5 Fragen an ... Markus Orths

5 Fragen an ... Markus Orths

Lieber Markus Orths, Ihr Werk zeichnet sich dadurch aus, dass es formal und thematisch sehr vielseitig ist. Von Hörspielen über Kinderbücher bis hin zu Erzählbänden haben Sie sich schon mit vielen Stoffen literarisch auseinandergesetzt. Und jetzt haben Sie eine historische Person zu einer literarischen Figur gemacht. Wie trat Max Ernst in Ihr Leben und warum wollten Sie einen Roman über ihn schreiben?
Zunächst habe ich eine experimentelle Erzählung für das Max--Ernst-Museum in Brühl geschrieben über einige der dort ausgestellten Werke. Im Zuge dessen beschäftigte ich mich intensiv mit der Kunst und dem Leben Max Ernsts. Seine künstlerische Haltung hat mich sehr beeindruckt, dieser Wunsch, immer nach Neuem zu streben, diese rebellische, Grenzen sprengende Kraft, dieser atemlose, unruhige Blick auf die inneren Ungeheuer des Menschen. Sein faszinierendes, abenteuerliches Leben hat mir schier den Atem verschlagen: Kein Schriftsteller könnte etwas Ähnliches erfinden. Sofort reifte in mir der Wunsch, beides – Leben und Werk – zu einem Roman zu gestalten. Gerade in der heutigen Zeit, einer Zeit neuer Mauern und Ausgrenzungen, war es mir wichtig, an einen Menschen zu erinnern, der zeit seines Lebens für das Fremde, das Andere, das Neue und Unbekannte gekämpft hat: sei es für die Kunst psychisch kranker Menschen oder die Kunst der Ureinwohner Amerikas oder vieles andere mehr.

Das Leben von Max Ernst ist voller großer Spannungsfelder: Rebellion und Freiheit, Kunst und Wahnsinn, Heimat und Flucht, Frauen und Liebe. Sie haben sich dazu entschieden, tatsächlich auch über alles zu schreiben, alles zu erzählen, sein ganzes Leben. Haben Sie mal darüber nachgedacht, nur einen Aspekt herauszunehmen und einen viel schmaleren Roman zu schreiben?
Das wäre für mich nicht möglich gewesen. Zum ersten wollte ich wirklich dieses ganze Leben zeigen, in all seiner auch zeitgeschichtlich packenden Fülle, beispielsweise Max Ernsts Aufbegehren gegen das "Weiter-so" nach dem ersten Weltkrieg oder gegen die Menschen- und Kulturverachtung des Faschismus; sodann konnte ich meinen Fokus noch mehr auf die sechs wichtigsten Frauen in Max Ernsts Leben lenken und dadurch den Blick auf Max erheblich erweitern; zuletzt kommt durch die Darstellung seiner lebenslangen Suche nach Wahrheit, Liebe, Heimat und künstlerischem Ausdruck, durch seine lebenslange Flucht vor Hass, Ausgrenzung und Anfeindung, durch sein lebenslanges Anrennen gegen falsche Autoritäten, Borniertheit und Konformität eine spannende Lebens-Dramaturgie in den Roman: dieses ganze unglaubliche Leben zu zeigen, hat für mich etwas umfassenderes, kraft- und eindrucksvolleres als eine Beschränkung auf wenige Jahre.

Der Roman erzählt auch sechs Frauenbiographien, fächert sich formal in sechs Teile auf. Der Roman ist mit „Max” übertitelt, die einzelnen Teile mit den Vornamen der Frauen: „Lou”, „Marie-Berthe”, „Leonora” … Wie ist es zu diesem Erzählprinzip gekommen?
Anfangs trugen die einzelnen Teile Titel von Max Ernsts Werken, die in der jeweiligen Zeit entstanden waren. Im Lauf des Schreibens rückten aber seine Frauen und sein Freund Paul Éluard immer mehr in den Vordergrund, sodass die letztendliche Einteilung sich ganz von selbst ergab. Es war für mich nicht nur weitaus aufregender, Max im Spiegel seiner wichtigsten Menschen zu zeigen und so die Perspektive immer wieder wechseln zu können, sondern es entspricht auch Max Ernsts Lebensprinzip, den Anderen als Anderen zu Wort kommen zu lassen. Schließlich ist es aber auch so, dass diese sechs Frauen und Paul Éluard alle selber berühmte oder besondere, aufregende oder originelle Menschen waren: eigenständige, kraftvolle Persönlichkeiten, die ich als Autor gar nicht mehr erfinden musste, ein großes Geschenk für mich, und ich konnte aus dem Vollen schöpfen.

