Autorenschreibtisch: Arno Geiger

Autorenschreibtisch: Arno Geiger

Nachdenken über meinen Schreibtisch

In mancher Hinsicht ist der Schreibtisch der einzige Ort, an dem ich nicht bin. Wenn ich dort sitze und schreibe, bin ich woanders. Überall sonst befinde ich mich dort, wo ich mich aufhalte. In der Küche bleiben meistens auch die Gedanken in der Nähe. Aber am Schreibtisch entfernen sich die Gedanken.
Der Schreibtisch ist eine Tür zur Welt, zur Wildnis des Lebens. Ich schreibe meine Bücher weitgehend mit geschlossenen Augen.
Am unordentlichsten ist mein Schreibtisch, wenn ich nicht schreibe. Dann schmeiße ich dort alles hin, und die Dinge langweilen sich für ein paar Wochen. In solchen Zeiten kommt es vor, dass der Schreibtisch regelrecht zugeschneit ist von Papier und Büchern. Es macht dann den Eindruck, als würde ich arbeiten wie ein Wilder, es passiert aber beinahe das Gegenteil. Jedenfalls arbeite ich nicht am Schreibtisch, sondern in Gedanken oder dadurch, dass ich mich am Leben beteilige. Das Schreiben ist nicht der Sinn des Lebens, der Sinn des Lebens ist das Leben selbst.
Ich finde es nicht gut, ständig am Schreibtisch zu sitzen. Ich werde dort nicht nur physisch, sondern auch als Mensch ganz schief. Deshalb zieht es mich oft hinaus oder ich bummle durch die Wohnung. Ich liebe meinen Alltag. Aber wenn ich wieder mit Schreiben begonnen habe, liebe ich meinen Schreibtisch. So ein Schreibtisch ist Stütze im doppelten Sinn. Ich kann den Ellbogen aufsetzen und das Kinn in die Hand legen, und alles ist verbunden, Kopf, Arm, Tisch und Welt.
Momentan liegt am Schreibtisch ein Stoß mit Post, die ich teils schreiben und teils beantworten soll. Bin aber viel zu müde dazu. Ich habe deshalb einen Stein auf den Stoß gelegt, damit er weniger hoch erscheint. Sieht gleich besser aus.

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