5 Fragen an ... Markus Orths

5 Fragen an ... Markus Orths

Lieber Markus Orths, die Handlung Ihres neuen Romans ist komplett im Dunkeln angelegt. Das allein wäre schon aberwitzig genug, Sie erzählen dabei aber auch noch von einer unglaublichen Begegnung, die siebenhundert Jahre Weltgeschichte überbrückt: Stan Laurel trifft auf Thomas von Aquin. Wie Sind Sie auf diese Idee gekommen?
Die Idee zu einem Roman beruht auf einer Vielzahl von Einfällen, Zufällen, bewussten Entscheidungen, nicht bewussten Reaktionen. Am Anfang des Romans Picknick im Dunkeln stand eine vollkommen andere „Idee“ (eine Parodie auf Dantes Göttliche Komödie, die in der Dunkelheit spielt). Die Idee hat sich rasch zerschlagen. Geblieben ist aber die Dunkelheit und Stan Laurel, als Travestie des Vergil. Ich mag das Lachen sehr, vielleicht gar nicht so sehr mein eigenes Lachen, als vielmehr die Chance (als Schriftsteller), andere Menschen zum Lachen zu bringen. Und Stan Laurel war jemand, der zu seiner Zeit die Möglichkeiten des Komischen radikal erweitert hat.
Nun wollte ich Stan Laurel im Dunkeln nach seinem Partner Oliver Hardy suchen lassen. Und er sollte – tastend – jemanden finden, der zunächst schweigt und ebenso dick ist wie Ollie, in allem anderen aber das genaue Gegenteil. Mir kam sofort Thomas von Aquin in den Sinn, der stumme Ochse, wie er genannt wurde, ein Schweiger, der so dick war, dass man ihm einen Halbmond für den Bauch in den Tisch sägen musste, wenn er schreiben wollte; zugleich einer der größten Denker, 700 Jahre entfernt von Stan. Solch ein Einfall ist eine Schnapsidee, die sich entweder in der Praxis des Recherchierens, Nachdenkens und Schreibens bewähren oder aber verworfen werden muss, wenn sie zu nichts führt. Aber Stan & Tommie – so hießen die zwei von Anfang an für mich – passten auf eine geradezu unheimlich gute Weise zueinander in ihren biographischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Genau das ist das berühmte „Unverfügbare“ eines Schreibprozesses.

Der Roman spielt auf der Handlungsebene in kompletter Dunkelheit. Was ist das für ein Ort? Wie kamen Sie dazu?
Thomas von Aquin vermutet im Text relativ schnell, dass es sich um den Bereich des Übergangs handelt, des Übergangs vom Leben in den Tod. Er kann dies alles auch ganz genau erklären: Die thomistische Geistseele erkennt weniger als mit den körperlichen Sinnen – sie „sieht“ nur Dunkelheit; zugleich aber erkennt sie auch mehr als mit den Sinnen: Ein Treffen zwischen Stan und Tommie wäre in der irdischen Welt unmöglich, in der Geistwelt, die der Zeit enthoben ist, sehr wohl. Die beiden tasten und irren nun durchs Dunkle, Thomas sagt, das Licht wird kommen, aber – es kommt nicht. Was die beiden auch erleben und bereden: Es bleibt finster.
Das hat mich von Anfang an gereizt. Einerseits einen Roman komplett im Dunklen spielen zu lassen: ganz auf das Sehen verzichten. Andererseits glaube ich nicht an die gängigen, von Nahtod-Erfahrungs-Berichten unterfütterten, religiösen Vorstellungen eines göttlichen Lichts am Ende des Tunnels. Dieses Licht wird dem Leser verweigert.

Wie hat sich der Roman beim Schreiben entwickelt?
Anfangs habe ich mich ganz vom Setting tragen lassen. Im Dunkeln geschehen ja auch abstruse Dinge. Stan und Thomas finden Gegenstände, einer stürzt beinah in ein Loch und so weiter. Neben dieser Handlungsebene im Dunkeln gibt es noch die Erinnerungsebene, auf der Stan und Thomas sich erinnern an ihre unterschiedlichen Leben sowie die Dialogebene, in denen die beiden miteinander sprechen. Hauptaufgabe war, alle drei Ebenen auf gleicher Höhe zu halten und organisch miteinander zu verweben. Die Handlungsebene ist eher absurd-abenteuerlich; die Erinnerungsebene trägt sicher Züge zweier (gebrochener) historischer Romane; die Dialogebene bietet Raum für Philosophisches (Nachdenken über den Tod oder das Lachen) und – durch die Zeitdiskrepanz – auch für Komisches, wenn Thomas mit Kant, Kopernikus konfrontiert wird, oder damit, dass der Mensch vom Affen abstammt.

