Presse
"Mit gutem Grund stand der Roman 2021 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Außergewöhnlich die Technik, mit der das Leben eines Mannes, der kurz vor seinem 60. Geburtstag steht, besichtigt wird." Stefan Michalzik, Frankfurter Rundschau, 20.01.22
"Ein ganz und gar erstaunlicher Roman. Erstaunlich wegen der Virtuosität, mit der Gstrein hier einige seiner alten Themen und literarischen Verfahren aufgreift, variiert und weiterentwickelt, erstaunlich, weil man sich verwundert die Augen reibt und sich fragt, wie dieser Autor es eigentlich verhindert, dass ihm die Vielzahl der Themen und Motive, die hier verhandelt werden, um die Ohren fliegt." Hubert Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.09.21
"Ein fulminant konstruierter Roman, der alles dafür tut, keine endgültige Wirklichkeit zuzulassen." Hubert Winkels, Die Zeit, 08.04.21
„Norbert Gstrein versteht sich hervorragend darauf, die inneren Konflikte seiner Helden in Form einer bewegten Romanhandlung bildhaft, dramatisch, figurenreich und mit zahlreichen farbig geschilderten Schauplätzen darzustellen.“ Eberhard Falck, BR2 Diwan, 23.03.21
"Heimat, Identität, Schuld und das Spiel mit der Autofiktion – es sind Gstreins gewohnte Themen, die er im jüngsten Roman mit erzählerischer Brillanz aufgreift. ... Der Versuch, ein ganzes Leben in Worte zu fassen, kann nur ein Versuch bleiben. Im Fall von ‚Der zweite Jakob‘ ist er geglückt.“ 3sat Kulturzeit, 22.03.21
"Sowohl intellektuelle als auch sinnliche Prosa. ... Was bei der Lektüre dieses so intensiven Romans den Atem verschlägt, ist nicht nur der gekonnte Wirbel mit den Identitätsdiskursen unserer Zeit, sondern auch die biografische Dringlichkeit." Carsten Otte, Der Tagesspiegel, 21.02.21
"Eine große literarische Zirkelbewegung aus Schuld und Sühne, Reue und Buße, Fluch und Segen, Scheusal und Schwermut." Wolfgang Paterno, Profil, 21.02.21
"Gstrein treibt das Spiel mit Fakten und Fiktion, mit Realität und Möglichkeit, mit der Wahrheit, die immer nur im Plural zu haben ist, ebenso lust- wie kunstvoll bis an den Punkt, da aus einem Leben ein unbeschriebenes Blatt wird, das auch ganz anders gefüllt werden könnte. ... Immer wieder aufs Neue schafft er große Literatur." Andreas Wirthensohn, Wiener Zeitung, 20.02.21
"Dass seine Bücher sich ... mit so großem Genuss lesen lassen, liegt an Gstreins unverwechselbar eleganter Sprache, an den langen melodiösen Satzbögen, die etwas Umschmeichelndes haben. ... Gstrein beschwört eine Stimmung herauf, wie man sie aus den Filmen David Lynchs kennt. Bilder von geradezu pathetischer Schönheit gehen nahtlos über in surreale Szenarien, über denen etwas Bedrohliches liegt." Christoph Schröder, Deutschlandfunk, 14.02.21
"Was es heißt, eine Prophezeiung zu erfüllen bei dem Versuch, ihr zu entgehen, demonstriert Gstrein nach allen Regeln der Kunst." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 16.02.21
"Das ist das Tolle an diesem Buch: Wie durch das Erzählen eines Lebens ein Leben zur Geltung kommt. … Ein echter Page-Turner, der einen auf die zentrale Frage bringt: Wie spricht man über sich selbst und das eigene Leben und welche Lügen gehören dazu, um eine wie auch immer geschaffene Wahrheit zu bilden." Jörg Magenau, rbb Kulturradio, 18.02.21
"Ein mitreißender Roman über den verzweifelten Versuch, sich der eigenen Herkunft und einer beschämenden Biografie zu entledigen.“ Carsten Otte, SWR2 Literatur, 15.02.21
"Norbert Gstrein ist der Meister des Unzuverlässigen. ... Kaum ein deutschsprachiger Autor hat das literaturtheoretische Konzept des 'unreliable narrator' so perfektioniert und immer wieder originell variiert wie Gstrein." Richard Kämmerlings, Die Welt, 13.02.21
"Es ist beeindruckend, wie kalkuliert Norbert Gstrein seine literarischen Mittel wählt. ... Ein fabelhaft komponiertes Buch." Hilmar Klute, Süddeutsche Zeitung, 15.02.21
"Gründlich nachdenken, was ein gründliches Leben ist ... So ist Norbert Gstrein: Selbst bei drei Wörtern (Der zweite Jakob) kann man nicht aufhören, darüber nachzudenken. Wie soll das nach 447 Seiten enden, wenn der Autor in Höchstform ist? Wahrscheinlich kann es nie enden." Peter Pisa, Kurier, 13.02.21
5 Fragen an …
Norbert Gstrein
Lieber Norbert Gstrein, vermutlich handeln gute Romane von vielen verschiedenen Dingen und stellen viele verschiedene Fragen. Aber gibt es für Sie dennoch ein Zentrum von Der zweite Jakob, einen einzigen Satz, mit dem man das Buch beschreiben könnte?
