5 Fragen an ... Katie Kitamura

5 Fragen an ... Katie Kitamura

Liebe Katie Kitamura, Intimitäten erzählt die packende Geschichte einer Dolmetscherin in Den Haag. Der Einblick, den man in eine so unbekannte wie abgeschlossene Welt wie die des Gerichtshofs mit all seinen Extremen bekommt, ist faszinierend und abschreckend zugleich. Und dennoch ist die Erzählerin eine Person wie Sie und ich. Wie kam Ihnen die Idee dazu?
Die Idee kam mir, als ich 2009 im Radio von Charles Taylors Gerichtsprozess hörte, der ehemalige Präsident von Liberia, der sich selbst auf eine sehr eloquente Weise verteidigte. Ich konnte sein Charisma spüren, diese große Überzeugungskraft. Er hat eindrucksvoll vorgeführt, wie manipulativ Sprache sein kann und welche Gefahr davon ausgeht. Darüber wollte ich schreiben und habe mir schließlich zehn Jahre dafür Zeit genommen. Ich habe mit Dolmetschern am Internationalen Gerichtshof über das psychologische Gewicht ihrer Arbeit gesprochen, über Nähe und Identifikation, die dabei ungewollt entstehen können. Diese Prozesse erschüttern auch die Welt meiner Erzählerin.

Was hat Sie daran gereizt, von einer Dolmetscherin zu erzählen, einer beinahe unsichtbaren Figur im Hintergrund der Gerichtsverfahren gegen große Kriegsverbrecher?
Ich wollte mich dieser komplexen Welt des Gerichts über eine Art Seitenarm nähern. Ich finde Figuren spannend, die nicht direkt im Zentrum stehen, dafür im Verborgenen Entwicklungen in Gang setzen können. Deshalb war mir schnell klar, dass ich nicht aus der Sicht des Strafverteidigers, Richters oder angeklagten Staatsmannes schreiben würde, sondern anhand von jemandem, der auf noch tragischere Art in die Situation verstrickt ist. Die Dolmetscherin glaubt zu Anfang fest an ihre Neutralität im Gefüge des Prozesses, doch mit der Zeit muss sie einsehen, dass sie in mehrerlei Hinsicht zur Komplizin geworden ist.

Ihr Roman ist auch ein Buch über Sprache, über ihre Macht und Grenzen. Die Dolmetscherin ist nicht nur namenlos, sondern häufig auch sprachlos, sowohl im Privaten als auch in ihrem Beruf, wenn sie die Worte von Fremden wiedergibt. Was bedeutet Ihnen Sprache, was kann sie leisten – und was gerade nicht?
Als Autorin interessieren mich vor allem die Grenzen von Sprache. Für die Dolmetscher, mit denen ich mich unterhalten habe, geht es darum, den Sinn hinter der bloßen Bedeutung eines Wortes mitzuübersetzen – und zwar mit weitreichenden Konsequenzen. Ich habe viele Hundert Seiten von echten Prozessskripten gelesen, um die Sprache und so die Logik des Gerichtshofs zu verstehen. Sprache erzeugt aber nicht nur Machtverhältnisse, sondern auch Identität. Ich selbst bin in einem bilingualen Haushalt aufgewachsen. Meine Eltern sind japanische Migranten in den USA, der Mechanismus von sprachlichem Zugang als Voraussetzung zu gesellschaftlicher Teilhabe war mir also seit frühesten Tagen sehr präsent.

Der Titel Ihres Buchs – Intimitäten – erscheint wie ein seltsamer Plural von etwas, das wir normalerweise als exklusiv und auf eine Person limitiert verstehen. Wie passt der Titel zum Buch und was bedeutet er für Sie?
Irgendwann ist mir aufgefallen, dass Intimität auf vielfältige Weise in der Geschichte steckt und geradezu Widersprüchliches verbindet. Im Amerikanischen wird Intimität nicht ausschließlich körperlich verstanden, sondern ist stark mit Empathie verbunden. Für die Protagonistin ergeben sich alle möglichen Arten kleiner und großer Intimität auf verschiedenen Ebenen. Begehren funktioniert eigentlich immer in Bezug auf Abwesenheit. Die Liebe der Erzählerin und ihre Sehnsucht nach einem Zuhause sind direkt verknüpft mit dem Verschwinden ihres Geliebten Adriaan. Mich hat interessiert, wie weit sich das treiben lässt, ob man eine Liebesgeschichte erzählen kann, bei der das Objekt der Begierde vollständig abwesend ist.

Die Geschichte um die Dolmetscherin ist voller Andeutungen und geheimnisvoll vage gehalten, es wird sowohl eine Ungewissheit als auch ein Unsicherheitsgefühl transportiert. Wie erzeugt der Text diese Atmosphäre?
Der Roman wird aus einer limitierten Ich-Perspektive heraus erzählt. Die Protagonistin beobachtet viel, statt aktiv zu handeln, und ist sich stets unsicher, welche Interpretation des Wahrgenommenen zutrifft, vieles bleibt offen. Dabei verliert sie sich in Möglichkeiten und Spekulationen. Gleichzeitig habe ich bewusst verschiedene Schlüsselattribute wie ihr Alter oder ihren Namen im Dunkeln gelassen. Ich wollte aber auch eine Entwicklung darstellen, aus der sie am Ende gestärkt hervorgeht und für sich einsteht, ihre Passivität überwindet.

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