Autorenschreibtisch: Niklas Maak

Autorenschreibtisch: Niklas Maak

Ein aufgegebener Schreibtisch

Ich liebe leere Schreibtische. Leider hält sich dieser Zustand bei meinem Schreibtisch nicht lange, der Tisch wächst, egal, wie groß er ist, schneller als ein Dschungel mit allem Möglichem zu, mit aufgeschlagenen Büchern, Zetteln mit Notizen, alten Fotos, Zeitungsausrissen. Zu wissen, dass in irgendwelchen Kisten interessante Materialien lagern, die ich, weil ich sie nicht mehr sehe, vergessen habe, macht mich nervös; ich muss beim Schreiben alles nebeneinanderliegen haben. Wenn ich Dinge stapele, sinken die unteren Bücher und Zettel und Bilder sofort einem gefährlichen Vergessen entgegen, weswegen nur Zettel, die bereits verarbeitet wurden, in Kisten landen. Ich habe gedacht, mein Schreibtisch ist vielleicht einfach zu klein und mir einen größeren gekauft, aber auch der große Schreibtisch wucherte rasend schnell mit Auslagen voll, und an einem bestimmten Punkt wanderten die Papiere und Notizen und Materialien vom Tisch über hektisch aufgepflanzte Beistelltische bis hinunter auf den Boden und fluteten dort alles so gründlich, dass ich Probleme bekam, überhaupt bis zum Schreibtisch vorzudringen. Freunde, die Berufe haben, in denen man hauptsächlich telefoniert und keinerlei Papier benötigt, kamen vorbei und schüttelten den Kopf: Wie man in so einem Chaos arbeiten könne; dann, das Mobiltelefon triumphierend in die Luft haltend: Hier! Alles drin, was ich brauche! Aber die Dinge wucherten weiter durch den Raum, bis er nur noch auf Zehenspitzen zu durchschreiten war. Diesen Moment zeigt das Foto, das Tobias Heyl machte. In diesem Moment, als das Arbeitszimmer von Ideen und Materialien vollständig überwuchert war, beschloss ich, es zu verlassen und mir hinten in der Kammer einen sehr kleinen Schreibtisch aufzustellen. Wenn ich morgens mit dem Schreiben beginne, gehe ich ins überschwemmte Arbeitszimmer, nehme (wie jemand, der eine kleine Tasche fürs Wochenende packt) nur wenige Bücher, Bilder und Zettel mit, die ich zum Schreiben für den Tag brauche. Spätestens ein paar Stunden später gehe ich dann wieder nach vorn und untersuche die archäologische Landschaft, die sich dort ausbreitet, auf Ideen, die ich vergessen haben könnte. So gesehen zeigt das Foto gar nicht meinen Schreibtisch, sondern ein Lager, in dem unter anderem ein aufgegebener Schreibtisch begraben ist.

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