Gibt es eine Frau, die Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist? Warum?
Am meisten gelitten habe ich mit Lou Straus-Ernst. Am nächsten stand mir die Schriftstellerin Leonora Carrington mit ihren wirren, existenziellen Horrorerzählungen, deren innere Verrücktheit sehr viel Raum für »irre Geschichten« gab. Gala Éluard hat immer noch etwas unnahbar Ikonenhaftes für mich. Am bodenständigsten erscheint mir Max Ernsts letzte Frau Dorothea Tanning, mit der Max über dreißig Jahre zusammenlebte. Peggy Guggenheim hat viel getan für die sexuelle Befreiung der Frau, für die Kunst, vor allem für die Künstler. Am interessantesten für mich aber war Marie-Berthe Aurenche, die von Max Ernst ein wenig „totgeschwiegen” wurde und die durch ihre Max-Besessenheit später in einen katholischen Fanatismus abdriftete: über Marie-Berthe ist nur sehr wenig bekannt, sie ließ mir als Autor den größten Raum für eigene Erfindungen. Verliebt aber habe ich mich in alle sechs Frauen. Das muss man auch beim Schreiben.

Beim Lesen Ihres Romans fragt man sich immer wieder: Ist das wirklich so passiert? Ist das echt? Es tauchen auch hier und da Dokumente im Text auf, zum Beispiel Briefe. Vielleicht können Sie abschließend etwas über das Verhältnis von Realität und Fiktion in Ihrem Roman sagen?
Ich habe mich sehr bemüht, alle handelnden Personen nicht nur ernst zu nehmen, sondern ihren Geist einzufangen. Mein Anspruch war immer: Wenn Leonora, Peggy oder Max hier sitzen und den Roman lesen könnten, müssten sie sagen, ja, wir finden uns wieder, das ist schon in Ordnung so. Das war der Unterschied zu meinen bisherigen Büchern: Die Menschen, über die ich schrieb, haben wirklich gelebt. Ich konnte mit ihnen nicht machen, was ich wollte. Ich musste mich von ihnen und ihrem Leben leiten lassen. Das ging deshalb umso leichter, da die meisten von ihnen über sich selber geschrieben haben. Wenn ich also Peggy "sexsüchtig" nenne, so ist dies in meinen Augen legitimiert durch ihre eigene Autobiographie. Genauso bin ich auf der faktischen Ebene engst möglich an dem tatsächlich Geschehenen geblieben, soweit es nachprüfbar ist. Meine gestalterische Kraft floss nicht so sehr in den Inhalt (der ist wahnsinnig genug!), sondern in die Dramaturgie, die Motivik, die roten Fäden, vor allem aber in die Sprache, in das Ausgestalten von einzelnen Szenen, in Monologe, Dialoge, in erfundene Briefe, aber all das aus dem Geist der Zeit, der handelnden Menschen und der wirklichen Geschehnisse heraus. Dennoch stellt sich in vielen Szenen die Frage nach der Wahrheit: Max Ernst hat selber autobiographische Texte geschrieben, die er »Wahrheits- und Lügengewebe« nennt. Viele Geschichten, die er darin erzählt, sind nur durch ihn verbürgt. Ich habe sie dennoch aufgegriffen, obwohl es durchaus möglich ist, dass Max einige von ihnen einfach nur erfunden hat.

Bücher

Newsletter
Newsletter