5 Fragen an ... Drago Jančar

5 Fragen an ... Drago Jančar

Wenn die Liebe ruht spielt im Zweiten Weltkrieg. Geschichte scheint Sie immer schon fasziniert zu haben. Sie sagen, Sie sind interessiert an dem „was passiert, wenn das zerbrechliche menschliche Schicksal beginnt zwischen den Mühlsteinen der Geschichte zermahlen zu werden“. Geht es Ihnen dabei vor allem um das Betrachten der Menschen, der Beziehungen, das Hinterfragen der menschlichen Natur? Tritt diese in Grenzsituationen besonders hervor?
Natürlich, der Krieg verändert alles, die Leute werden anders, sie sind fürchterlich ängstlich und manchmal auch außerordentlich tapfer. Zudem formen sich alle Beziehungen neu. Manche ziehen Kraft aus der geballten Willensstärke der Gemeinschaft, andere aus individuellen, oft sehr emotionalen Beweggründen. Ich kenne Leute, die in Gestapo Gefängnissen waren, die sich den Partisanen anschlossen, die nach dem Krieg schreckliche Taten begingen, Dinge, die man ihnen unter normalen Umständen in gewöhnlichen Zeiten nie zutrauen würde. Es geht jedoch nicht nur ums Betrachten; der Roman kann zu etwas Lebendigem werden – der Hintergrund, die wahre Geschichte wird zu einem Ausgangspunkt für die Imagination, für zwischenmenschliche Entwicklungen, für die Leidenschaft, die Liebe, für Böswilligkeit und Tapferkeit, für das Leben.

Obwohl der Titel des Romans andeutet, dass dies eine Liebesgeschichte ist, steuert der Kontext bei, dass es auch und in der Quintessenz um die Frage des Bösen geht. Die Geschichte begibt sich zu einer Zeit, in der Hass und Gewalt in der Welt vorherrschen und sich die Schicksale von Unterdrückern und Unterdrückten kreuzen. Oft kommt es auf die sogenannte Banalität des Bösen an ... Wann und warum übertritt eine Person diese verschwommene Linie?
Das ist eine schwierige Frage, und bis zu einem gewissen Grad versucht der Roman genau diese Fragestellung zu beantworten. Viele, die mit guten Intentionen nach bestem Gewissen handeln, übertreten diese Linie, ohne selbst zu merken, wann das passiert. Unter den Umständen, die sich durch die brutale Besetzung der Stadt ergaben, wurde diese Linie, die auch eine Grenze zwischen Leben und Tod darstellt, sehr dünn. Im einen Augenblick bedeutungsvolle Worte, Lieder, Musik, im nächsten Morde. Eine Spirale des Bösen. Irgendwo, unter all dem verborgen, flammten jedoch noch immer Ansätze der Liebe auf, obwohl nur wenig Raum für Mitleid blieb. Wenn ich in meiner Kindheit und Jugend den Geschichten über den Krieg lauschte, war kein Mitleid darin zu hören, nur harte Fakten und starke Emotionen – Verbrechen und Strafe, Betrug und Rache.

Sie lassen die Geschichte einmal mehr in Maribor spielen und haben sie interessanterweise mit Ihrem Roman Nordlicht (1984) verknüpft, in einer Episode, welche die Vergangenheit mit einem Blick in die Zukunft verbindet. Genauer gesagt: Während die Protagonistin Sonja Belak in einer Buchhandlung auf den jungen Autor des Romans Nordlicht wartet, stößt sie auf ein Gedicht von Byron, das im neuen Roman eine Rolle spielt. Auf jeden Fall ist Ihr allwissender Erzähler, der also auch in die Zukunft sehen kann, sehr interessant. Ist dies eine Konzeption, die es Ihnen erlaubt, sich frei durch die Zeit und somit auch durch die Geschichte und deren Handlung zu bewegen?
Es ist spannend, welch starke Wirkung dieser kleine Exkurs in die Zukunft von einzelnen Protagonisten auf die Leser hat. Als ich diese Passage verfasste, war ich mir dessen nicht bewusst. Nachdem die Protagonisten fürchterliche Ereignisse überlebt hatten und mit schrecklichen Taten und deren Opfern in Berührung kamen, müssen sie trotzdem und damit weiterleben. Und in einer Art dunkler Melancholie sah ich vor mir wie sie leben, wie sie leben würden. Helle Flammen von Liebe in einen Schleier der Vergangenheit gehüllt schimmern durch die Ritzen der schweren Erinnerungen.

Der Roman beginnt mit einem meisterhaften Einstieg – als Leser betreten wir die Szene durch eine Fotografie (die auf dem Buchcover abgebildet ist), als würden wir in einen Film treten, und plötzlich erwacht dieses Bild zum Leben. Was hat es mit diesem Einstieg auf sich?
Als ich zufällig über eine alte Postkarte stolperte, die eine fast schon idyllisch anmutende Straße in Maribor abbildet, versuchte ich zuerst herauszufinden, ob es sich um eine Aufnahme aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie handelte; zwei junge Frauen unterhalten sich, während andere Passanten vorbeieilen. Erst nach einer Weile fiel mir ein Mann in SS-Uniform auf, im rechten Eck der Fotografie. Eine dramatische Spannung ging von der vorherigen Idylle dieser Fotografie aus; natürlich, sie entstand während des Krieges. Ich erkannte sofort, dass dies der Anstoß für einen neuen Roman war.

Hatten Sie diesen Einstieg am Beginn des Schreibens vor Augen oder war das eine Eingebung während des Schreibprozesses?
Wie bereits erwähnt trug ich das Konzept für diese Geschichte schon eine Weile in mir. In diesem Moment jedoch fand ich den Schlüssel, der das Konzept öffnen sollte, der ihm erlaubte, zu einer Geschichte zu werden, einer Geschichte über Liebe, Gewalt, Mord – und Überleben. Das Leben geht weiter, auch wenn die Liebe selbst ruhen muss.

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