5 Fragen an ... Jean-Philippe Blondel

5 Fragen an ... Jean-Philippe Blondel

Sie haben zahlreiche Romane – für Erwachsene und für Jugendliche – geschrieben, die Themen, um die Ihre Bücher kreisen, sind sehr unterschiedlich. Wie entstehen die Ideen zu Ihren Büchern?
Tatsächlich beziehen sich die Themen meiner Bücher aufeinander. Das wurde mir mehr und mehr bewusst, je älter ich wurde. Sie ergeben ein buntes, aber kohärentes Ensemble, glaube ich. Die Ideen zu meinen Romanen entstehen, wenn ich den Menschen, mit denen ich mich unterhalte, zuhöre, wenn ich meine Zeitgenossen und ihren Alltag beobachte. Im Café, im Restaurant, ich kann gar nicht aufhören, zu lauschen, was an den Nachbartischen besprochen wird (was meine Frau manchmal ziemlich nervig findet, weil sie den Eindruck hat, dass ich ihr nicht zuhöre :-)).
Ich stelle mir vor, was die Leute denken, die an diesen Tischen sitzen, und gleich überlege ich mir, wie alt sie wohl sind, in welcher Situation sie sind, wo sie wohnen, welches Auto sie haben, wovon sie geträumt haben, als sie zwanzig waren … Ich glaube, die wichtigste Eigenschaft eines Schriftstellers ist, dass er anderen zuhören kann.

Die Protagonisten Ihrer Geschichten sind sehr verschieden, und doch gelingt es Ihnen, sich mit sehr viel Empathie in sie hineinzuversetzen. Wie macht man das?
Diese zweite Frage hängt mit der ersten eng zusammen. Zuallererst, indem ich den Leuten zuhöre und versuche herauszufinden, welche Schwachstellen sie verschweigen. Und auch, indem ich versuche, Körpersprache und Mimik zu deuten. Und schließlich enthalten viele von meinen Charakteren auch einen Teil von mir selbst, von dem, der ich hätte sein können, wenn die Umstände andere gewesen wären, wenn ich einen anderen Weg eingeschlagen hätte. An einem Punkt in meinem Leben habe ich zum Beispiel überlegt, das Unterrichten aufzugeben, den Ärmelkanal zu überqueren und in London für eine berühmte Bekleidungsmarke zu arbeiten … In beiden Brüdern im Roman „This is not a love song“ steckt ein Stückchen von mir.

In „6 Uhr 41“ löst eine zufällige Begegnung bei den Protagonisten einen Blick in die eigene Vergangenheit aus. Und auch in „This is not a love song“ reist Vincent in sein früheres Leben zurück. Was reizt Sie an dieser Perspektive?
Der Blick zurück in die Vergangenheit, auf die Lügen, die verpassten Chancen, auch auf die Erfolge, das sind DIE großen Fragen des Romans. Im Roman haben wir die Möglichkeit, noch einmal in die Vergangenheit zu reisen, etwas besser zu verstehen, etwas im Inneren noch einmal zu erleben, die Konsequenzen zu erforschen, die unsere früheren Handlungen auf unser jetziges Leben haben – das alles gibt den Charakteren Kraft für ihr Schicksal, für die Tragikomödie ihres Lebens.

Der Titel „This is not a love song“ ist ja schon ein deutlicher Hinweis: Musik spielt in Ihren Romanen eine große Rolle. Auch in Ihrem Leben? Beim Schreiben?
Die Musik ist sehr wichtig für mich, für mein Schreiben. Ich verbringe manchmal Wochen damit, das Musikstück zu finden, das über dem Roman stehen soll, den ich schreiben möchte. Und wenn ich es gefunden habe, dann höre ich es mit meinen Kopfhörern in einer Endlosschleife, während ich schreibe. Das Musikstück (meistens englischsprachige Pop- und Rockmusik, ich bin ein Kind meiner Zeit ;-)) ist eins mit meinem Roman, verleiht ihm seine Farbe und seine Dichte. Bei „6 Uhr 41“ war es ein Song der Gruppe Jet, „Look what you’ve done“, und bei „This is not a love song“ … nun ja, das ist nicht so schwer zu erraten, nicht wahr?

Ein zentrales Thema von „This is not a love song“ ist die Freundschaft. Welchen Stellenwert hat Freundschaft für Sie?
Freundschaft ist das, wonach ich frage, worum ich mich kümmere. Ich finde, die Literatur lässt sie zu oft links liegen. Im Gegensatz zur Liebe, über die wir alles wissen … Mir scheint, dass die Freunde, die wir uns aussuchen, jeder für sich einen Teil unserer Persönlichkeit widerspiegeln, und zusammen ergeben sie ein Kaleidoskop, das uns oft ein ziemlich ehrliches Bild von uns selbst zeigt. Je älter wir werden, desto mehr ähneln unsere freundschaftlichen Beziehungen (erst recht, wenn wir die Partner und die Kinder dazunehmen) familiären Beziehungen, was wir zu Beginn eigentlich vermeiden wollten. Wir merken, dass sich Freundschaften, wie die Liebe auch, am Alltag abarbeiten. Ich persönlich muss meine Freunde oft sehen. Für mich festigen die Routine miteinander und gemeinsame Projekte und Vorhaben die Beziehungen. Ich misstraue dem „Wir sehen uns selten, aber wenn wir uns treffen, ist es immer gleich wieder wie früher“.

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