5 Fragen an ... Charles Pépin

5 Fragen an ... Charles Pépin

Monsieur Pépin, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass es auf dem Weg zum Selbstvertrauen vor allem »Vertrauen in den Zweifel« brauche. Worin besteht die Beziehung zwischen Zweifel und Vertrauen?
Wenn wir Schwierigkeiten damit haben, Vertrauen zu fassen, denken wir oft – mehr oder weniger bewusst -, dass wir nicht gut genug sind, nicht genügend Talent haben. Aber jedes Mal, wenn uns Zweifel ereilen, wenn wir Angst haben, etwas nicht zu schaffen, würden wir besser daran tun, das Vertrauen wiederzugewinnen, indem wir handeln, indem wir uns praktisch damit auseinandersetzen, unsere Fähigkeiten zu entwickeln, anstatt uns auf einen hypothetischen Mangel an Talent zu konzentrieren.
Wirkliches Vertrauen in sich selbst zu finden, bedeutet also nicht, das Zweifeln zu beseitigen; es bedeutet, sich mit dem Zweifel auseinanderzusetzen und darüber hinauszugehen. Dieses Darüberhinausgehen ist zunächst ein Anerkennen, es bedeutet, zu verstehen, dass wir zweifeln, weil wir intelligente Lebewesen sind und uns der Risiken bewusst sind, denen wir ausgesetzt sind.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die wir aus einem gesunden Selbstvertrauen ziehen können?
Selbstvertrauen setzt, wenn es wächst, einen Kreislauf mit diversen Rückkopplungseffekten in Gang: Je besser wir uns darauf verstehen, Entscheidungen zu treffen, desto mehr Vertrauen fassen wir zu uns selbst – und desto stärker wirkt dieses Vertrauen wiederum zurück auf unsere Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Umgekehrt, je weniger es uns gelingt, uns zu entscheiden, desto schwieriger fällt es uns, überhaupt noch die Kraft dazu zu finden. Wenn wir diesen Kreislauf positiv nutzen, sind wir wirklich dazu in der Lage, das Leben in die eigene Hand zu nehmen.

Für Ihre Philosophie des Selbstvertrauens haben Sie Søren Kierkegaard, Aristoteles, Jean-Paul Sartre und viele andere gelesen. Was kann uns beispielsweise der Existenzialismus zum Thema Selbstvertrauen sagen?
Wenn Sartre, und die Existenzialisten mit ihm, sagen, dass die Existenz der Essenz vorausgeht, bedeutet das, dass wir zuallererst existieren. Diese Existenz ist es, in die wir Vertrauen haben müssen – und nicht etwa eine hypothetische Essenz, die uns definiert. Was wirklich zählt, ist unser Handeln: Existieren bedeutet, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Sich in Bewegung setzen, aufzumachen, um sich mit den anderen und der Welt zu konfrontieren: Sich durch das eigene Handeln und nicht durch die eigene »Essenz« zu definieren, treibt uns dazu an, Vertrauen in uns selbst, aber auch in die anderen zu entwickeln. Wir können also einen Zustand erreichen, in dem wir Vertrauen in das haben, was von uns abhängt, und ebenso in das, was von uns unabhängig ist.

Man hört heute oft, dass wir in einer Zeit der Unsicherheit und der Verunsicherung leben. Ist Selbstvertrauen in dieser Zeit besonders wichtig?
Das Vertrauen, das wir in uns selbst entwickeln, ist eine Kraft, die uns in die Lage versetzt, Entscheidungen zu treffen und nicht nur passiv zu erleben, wie Dinge entschieden werden und sich ereignen. Entscheidungen treffen bedeutet, die Unsicherheit zu akzeptieren, uns noch im Zweifel und trotz dem Zweifel aufzumachen. Sich zu entscheiden, ohne blind zu sein, aber auch ohne vollkommen klar zu sehen: Das ist die Herausforderung des Lebens schlechthin.

Betrifft das Selbstvertrauen nur das Individuum oder auch die Gesellschaft als Ganze?
Es gibt im Selbstvertrauen immer auch eine kollektive Dimension. In dem Sinne, dass das Vertrauen nie nur Vertrauen in einen selbst, sondern immer auch in andere ist, impliziert der Begriff eine Öffnung zur Welt hin: sich anderen zu öffnen, sich anderen auszusetzen, zu handeln, um nicht im Zweifel zu verharren.

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