Und wenn ich nein sage? Wenn ich das mache, was angeblich Martin Amis einem Interviewer gegenüber auf die Frage gemacht hat, worum es in seinem Roman gehe? Er soll ihm wortlos das Buch in die Hand gedrückt haben, und natürlich hatte er recht damit. Ein Roman ist ja neben vielem anderen immer auch die verwegene Behauptung, dass jeder einzelne Satz in ihm notwendig sei. Mein Roman hat lange den Arbeitstitel Letzte Liebe getragen. Das klingt nicht unbedingt nach einem Titel von mir, und wie ich darauf gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich habe dann jedenfalls dreihundertfünfzig Seiten geschrieben, in denen es um ganz etwas anderes geht, aber immer unter dem Vorzeichen, es würde um die letzte Liebe gehen, bis ich schließlich fast ganz am Ende ein Kapitel geschrieben habe, in dem es genau darum geht.
Die Hauptfigur Jakob denkt immer wieder über bestimmte Ereignisse in seinem Leben nach, bei denen er sich womöglich falsch verhalten hat. Ist solches Schuldempfinden sein individuelles Problem, oder was erzählt es über ihn hinaus?
Es ist ein allgemeines Problem, vielleicht nicht in dieser Intensität, aber prinzipiell, weil sich auch scheinbar wohlüberlegte Handlungen im nachhinein als gar nicht so wohlüberlegt herausstellen. Bei Jakob spitzt es sich vor allem in einer Situation zu, in der er sich an der mexikanisch-amerikanischen Grenze mit einer mexikanischen Fabrikarbeiterin einlässt. Das ist genau zu der Zeit, in der dort eine Serie von grausamen Frauenmorden stattfindet, und er sieht in den Augen der jungen Frau, dass sie ihn für einen möglichen Mörder hält. Dieser Blick verfolgt ihn in den Jahren darauf. Er macht ihn zu einem Vertreter aus dem reichen Norden, der sich an einem Mädchen aus dem armen Süden vergangen hat, aber wirklich in die Knochen geht ihm die Geschichte erst, als er in einer Krise mehr vom Leben seiner eigenen Tochter erfährt.
Auch in diesem Roman von Ihnen zieht es also jemanden in die Ferne, in die USA. Hat sich Ihr Schreiben über Amerika durch die zunehmend erbitterte amerikanische Politik der letzten Jahre verändert?
Es ist ja in den letzten Jahren immer wieder gesagt worden, der gerade abgewählte amerikanische Präsident lasse in seiner ganzen Schrecklichkeit so manchen seiner auch schrecklichen Vorgänger als weniger schrecklich erscheinen. Vielleicht hat mir das erst möglich gemacht, den nach seinem Mittelinitial “W” benannten “Dubya” in meinem Roman auftreten zu lassen, damals Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch Gouverneur von Texas, später der dreiundvierzigste Präsident der Vereinigten Staaten. Jakob trifft bei einem Festbankett in El Paso auf ihn, und obwohl er mit seiner Politik nichts anfangen kann, weigert er sich nach diesem persönlichen Treffen in die Diffamierungschöre einzustimmen, wie es heimische Medien von ihm als Schauspieler mit der größten Selbstverständlichkeit verlangen.
Was meinen Sie, was soll große Literatur bewirken?
Sie kann ein anderes Bewusstsein vom spezifischen Gewicht jedes Lebens erzeugen. Sie zeigt Figuren selbst in ihrer Kleinheit und mit ihren Schwächen als Menschen und lässt auch ein vermeintlich nicht gelebtes Leben wie ein gelebtes aussehen. Sie kann einen daran erinnern, dass leben etwas ist, das man gründlich machen sollte, bevor es zu spät ist – was in seinem Anspruch bescheidener klingt, als es gemeint ist. Denn wenn alle sich daran hielten und dazu noch gründlich über das Wort “gründlich” nachdenken würden, wäre es fast schon ein politisches Programm.
Eigentlich würde man ja immer fragen, was beim Lesen aus einem vollendeten Roman zu lernen wäre – aber drehen wir es doch einmal um: Gibt es etwas, das Sie beim Schreiben des Romans gelernt haben, das Sie heute anders sehen als vor den ersten Zeilen?
Ich habe vorher schon geahnt, dass ich besser einen bestimmten Abstand zu meinen Figuren halten sollte, insbesondere zu dem Ich des Erzählers, das ich bin und das ich nicht bin, und weiß es jetzt genauer. Dieser Erzähler ist nach dem Jakob meines ersten Buches benannt. Dessen Titel war Einer, und ich kann nicht sagen, ob ich vor den neuen Roman das klassische “Ich ist ein anderer” oder nicht doch eher “Ich ist kein anderer” setzen würde. So viel zu meiner eigenen Verwirrung und der Verwirrung aller Leserinnen und Leser. Was ich auf jeden Fall gelernt habe, ist Handwerkliches. Das lernt man immer und kann sich so einbilden, man sei auf einem zielsicheren Weg zum perfekten Roman, selbst wenn es erst der nächste oder übernächste sein sollte oder am Ende der, den man nicht mehr schreiben wird. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass tatsächlich meistens die drei Punkte schon reichen, um den Kreis auch sichtbar zu machen, den man durch drei beliebige Punkte legen kann. Vielleicht braucht es noch einen vierten, fünften oder sechsten, aber jeder weitere ist dann schon einer zu viel und verdirbt die ganze Sache. Es ist ein großes, jedoch weit verbreitetes Missverständnis, Genauigkeit entstehe aus einem Mehr und Mehr und Mehr.