschreiben atmosphärisch Erinnerungen an die Kindheit, reflektieren Russlands Krieg gegen die Ukraine und geben Momentaufnahmen aus den siebziger und achtziger Jahren wieder. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie in der Sowjetunion kulturelle und individuelle Unterschiede verwischt und unterdrückt wurden. … 'Die Verräter' ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich aus der Schilderung persönlicher Erfahrungen die großen Zusammenhänge besser begreifen lassen." Norma Schneider, Tagebuch, 07.07.23
Artur Weigandt
Lieber Artur, warum trägt dein Buch den Titel Die Verräter, um was für Verräter geht es darin?
Verräter, das sind Menschen, die ein Geheimnis oder Ideal preisgeben, das als „schützenswert“ gilt. In meinem Buch geht es aber weniger um Geheimnisse, die verraten werden. Das, was von den „Verrätern“ offensichtlich verraten wird, ist die Geschichte, die Kultur und die Identität ganzer Völker. Belarussen, Russlanddeutsche, Ukrainer, Georgen, sogar Mongolen und Kasachen, sie sollten in der damaligen UdSSR einander angeglichen werden. Sie sollten alle zum sowjetischen Menschen werden: Russisch sprechend und angepasst. Verrat, das ist in der sowjetischen, in der postsowjetischen Geschichte eine immer präsente Form. Es geht um den Verrat an der eigenen Bevölkerung und um den Verrat der eigenen Heimat.
Mein Buch erzählt von diesem Verrat in einem Dorf, Uspenka, das eigentlich unscheinbar und unsichtbar in der Geschichte der Sowjetunion ist. Denn alles, was in diesem Dorf geschah, könnte auch im Rest der UdSSR so geschehen sein. Vielleicht in einem kleineren oder auch in einem größeren Ausmaß. Aber im Großen und Ganzen: Geschah es. Dieses Dorf symbolisiert für mich die Repression und den Zwang, dem die Menschen überall in der Sowjetunion ausgesetzt wurden. Deportationen, Vertreibung und der Zwang, an einem Ort zu leben, an dem man eigentlich nie leben wollte, und wenn man ihn dann doch verlässt, wird man zum Verräter für die Verlassenen.
Du bist zwischen den Welten aufgewachsen, ohne je eine richtige Heimat zu finden, weil du weder in Kasachstan zuhause warst noch in Deutschland. Warum kann Heimat gefährlich sein?
Vor einiger Zeit habe ich mal die Redewendung „Heimat ist dort, wo man singt“ aufgeschnappt. Ich musste etwas schmunzeln. Heimat kann natürlich schön sein, aber für viele bedeutet Heimat auch Angst. Heimat ist immer mit Erwartungen verknüpft. Heimat bedeutet auch, an einem Ort aufzuwachsen oder geboren zu werden, in dem noch der kleinste Gedanke an eine bessere Welt bestraft werden kann. Es bedeutet auch Ruhelosigkeit und Verlust. Die Heimat zwingt jeden, sich anzupassen. Wer lange nicht mehr dort war, fällt bei der Rückkehr auf. Dein Akzent verrät dich dann. Die Insider kennt man nicht mehr. Du wirst ein Fremder sein in einem Ort, der eigentlich zu dir gehört. Man wird zum ewigen Besucher.
Dein Debüt bewegt sich zwischen den Genres, es ist weder Roman noch Memoir. Wie stark schreibst du entlang deiner eigenen Biografie?
Eigentlich bin ich Journalist. Meine Aufgabe ist es, Geschichten korrekt und sachlich einzufangen. Doch dieses Mal war es einfach nicht möglich, nur auf Fakten zu bestehen. Ich bin nämlich auch noch ein Mensch, der durch seinen postsowjetischen Hintergrund beeinflusst wurde. Ich kenne das russische Staatsfernsehen, die Propaganda, Fake und Lüge. Oftmals auch unklare Erinnerungen, die in ein bestimmtes Muster gepresst werden. Mir war es deswegen wichtig, dass dieses Buch immer wieder die Grenzen, die man ihm setzt, verlässt. Meine Biografie ist hierbei nur eine Orientierung, die ich mir gebe. Denn vieles von den Dingen, an die ich mich erinnere, ist vielleicht passiert. Vielleicht sind diese Erinnerungen aber auch trügerisch und falsch. So ist es doch immer, wenn man an seine Heimat denkt, oder? Dann tauchen oftmals Bilder auf, die mit der Realität auch nicht mehr übereinstimmen. Und dort bewegt sich das Buch: zwischen den Stühlen und den Erinnerungen. Vielleicht trägt das Buch gerade dann die nötige Wahrheit, wenn es im Unklaren bleibt.
In deinem Buch kommen sehr viele unterschiedliche Menschen vor. Was war die interessanteste Begegnung?
Es gab sehr viele interessante Begegnungen, die ich im Einzelnen nicht verraten möchte. Es sind oftmals gescheiterte und gefallene Personen. Menschen, die sich vielleicht nicht von Deutschland verraten fühlen, aber von ihrer Heimat und den Versprechungen, die sie sich hier gemacht haben. Aber die interessanteste Begegnung hatte ich mit meiner eigenen Biografie, mit meinen Eltern. Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, mich dazu zu zwingen, mich auch mit ihrer Herkunft zu identifizieren.
Auf dem Cover deines Buches sieht man dich als Jungen mit einem Hahn. Welche Geschichte steckt hinter diesem Bild?
Diesen Hahn hat mir meinen Großvater am Silvester- und Neujahrsfest in die Arme gedrückt. An diesem Tag kam auch Väterchen Frost, verteilte Geschenke, und gleichzeitig war es für uns chinesisches Neujahr, das Jahr des Hahnes. Das sollte Glück bringen. Obwohl das chinesische Neujahr erst Ende Januar beginnt. An diesem Bild, finde ich, merkt man, dass dieses Dorf irgendwie zwischen den Kulturen liegt, genau wie ich, wie mein Buch.
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„Artur Weigandt schreibt klar und angenehm melancholisch über Abschied, Reise und Ankunft – und über den Verrat, der jedem Weggehen innewohnt. Ein wichtiges Buch, das genau im rechten Moment kommt.“ Daniel Schulz
"Weigandts Heimatroman" Die Verräter" ist eine längst überfällige Chronik der Mehrheit der sogenannten Aussiedler und Russlanddeutschen.Mit sehr viel Empathie beschreibt der Chronist dieser Volksgruppe, die nirgendwo richtig zuhause ist, die ihre Wurzeln sucht und doch nicht findet.Mich hat das Buch sehr betroffen gemacht, gleichzeitig versuche ich noch mehr Verständnis für diese heimatlosen Menschen aufzubringen. Sie sind die eigentlichen Opfer des Zerfalls der Sowjetrepublik. Danke an den Hanser Verlag, dass sie dieses kleine Buch herausgegeben haben." Karin Kersten, Buchhändlerin