5 Fragen an ... Percival Everett

5 Fragen an ... Percival Everett

Lieber Herr Everett, in ihrem Roman Erschütterung wird eine besonders berührende Vater-Tochter-Beziehung erzählt, die mit dem schleichenden Verlust einer geliebten Person einhergeht. Sind Sie selbst mit einem ähnlichen Thema in Berührung gekommen?
Ich kann nicht genau sagen, wie ich zu der Geschichte gekommen bin. Es gibt keinen wirklichen Ausgangspunkt. Aber ich bin selbst ein Vater und mache mir Sorgen um meine Kinder, während unsere Welt immer gefährlicher wird. Das bringt mich dazu, auch über meinen eigenen Einfluss auf den Zustand der Welt nachzudenken.

Man könnte den Protagonisten als einen Retter sehen, er hilft fremden Menschen in einer aussichtslosen Situation. Aber gleichzeitig vernachlässigt er dadurch seine Familie, lässt seine Frau mit ihrer Trauer allein. Ist Zach ein guter Mensch oder doch eher ein Egoist?
Auf eine gewisse Weise sind seine Handlungen unglaublich selbstzentriert. Ein eigennütziger Retter. Das fand ich interessant, kann man es doch auf alle unsere Entscheidungen beziehen. Wäre Zach zu Hause geblieben, hätte er im Gegenzug diese Frauen ihrem Schicksal als Gefangene überlassen. Genau das ist Kierkegaard: Egal was du tust, du wirst es bereuen. Es gibt keinen puren Altruismus, wenn man auf eine Heldentat stolz ist oder andere beeindruckt, macht man es auch für sich selbst.

Ihr Roman weist Einsprengsel auf, die die Handlung wiederholt unterbrechen, wie zum Beispiel die Erwähnung von Knochenfunden in Höhlen, Schachzügen und Gemäldetiteln aus dem Louvre. Diese Einwürfe werden für die Leser nicht kommentiert oder erklärt – welchen Effekt wollten Sie mit dieser Technik erzielen?
All diese Dinge sind aus unterschiedlichen Gründen in den Roman eingeflossen. Da ich offensichtlich kein Paläontologe bin, waren die eingeschobenen Notizen über Knochenfunde eine Möglichkeit für mich, eine Verbindung zu meiner Hauptfigur über seinen Beruf zu knüpfen. Das im Text mitlaufende Schachspiel zeichnet einzelne Figurenzüge eines berühmten Matchs nach – ich spiele selbst Schach, während ich an meinen Büchern arbeite. Und es dient als ein Fenster zu den Problemen der Tochter aufgrund ihrer fortschreitenden Krankheit, die Zach so unmittelbar miterlebt. Darüber hinaus gefallen mir strukturelle Unterbrechungen einfach, das erinnert mich an abstrakte Malerei, wo durch Irritationen Bedeutung erzeugt wird.

In Erschütterung dreht sich vieles um die Angst vor dem Tod, vor dem Verlust unserer Geliebten. So gesehen scheinen die meisten Handlungen des Protagonisten Zach Wells – sogar seine große Rettungsaktion – Versuche zu sein, sich von diesen Gedanken abzulenken. Kierkegaard, der auch das Motto für den Roman liefert, findet eine religiöse Antwort auf diese existenzielle Angst, Zach allerdings weist Religiosität immer wieder zurück. Ist er dennoch ein Glaubender?
Ich denke, dass es dabei nicht unbedingt um Glauben geht, sondern darum, im Moment zu leben. Das ist die einzige Erlösung, die wir im Leben kriegen können. Es geht nicht darum, seine Seele zu retten, sondern darum, zu sein. Das Leben selbst ist schon die Erlösung.

Es geht in einigen Ihrer Bücher um Rassismus, auch wenn Sie das Thema grundsätzlich auf sehr besondere Weise mit einer Portion Humor oder sogar als Satire angehen. Ist Erschütterung in Ihren Augen auch ein Buch über Race?
Da dezidiert Rassisten in der Geschichte auftauchen, würde ich sagen: auf jeden Fall. Aber gilt das nicht eigentlich für jeden amerikanischen Roman? Rassismus ist eine ur-amerikanische Erfahrung und er existiert wie Bäume oder Flüsse überall auf dieser Welt.

Gespräch: Piero Salabè

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