5 Fragen an ... Barbara Bleisch und Andrea Büchler

5 Fragen an ... Barbara Bleisch und Andrea Büchler

Frau Bleisch, Frau Büchler, was war Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt für Ihr Buch Kinder wollen?
Andrea Büchler: Uns verbindet das Interesse an ethischen Fragen der Reproduktion schon seit Längerem. Die Debatten über das Kinderwollen in der heutigen Zeit und darüber, wie mit den sich ständig erweiternden fortpflanzungsmedizinischen und humangenetischen Möglichkeiten umzugehen ist, sind komplex und kreisen um die Frage, wie weit unsere Freiheit reicht, wenn es um die Erfüllung unseres Kinderwunsches geht. Diese Frage betrifft jede Person einzeln, sie reicht aber auch in die Gesellschaft hinein. Gemeinsamer Ausgangspunkt für unser Buch war das Anliegen, das vielstimmige Gespräch, das über das Kinderwollen geführt wird, nicht nur nachzuzeichnen, sondern auch in dieses zu intervenieren und ihm eine weitere Stimme hinzuzufügen. Diese weitere Stimme ist aus einem Oszillieren zwischen philosophischen Erwägungen und ihrer rechtlichen Einordnung hervorgegangen.
Barbara Bleisch: Das Gespräch, von dem Andrea Büchler spricht, ist, wenn es um die öffentliche Debatte geht, ja leider oft mehr ein Schlagabtausch denn ein Miteinander-Reden. In Diskussionen über Leihmutterschaft oder Schwangerschaftsabbruch fehlt eine faire Auseinandersetzung mit anderen Ansichten manchmal gänzlich. Eine Versachlichung der Debatte tut umso dringender Not, als hier nicht unbedeutende Nebenschauplätze verhandelt werden, sondern die Frage, wie und welche Kinder wir bekommen. Im Zentrum der Kontroversen steht dabei der Begriff der Autonomie. In den 1970er Jahren gingen Frauen in vielen Ländern auf die Straße und forderten unter dem Schlagwort „Mein Bauch gehört mir!“ ein Recht auf straffreie Abtreibung. Was bedeutet dieses Schlagwort heute angesichts der mannigfachen Möglichkeiten, die die moderne Reproduktionsmedizin bietet? Es geht ja längst nicht mehr allein um die Frage, ob und wann eine Schwangerschaft beendet werden darf, sondern genauso darum, zu welchen Tests Zugang gewährt werden soll oder wer welche Maßnahmen ergreifen darf, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Uns verbindet die Überzeugung, dass wir uns gerade heute neu darüber verständigen müssen, worin die reproduktive Autonomie besteht, wo ihr Grenzen auferlegt werden dürfen und wo sie umgekehrt neu verteidigt werden muss.

Menschen bekommen eben Kinder oder nicht – warum genau jetzt ein Buch, das nach Autonomie und Verantwortung beim Kinder wollen fragt?
Andrea Büchler: Ob wir Kinder bekommen, ist schon längst keine Frage des Schicksals mehr, sondern meist eine Entscheidung. Kinder zu bekommen ist oft auch ein inniger Wunsch. Doch welche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Kinderwollen kann und soll ich treffen, und was bedeutet es, im gegenwärtigen technischen und gesellschaftlichen Umfeld autonom zu entscheiden? Reproduktive Autonomie ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Autonome Entscheidungen vollziehen sich meist in Beziehungen und berühren die Interessen möglicher Kinder, der Partnerin oder des Partners. Auch gesellschaftliche Diskurse und Erwartungen haben einen Einfluss auf unsere Entscheidungen. In diesem Zusammenhang wird mitunter befürchtet, es komme zu einem „Diktat der Fruchtbarkeit“ und einem „technologischen Imperativ“, der die Autonomie der Frau letztlich wieder untergraben würde. Doch Frauen vor diesem Hintergrund lediglich als Opfer eines sozialen Kontextes darzustellen, die nicht in der Lage sind, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und sich im Zweifel auch gegen entsprechende Angebote zu entscheiden, ist unangemessen. Im Gegenteil: Wir können heute weniger denn je auf das Konzept der reproduktiven Autonomie verzichten.
Barbara Bleisch: Von Sigmund Freud stammt ja bekanntlich der Satz, dass es einem der "größten Triumphe der Menschheit" gleichkommen werde, wenn der "verantwortliche Akt der Kinderzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigen Handlung" würde. Dieser "Triumph" ist heute erreicht - doch fühlt er sich nicht immer triumphal an. Mit ihm geht eben auch, wie bei Freud ja schon anklingt, eine große Verantwortung einher, und zwar sowohl für unser Tun als auch für unser Unterlassen. Eine Diskussion der reproduktiven Autonomie thematisiert nicht nur, welche Diagnosen und Therapien potenzielle Eltern auf dem Weg zum Wunschkind nutzen, sondern ebenso, was sie unterlassen dürfen. Die neuen Möglichkeiten können zweifelsohne vielen Paaren helfen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Befürchtet wird aber auch, dass wir zunehmend unter Druck stehen könnten, nur noch zum "optimalen" Zeitpunkt "perfekte" Kinder zu bekommen.

