5 Fragen an ... Jean-Philippe Blondel

5 Fragen an ... Jean-Philippe Blondel

In Ihrem neuen Roman geht es unter anderem ums Heiraten. War Ihre eigene Hochzeit auch so lustig?
Ehrlich gesagt ist ein bisschen von meiner eigenen Hochzeit in all den beschriebenen Hochzeiten, also der von Lise und Fanny, der von Luc Giret ... Meine Frau und ich hatten gar kein Geld (und meine Güte, so eine Hochzeit kann teuer werden!), und deshalb haben wir die Gäste gebeten, zum Essen das mitzubringen, was jede und jeder am besten hinkriegt, und eine oder zwei Flaschen (am liebsten Champagner, da wir ja in der Champagne wohnten und dort auch heirateten), und so haben wir ein großes Buffet organisiert. Und wir haben getanzt. Und ich werde Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten: Einer der emotionalsten Momente meiner Hochzeit: Mein Schwiegervater war Deutscher und war mit 17 Jahren an die Front nach Russland geschickt worden, als einfacher Soldat. Nach dem Krieg hat er beschlossen, sich in Frankreich niederzulassen, 1945 war das sehr mutig von ihm, und da hat er dann meine Schwiegermutter kennengelernt. An meinem Hochzeitstag saß er neben einem meiner Freunde, ein Jude, dessen Familie zum Teil in den Konzentrationslagern umgekommen war. Sie haben miteinander gesprochen. Ich habe mir gewünscht, dass meine Eltern auch hier sein könnten (sie sind Anfang der 1980er Jahre gestorben), denn bei uns zu Hause war es verboten, Deutsch zu lernen (mein Vater musste mit zehn Jahren fliehen), und nun heiratete ich eine Frau, die sehr gut Deutsch sprach und deren Vater Deutscher war ... Meine Hochzeit, das war eine Versöhnung der ganzen Welt, und ich bin sehr stolz darauf. Und darum macht es mich auch ganz besonders glücklich, dass meine Romane in Deutschland und Österreich so viel Beachtung finden.

Haben Sie eigene Erfahrungen auf diese Idee gebracht?
Tatsächlich hatte ich die Idee für diesen Roman, weil ich an der Schule, an der ich unterrichte, seit Jahren einen Wachmann beobachtete, der Cédric heißt, und den ich sehr mochte, auch wenn wir nicht viel miteinander redeten, weil der Altersunterschied zwischen uns beiden 25 Jahre ausmacht. Und eines Tages, wir rauchten eine Zigarette miteinander, wirkte er sehr müde. Ich sprach ihn darauf an, und da erzählte er mir, dass er deshalb so fertig sein, weil er am Wochenende einen zweiten Job hatte: Hochzeitsfilmer. Und wie viele Leser des Romans auch fragte ich: „Was? Was ist denn das für ein Beruf?“ Und er erzählte mir von den Hochzeiten, den Essen, dem Video ... Und als er wieder auf seinen Posten zurückging, wusste ich, dass ich das Thema für meinen nächsten Roman gefunden hatte. Wir haben uns oft wiedergesehen. Das ist schön, denn trotz der 25 Jahre Altersunterschied sind wir Freunde geworden. Ich hab ihm geholfen, seinen ersten richtigen Job zu finden (das war ich ihm auch schuldig). Und wissen Sie was? Jetzt kommt das Sahnehäubchen: Er hat das Foto von mir gemacht, das Sie auf dem Umschlag der deutschen Ausgabe sehen.

Ganz besonders schön sind die „Geständnisse“ in diesem Roman, die Menschen sprechen sehr ehrlich über Gefühle, das liest man nicht so oft. Was bedeutet eine Liebeserklärung für Sie? Wie schafft man es, ehrlich über seine Gefühle, über die Liebe zu sprechen?
Ich glaube, es ist schwer über die Liebe zu sprechen, wenn man jung ist (weil man ganz schnell so miteinander verschmolzen ist und in der Illusion lebt, der andere wäre ein Spiegel von einem selbst), aber wenn man die 30 passiert hat (ich habe mit 35 geheiratet), kann man zugleich romantisch sein und klar denken. Und jedenfalls ehrlich sein. Man weiß, dass eine Ehe nicht das ist, was einem Walt-Disney-Zeichentrickfilme vermittelt haben, aber man kann trotzdem Lust darauf verspüren, ein Leben mit jemand anderem aufzubauen, eine Familie, eine Basis für die Zukunft. Ich plädiere für eine sanfte Klarheit – sich seiner Qualitäten bewusst sein, dann sind die Fehler nicht so schlimm, im Gegenteil, man sollte sie gemeinsam im Blick haben. Je besser man den anderen kennt, desto besser kann man für ihn da sein, ihm manchmal auch vergeben, und ihm jedenfalls vertrauen. Die schönste Liebeserklärung für mich ist „Ich vertraue dir“ oder „Ich bin für dich da“.

Können Sie uns von Reaktionen der Leserinnen und Leser in Frankreich berichten? Haben Sie weitere „Geständnisse“ provoziert?
In Frankreich haben die Buchhändler und Journalisten sehr schnell reagiert, es hieß, dass sich „die schönste Liebeserklärung der zeitgenössischen Literatur auf den Seiten 36 bis 38 dieses Romans findet“. Ich bin bis über beide Ohren rot geworden. Bei den Lesungen und Signierstunden, die ich gemacht habe, haben mir die Leute von ihren eigenen Hochzeiten erzählt, von ihren Erinnerungen (den guten und den schlechten). Das war großartig, und, ehrlich gesagt, manchmal sogar noch lustiger und kurioser als im Roman. Man sollte daraus einen zweiten Band machen. Ich bin schon sehr gespannt auf die deutschsprachigen Reaktionen, weil ich ja nicht weiß, ob die Traditionen genau dieselben sind ...

Sie haben Ihre letzten Romane ja auch im deutschsprachigen Raum präsentiert. Was haben Sie erlebt in Deutschland, in Österreich, in anderen Ländern?
In Deutschland und Österreich fühle ich mich unmittelbar verstanden – tatsächlich, das ist verblüffend. Ich glaube, dass wir uns – trotz kultureller Unterschiede – sehr ähnlich sind. Wir sehen uns Menschen und ihre Existenzen auf dieselbe Art an. Je öfter ich nach Deutschland oder Österreich reise, desto eher könnte ich mir vorstellen, dort zu leben, abgesehen davon, dass ich nicht Deutsch spreche (gut, ich habe jedenfalls schon einen Kurs gekauft, damit ich irgendwann noch etwas anderes sagen kann als „Einen Großvater zu haben, ist wunderschön“). In den USA ist das zum Beispiel ein bisschen anders. Die amerikanischen Leser lieben die „Frenchie“-Aspekte, aber sie verstehen nicht immer, wie die Charaktere reagieren und vermischen sie mit dem Autor (die Frage, die mir in den USA zu „6 Uhr 41“ am häufigsten gestellt wurde, ist: „Philippe Leduc, das sind Sie, nicht wahr?“), aber auch das ist bereichernd. Ich glaube, meine Romane sind vor allem zutiefst europäisch, auch wenn französische Besonderheiten bleiben, zum Beispiel die strenge Trennung von Staat und Kirche, die uns auf gewisse Weise in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Die Fragen stellte © Bettina Wörgötter.

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