5 Fragen an ... Franzobel

5 Fragen an ... Franzobel

Lieber Franzobel, Albert Einsteins Hirn wurde unmittelbar nach seinem Tod von dem Pathologen Thomas Harvey entnommen. In Ihrem Roman Einsteins Hirn heißt es einmal, es sei „die Geschichte einer Obsession“. Wie ist das zu verstehen?
Für Thomas Harvey entpuppt sich dieses Hirn als Lebensaufgabe. Trotz aller Widrigkeiten weigert er sich beharrlich, es herzugeben. 1955 ist er ein gutsituierter Pathologe, der mit Frau und Kindern in einer Villa in Princeton lebt. 42 Jahre später kommt er als Hilfsarbeiter gerade so über die Runden, ist dreimal geschieden, aber das Hirn besitzt er noch. Die halbe Welt ist hinter dem Hirn her, Einsteins Nachlassverwalter, Journalisten, die berichten, dass es in einem Marmeladeglas unter Umzugsschachteln liegt, aber Harvey schafft es immer wieder abzutauchen.

Wodurch sind Sie auf eigentlich auf das ungleiche Doppel Harvey/Einstein aufmerksam geworden?
Durch Zufall oder Schicksal. Ich konnte vor zehn Jahren den Teilchenbeschleuniger in Cern besichtigen. Seither fasziniert mich die moderne Physik, weil sie nicht nur unseren Hausverstand komplett auf den Kopf stellt, sondern auch alle großen philosophischen Fragen berührt. Als ich von Harvey und dem Hirn hörte, wusste ich sofort, das ist eine Geschichte, die ich schreiben muss. Am nächsten Tag habe ich damit begonnen.

Fast ein halbes Jahrhundert ist der reale Harvey, ein eher durchschnittlicher amerikanischer Familienvater, mit dem Hirn durch die USA getingelt und hat dabei sein ganzes Leben aufs Spiel gesetzt. Was ist da mit ihm passiert?
Was mit dem realen Harvey passiert ist, weiß ich nicht, aber im Roman beginnt das Hirn irgendwann mit ihm zu sprechen, und Harvey, der ein religiöser Mensch ist, versucht, ihm, dem von Ratio und Mathematik geprägten Verstand von Albert Einstein, Gott näher zu bringen. Er trifft auf Juden, die das Hirn für einen Dibbuk halten, landet bei einer hinduistischen Weltuntergangssekte, lernt einen Atheisten kennen, erlebt bei einem islamischen Gemüsehändler eine Wüsten-Vision und so weiter. Ein Roadtrip durch die verschiedensten Glaubenssysteme.

Rassendiskriminierung, Martin Luther King und Kennedy, Mondlandung und Woodstock, der Mord an John Lennon und ein Auftritt bei Oprah Winfrey. Harvey und Hirn haben nichts ausgelassen.
Zum Schluss hat der reale Harvey neben William Burroughs gelebt, was eine merkwürdige Pointe der Geschichte ist – der Pathologe und der Beat-Poet. Harveys Geschichte ist voll von solchen Zufällen. Mich haben die Auswirkungen der großen Geschichte auf einen einfachen Menschen interessiert, und Harvey ist einer, der oft wo hineingezogen wird. Ein paar Mal habe ich aber auch etwas geflunkert.

Wie schon bei Das Floß der Medusa und Die Eroberung Amerikas haben Sie akribisch recherchiert, auch in Princeton und anderen Orten im Osten der USA. An Einstein werden sich vermutlich viele erinnern wollen, wie war es mit Thomas Harvey?
Ich durfte seine ehemaligen Arbeitskollegen kennenlernen, Leute, mit denen er in einer Plastikfabrik in Lawrence, Kansas oder in einem Gefängnis in Wichita gearbeitet hat. Ich bin aber auch Quäkern begegnet, die mit Harvey bei der „Gesellschaft der Freude“ aktiv gewesen sind. Alle haben ein Bild von einem ruhigen, warmherzigen Kerl gezeichnet, der nur eine Marotte hatte – das Hirn von Albert Einstein. Dem versuchte ich gerecht zu werden.

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