5 Fragen an ... Drago Jančar

5 Fragen an ... Drago Jančar

Der Titel Ihres neuen Romans lautet Als die Welt entstand. Diese Welt ist das Slowenien Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre; Slowenien war damals Teil des von Staatspräsident Tito autokratisch geführten Jugoslawiens, das mehr als ein Jahrzehnt zuvor den Bruch mit Stalin vollzogen hatte. Es ist die Welt des jugendlichen Protagonisten Danijel, und es ist wahrscheinlich auch Ihre Welt gewesen. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Wenn ich mich für ein Wort entscheiden müsste, das ich fast täglich gehört habe, dann war das „Freiheit“. Aber des Volkes Stimme ging einher mit einer komischen Ironie: Nun, da wir Freiheit hatten, mussten wir aufpassen, was wir sagten. Der wahrhaftige Mut, den die jungen Menschen während der Zeit des Partisanenwiderstands gegen die Nazis aufgebracht hatten, verwandelte sich innerhalb weniger Jahre nach dem Krieg in Desillusion: Dafür haben wir gekämpft? Daran änderte auch der Bruch mit Stalin nichts. Das ist die Zeit, in der Danijels Welt entsteht, und es ist natürlich auch die Zeit meiner persönlichen Erinnerungen, der kollektiven Erinnerung und der Reisen in die Imagination. Jede neue Geburt ist gewissermaßen die Kreation der Welt. Alles muss von Neuem gelernt, gewusst werden. Vom ersten Krabbeln, den ersten Wörtern, der ersten Wahrnehmung der Wörter, der ersten Ahnung von Poesie, der ersten Liebe, des ersten Hasses und Betrugs. Und Danijels Leben formt sich einerseits mitten in der kollektiven Psychose der hell leuchtenden „besten und gerechtesten Welt“ und andererseits in der dunklen Erinnerung an den gerade vergangenen Krieg all jener Menschen um ihn herum. Die Angst vor Repression hatten fast alle. Vor allem Gläubige waren plötzlich in Schwierigkeiten. Slowenien war Jahrhunderte lang ein katholisches Land gewesen. Und nun war Religion plötzlich „Opium für das Volk“. Ihr Gegner war nicht nur die Ideologie, sondern auch die Anbetung des technologischen Fortschritts: Gagarin flog ins All, und die Sowjets bewiesen, dass es dort keine Engel und Heiligen gab. Aber viele Menschen blieben stur reaktionär, sie wollten leben wie früher und für ihr spirituelles „Opium“ zur Kirche gehen.

Die Heroisierung der Partisanen zählte zu den Gründungsmythen Jugoslawiens, gleichzeitig erwiesen sich die katholischen Traditionen als langlebiger und wirkungsmächtiger, als von der KP angenommen. In diesem Spannungsfeld befindet sich auch der junge Danijel. Wer sind seine Vorbilder?
Natürlich, da gibt es einige Erfahrungen aus meiner Jugend, aber vieles im Roman ist spontan entstanden, aus dem Geist der Zeit und seiner Atmosphäre. Danijel gehört zu beiden Welten: zu der seines antiklerikalen Vaters und zu der seiner traditionellen Mutter. Sein wahrer Kontakt zur Suche nach dem Glauben sind nicht nur die Missverständnisse mit dem Priester, sondern mit der Bibel selbst. Im Alten Testament entdeckt er Stellen, die ihn schockieren. Die brutalen Phänomene und Geschichten in der Welt ereignen sich nicht nur in seinem Leben, sondern gerade in der Bibel, wo es doch nur Frieden und Schönheit geben sollte. Aber ich versuche im Roman diese Konflikte mit Humor und Ironie zu entschärfen. Die Szenen mit den „roten Teufeln“ sind zugegebenermaßen grundsätzlich wahr.

Danijels Halbbruder, der weltkundige Lehrer Fabjan, auch Pater Aloisius. Je genauer man das Personal Ihres Romans kennenlernt, desto fragwürdiger wird es, oder?
Danijels Bruder ist beinahe so etwas wie eine mythologische Figur, die sich wieder und wieder aus der Niederlage erhebt in den Triumph der Imagination. Auch Professor Fabjan, ein Repräsentant des Bürgertums, stammt aus einer vergangenen Zeit. Bruder Aloisius ist der wahre Antagonist seines Vaters. Beide haben eine enge Sicht auf die Welt, beide sind gute Männer, aber beide sind unerbittlich von ihrer Wahrheit überzeugt. Danijel flieht vor diesem Fundamentalismus in eine Fantasiewelt, in das Leben eines zukünftigen Autors und in das Lachen, wenn auch mit etwas Bitterkeit. Beim Erschaffen einer Welt erkennt er, dass wir zumindest die Gabe haben, die schwierigsten Momente mit einem Hauch von Gelassenheit zu überleben.

Lena, alleinstehend und fremd, bringt ja nicht nur Danijels Welt durcheinander, sie bringt das Haus und die unmittelbare Nachbarschaft in Bewegung. Steht sie für eine wie auch immer zaghafte Modernisierung?
So könnte man das sagen. Lena lebt ihr eigenes Leben, das nicht das Leben der uniformierten Genossen ist. Sie sucht ihren eigenen Platz, wo sie authentisch leben kann. Dabei allerdings rüttelt sie an den Grundfesten ihrer Umgebung und verstrickt sich in eine tragische Kette an Ereignissen.

Was bedeutet Lenas Scheitern?
Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, dass auch dieses Schicksal auf einer wahren Geschichte basiert. Als ich jung war, war ich schockiert, als ich davon hörte und las. Ich verstand es damals nicht, heute noch viel weniger. Ich beobachte und wundere mich nur über das manchmal unergründliche Labyrinth des Lebens.

Interview: Herbert Ohrlinger

 

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