5 Fragen an ... Moshtari Hilal

5 Fragen an ... Moshtari Hilal

Liebe Moshtari Hilal, Hässlichkeit ist schon von der Form her ein außergewöhnliches Buch – kein Roman, kein Sachbuch, kein Gedichtzyklus, kein Bildband, aber all diese Elemente sind enthalten. Wie kamen Sie auf diese einzigartige Form?
Dieses Buch habe ich an erster Stelle als Künstlerin geschrieben, seine Formen, Ansätze und Methoden waren bereits vor dem Schreiben Teil meiner Arbeit. Ich denke grundsätzlich, die Form muss den Fragen folgen. Wenn diese einen Blick in die Geschichte verlangen, dann begebe ich mich dorthin. Wenn ich auf sie nur kryptisch durch Sprache antworten kann, weil ihre Implikationen anders verfälscht oder reduziert würden, dann schreibe ich lyrische Texte. Hässlichkeit ist dabei vor allem ein Annäherungsversuch an etwas, das vielfach mit Angst und Hass aufgeladen ist. Ich passe mich in meiner Textform all den Gegenständen an, in denen ich Symptome, Ursprünge oder Nachleben einer persönlichen und historisch erzeugten Hässlichkeit vermute.

Hässlichkeit ist auch ein sehr intimes Buch – immer wieder geht es um Sie und die möglichen Wahrnehmungen Ihres Körpers, Ihres Gesichts, um dann weitere Geschichten und Theorien und Gedanken dazuzustellen. Was bedeutet es für Sie, so schonungslos von sich aus zu schreiben?
Dieses Schreiben von einem Ich aus, aus der persönlichen Erfahrung und der materiellen und organischen Realität heraus, ist für mich maßgeblich. In der subjektiven Erfahrung finden wir Antworten auf die Abwesenheit oder die Feindseligkeiten in dem, was wir als sogenannte objektive Wahrheiten, Wissensbestände, Sehgewohnheiten und auch Ideale kennen. Was verrät unser persönliches Minderwertigkeitsgefühl und Unbehagen über die uns zugeschriebene und anerzogene Rolle in den kulturellen und politischen Erzählungen unserer Zeit? Um diese Frage zu beantworten, reicht es allerdings nicht aus, beim Ich zu bleiben. Erst Recherchen über die Grenzen des eigenen Körpers hinaus erlauben uns, einen Kontext zu schaffen, der entweder Sinn macht oder Unsinn aufdeckt und uns damit auch aus der mentalen Gefangenschaft und Einsamkeit der persönlichen Erfahrung befreit. Hässlichkeit handelt von der schambehafteten Einsamkeit in der Hässlichkeit und gleichzeitig von der Aufhebung dieser Scham und Einsamkeit: Das Buch vollzieht nach, dass Hässlichkeit jeden Menschen betrifft – ob betrachtet oder betrachtend.

Ist das Nachdenken über Körpernormen noch viel wichtiger als jemals zuvor im Zeitalter von Instagram und TikTok, mit ihren ständigen Performances von Körperidealen?
Ich denke, dass wir immer stärker das kulturelle Verständnis dafür verlieren, dass wir mehr sind als Repräsentationen, als Bilder, als Inszenierungen, als Objekte. Durch die sozialen Medien und den steigenden Druck, sich permanent selbst darzustellen, um relevant zu sein und sozial zu existieren, begeben wir uns immer weiter in die Bereiche von Selbstobjektifizierung und Vermarktung. Wir müssen uns ständig verbessern; effizienter, sichtbarer und ökonomisch attraktiver werden. Viele Menschen verfolgen diese Ziele vor allem durch ihre Körper, durch die Nachahmung oder Neuaushandlung von ästhetischen Normen und Idealen.

Das Buch erzählt auch eine Geschichte des unter anderem rassifizierten, weiblichen Körpers in einer Gesellschaft, die nach weißen männlichen Normen errichtet ist. Gibt es Orte und Ästhetiken, die sich dem westlichen, weißen, männlichen Blick entziehen können, oder herrscht er längst überall?
Hässlichkeit arbeitet sich vordergründig an einem eurozentrischen und westlichen Blick ab, der offensichtlich durch die Geschichte der europäischen Kolonisierung und den globalen Kapitalismus verbreitet wurde. In einem anderen Buch wäre es auch interessant, vergleichend zu arbeiten, nach den erfolgreich widerständigen oder möglicherweise unbeeinflussten Vorstellungen von Alter, Schönheit oder Normalität zu schauen. Mein Buch wandert aber bewusst zwischen zwei Fronten: Der Haut und den Knochen der Autorin und ihrer Außenwelt. Ich möchte in diesem Konflikt Zusammenhänge und Bezüge aufstellen, weshalb die wenigen Ausnahmen von ihm uninteressant sind und verblassen gegenüber den riesigen Maschinen und Ideologien, die massenhaft und seit der Modernisierung durchgehend so viele Sinne begrenzen und besetzen.

Das letzte Kapitel des Buches ist mit Versöhnung überschrieben. Kann man sich denn aussöhnen mit der uns alle umgebenden Praxis, dass Körper ständig eingeteilt, bewertet, hierarchisiert werden?
Versöhnung als das letzte Kapitel ist ein über diese Frage bewusst unsicheres und unentschiedenes Ende. Das konnte nicht anders sein, ohne ein falsches und moralisierendes Bild zu hinterlassen, das nicht meiner Realität entsprochen hätte. Es ist das eine, zu verstehen und zu lernen, und das andere, Glauben und Wissen in die Gewohnheiten der eigenen Sinne zu übersetzen. Wenn ich fast drei Jahrzehnte zwischen den Polen von Schönheit und Hässlichkeit gedacht und gehandelt habe, dann werden diese Pole sich nicht einfach durch eine rein intellektuelle oder ästhetische Aufarbeitung auflösen. Dieses Ringen hat die Form von Versöhnung bestimmt.

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