5 Fragen an ... Artur Weigandt

5 Fragen an ... Artur Weigandt

Lieber Artur, warum trägt dein Buch den Titel Die Verräter, um was für Verräter geht es darin?
Verräter, das sind Menschen, die ein Geheimnis oder Ideal preisgeben, das als „schützenswert“ gilt. In meinem Buch geht es aber weniger um Geheimnisse, die verraten werden. Das, was von den „Verrätern“ offensichtlich verraten wird, ist die Geschichte, die Kultur und die Identität ganzer Völker. Belarussen, Russlanddeutsche, Ukrainer, Georgen, sogar Mongolen und Kasachen, sie sollten in der damaligen UdSSR einander angeglichen werden. Sie sollten alle zum sowjetischen Menschen werden: Russisch sprechend und angepasst. Verrat, das ist in der sowjetischen, in der postsowjetischen Geschichte eine immer präsente Form. Es geht um den Verrat an der eigenen Bevölkerung und um den Verrat der eigenen Heimat.
Mein Buch erzählt von diesem Verrat in einem Dorf, Uspenka, das eigentlich unscheinbar und unsichtbar in der Geschichte der Sowjetunion ist. Denn alles, was in diesem Dorf geschah, könnte auch im Rest der UdSSR so geschehen sein. Vielleicht in einem kleineren oder auch in einem größeren Ausmaß. Aber im Großen und Ganzen: Geschah es. Dieses Dorf symbolisiert für mich die Repression und den Zwang, dem die Menschen überall in der Sowjetunion ausgesetzt wurden. Deportationen, Vertreibung und der Zwang, an einem Ort zu leben, an dem man eigentlich nie leben wollte, und wenn man ihn dann doch verlässt, wird man zum Verräter für die Verlassenen.

Du bist zwischen den Welten aufgewachsen, ohne je eine richtige Heimat zu finden, weil du weder in Kasachstan zuhause warst noch in Deutschland. Warum kann Heimat gefährlich sein?
Vor einiger Zeit habe ich mal die Redewendung „Heimat ist dort, wo man singt“ aufgeschnappt. Ich musste etwas schmunzeln. Heimat kann natürlich schön sein, aber für viele bedeutet Heimat auch Angst. Heimat ist immer mit Erwartungen verknüpft. Heimat bedeutet auch, an einem Ort aufzuwachsen oder geboren zu werden, in dem noch der kleinste Gedanke an eine bessere Welt bestraft werden kann. Es bedeutet auch Ruhelosigkeit und Verlust. Die Heimat zwingt jeden, sich anzupassen. Wer lange nicht mehr dort war, fällt bei der Rückkehr auf. Dein Akzent verrät dich dann. Die Insider kennt man nicht mehr. Du wirst ein Fremder sein in einem Ort, der eigentlich zu dir gehört. Man wird zum ewigen Besucher.

Dein Debüt bewegt sich zwischen den Genres, es ist weder Roman noch Memoir. Wie stark schreibst du entlang deiner eigenen Biografie?
Eigentlich bin ich Journalist. Meine Aufgabe ist es, Geschichten korrekt und sachlich einzufangen. Doch dieses Mal war es einfach nicht möglich, nur auf Fakten zu bestehen. Ich bin nämlich auch noch ein Mensch, der durch seinen postsowjetischen Hintergrund beeinflusst wurde. Ich kenne das russische Staatsfernsehen, die Propaganda, Fake und Lüge. Oftmals auch unklare Erinnerungen, die in ein bestimmtes Muster gepresst werden. Mir war es deswegen wichtig, dass dieses Buch immer wieder die Grenzen, die man ihm setzt, verlässt. Meine Biografie ist hierbei nur eine Orientierung, die ich mir gebe. Denn vieles von den Dingen, an die ich mich erinnere, ist vielleicht passiert. Vielleicht sind diese Erinnerungen aber auch trügerisch und falsch. So ist es doch immer, wenn man an seine Heimat denkt, oder? Dann tauchen oftmals Bilder auf, die mit der Realität auch nicht mehr übereinstimmen. Und dort bewegt sich das Buch: zwischen den Stühlen und den Erinnerungen. Vielleicht trägt das Buch gerade dann die nötige Wahrheit, wenn es im Unklaren bleibt.

In deinem Buch kommen sehr viele unterschiedliche Menschen vor. Was war die interessanteste Begegnung?
Es gab sehr viele interessante Begegnungen, die ich im Einzelnen nicht verraten möchte. Es sind oftmals gescheiterte und gefallene Personen. Menschen, die sich vielleicht nicht von Deutschland verraten fühlen, aber von ihrer Heimat und den Versprechungen, die sie sich hier gemacht haben. Aber die interessanteste Begegnung hatte ich mit meiner eigenen Biografie, mit meinen Eltern. Ich hatte beim Schreiben das Gefühl, mich dazu zu zwingen, mich auch mit ihrer Herkunft zu identifizieren.

Auf dem Cover deines Buches sieht man dich als Jungen mit einem Hahn. Welche Geschichte steckt hinter diesem Bild?
Diesen Hahn hat mir meinen Großvater am Silvester- und Neujahrsfest in die Arme gedrückt. An diesem Tag kam auch Väterchen Frost, verteilte Geschenke, und gleichzeitig war es für uns chinesisches Neujahr, das Jahr des Hahnes. Das sollte Glück bringen. Obwohl das chinesische Neujahr erst Ende Januar beginnt. An diesem Bild, finde ich, merkt man, dass dieses Dorf irgendwie zwischen den Kulturen liegt, genau wie ich, wie mein Buch.

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