Was war Ihre Hauptmotivation? Was war der Auslöser für Sie, diesen Text zu schreiben?
Neben dem Schreiben im Dunklen auch der Reiz, zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten aufeinander prallen zu lassen, die sonst niemals unter einen Hut gebracht werden können und die sich dem Leben von völlig unterschiedlichen Seiten nähern: von der Seite des Lachens und von der Seite des Denkens. Beides ist für mich wichtig. Ich mag Witze, in denen über den Tod gelacht wird. Und ich habe mich viel mit der Existenzphilosophie beschäftigt: Dort spielt der Tod eine zentrale Rolle. Das war der inhaltliche Attraktor für mich: das Phänomen des Todes im Angesicht des Denkens und des Lachens.
Sodann ging es mir um ein Hauptproblem unserer Zeit: dass wir dem anderen nicht mehr zuhören; den Standpunkt des anderen schon vorab verneinen. Es müsste heute mehr denn je darum gehen, den anderen zunächst einmal vom anderen her zu verstehen. Dann erst ins Gespräch zu kommen. Mit Argumenten. Gegenargumenten. Das habe ich bei Thomas versucht. Thomas von Aquins Denken steht mir sehr fern. An die Offenbarung einer göttlichen Wahrheit, die er predigt, glaube ich selber nicht. Ich habe seine Aussagen aber in diesem Roman nachzuvollziehen versucht.
Diese Ideen schwelten schon länger, Hauptauslöser dafür, den Roman zu schreiben, war dann sicher der Tod meines Vaters. Mein Vater war ein gläubiger Christ. Im Grunde genommen steckt mein Vater auch ein wenig in der Figur des Thomas. Genauer gesagt, all das, was mich – als Agnostiker – von meinem Vater trennt (und dem ich nachspüren wollte). Während in der Figur des Stan Laurel vieles von dem steckt, was mich mit meinem Vater verbindet, denn er hatte einen unvergleichlichen Humor. Insofern ist dieses Buch für mich auch eine Art Abschiednehmen: sich einem wichtigen Menschen noch einmal zu nähern, seinem fernen Glauben (Thomas), seinem nahen Lachen (Stan), mit ihm durchs Dunkle zu gehen, in dem er jetzt ist, ein Dunkel, das wir im Leben niemals durchdringen können, außer in der Imagination.

Kurz vor Schluss heißt es im Roman: „Im Schutz der Dunkelheit wachsen die Bilder wie Blüten …“, und Stan Laurel will mit Thomas in der Dunkelheit bleiben. Warum das?
Picknick im Dunkeln ist auch ein Buch über das Erzählen. Der eine erzählt dem anderen wichtige Augenblicke seines Lebens. Und in der Dunkelheit wachsen die Bilder, sprich, das, was der andere erzählt, wird sichtbar, fassbar, greifbar, nachvollziehbar. Das Fremde wird zu einer eigenen Vorstellung. Beim Menschen spielt sich viel im Bereich der Vorstellungskraft ab. Im Erzählen, im Glauben, im Leben und vor allen Dingen in den großen Legenden über das, was nach dem Tod geschieht. Erzählen bedeutet: die Dunkelheit verbannen. Und es bedeutet zugleich: mit einem anderen Menschen zu sein. Dafür stehen sowohl Stan als auch Tommy mehr als exemplarisch. Denn beide brauchten unabdingbar einen anderen Menschen für ihren Weg. Stan Laurels Komik erblüht erst durch die Begegnung mit Oliver Hardy; und Thomas von Aquins Denken reift erst durch die Entdeckung des Aristoteles, den er beinah zärtlich „den Philosophen“ nennt.

Newsletter
Newsletter