Sie haben das Buch gemeinsam geschrieben. Was beschäftigt denn ganz generell in diesen Jahren die Rechtswissenschaften an der Art, in der Kinder zur Welt gebracht werden?
Andrea Büchler: Die Rechtswissenschaften befassen sich heute insbesondere mit der Frage, ob und wem die neuen Optionen der Reproduktionsmedizin und Humangenetik zur Verfügung stehen sollen, etwa die Präimplantationsdiagnostik oder die Konservierung von Eizellen. Es besteht ein weitgehender Konsens, dass es zur geschützten persönlichen Freiheit gehört, einen Kinderwunsch zu verwirklichen. Doch wie weit reicht unsere reproduktive Autonomie? Umfasst sie auch die Möglichkeit, Embryonen zu untersuchen und zu selektionieren, um sicherzustellen, dass potenzielle Kinder eine gewisse Krankheit nicht haben werden? Oder eine gespendete Eizelle in Anspruch zu nehmen, um den Kinderwunsch auch noch in einer späten Phase des Lebens zu realisieren? Gibt es moralisch gute, verallgemeinerbare Gründe, die persönliche Freiheit zu beschränken? Dass es solche gibt, ist unbestritten; umstritten ist aber, was sie genau bedeuten und welches Gewicht ihnen zukommt. Solche Gründe sind die Menschenwürde, die Interessen zukünftiger Kinder, oder Gerechtigkeitserwägungen. Konzepte wie die Menschenwürde sind bestimmten philosophischen Traditionen entsprungen, Erwägungen der Gerechtigkeit sind philosophischer Natur. Das zeigt, dass die verschiedenen disziplinären Zugänge miteinander eng verwoben sind. Die Rechtswissenschaften nehmen aber auch gesellschaftliche Veränderungen in den Blick, etwa die Pluralisierung von Familienformen. Gibt es etwa Gründe, gleichgeschlechtliche Paare vom Zugang zur Fortpflanzungsmedizin auszuschließen? Wir meinen klar: nein. Zwar fehlt in diesen Fragen meist ein gesellschaftlicher Konsens, doch reproduktive Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie persönlich, ja geradezu intim sind; die damit verbundenen Vorstellungen von Elternschaft und Familie sind kulturell, weltanschaulich, religiöse und sozial geprägt – und damit vielfältig. Als freiheitliche, pluralistische Gesellschaft müssen wir mit verschiedenen Werthaltungen umgehen, solange sie als das ausgewiesen werden können, was John Rawls als „vernünftige Meinungsverschiedenheiten“ bezeichnet hat.

Und vor welchen Grundfragen steht die Philosophie?
Barbara Bleisch: Erstens beschäftigt sich die Philosophie gemeinsam mit den Rechtswissenschaften mit den bereits genannten Fragen, wie etwa Prinzipien der Diskriminierung, der Menschenwürde oder der Ausbeutung zu verstehen sind und welche moralischen oder auch rechtlichen Verbote sich möglicherweise aus ihrer Verletzung ableiten lassen. Zweitens ist die Frage nach eigenen Kindern vermutlich eine der existenziellsten überhaupt: Wer Kinder bekommt, wird unumkehrbar verantwortlich für einen Menschen, der für lange Zeit und in manchen Fällen für immer auf seine oder ihre Fürsorge angewiesen ist. Die Entscheidung für Kinder führt überdies auf unbekanntes Terrain: Wir wissen weder, welches Kind zu uns stößt, noch wie wir als Eltern sein werden. Vielmehr verändert die Mutter- oder Vaterschaft auch einen selbst. Drittens problematisiert eine philosophische Betrachtung des Kinderwunschs auch den Freiheitsraum, den das Recht dem Individuum zugesteht. Denn auch wenn wir wissen, was rechtlich erlaubt ist, stellt sich uns nach wie vor die Frage, wie wir unsere Freiheit in Verantwortung nutzen können. Was heißt es zum Beispiel, als Paar verantwortungsvoll mit einem Kinderwunsch umzugehen, wenn die Beteiligten im fortgeschrittenen Alter sind oder die Umsetzung des Wunsches besondere Risiken birgt? Was bedeutet es, die Entscheidung für einen Abbruch einer Schwangerschaft verantwortlich zu fällen? Die Entscheidungen sind gerade in diesem Feld typischerweise konfliktreich und berühren tiefsitzende Wertvorstellungen, zwischen denen wir uns hin- und hergerissen fühlen. Philosophie kann dabei helfen, in systematischer Weise über solch fundamentale Fragen nachzudenken.

Wer von dem selbstbestimmten Recht auf reproduktive Autonomie schreibt, der schreibt besonders auch über die Frauen, die Kinder gebären, und über deren Rechte und Möglichkeiten man genau reflektieren muss. Ist Ihr Blick auf das Kinder wollen feministisch?
Barbara Bleisch: Die Philosophin Christine Overall meint tatsächlich, diese Fragen seien immer feministische Fragen, weil das Kinderbekommen die Frauen körperlich viel stärker involviert als Männer. Dazu kommt, dass reproduktive Entscheidungen nie im luftleeren Raum, sondern stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Erwartungen und sozialer Rollen getroffen werden. Darauf hat schon Simone de Beauvoir hingewiesen und im Anschluss an sie etwa auch Elisabeth Badinter. Reproduktion ist oft als Mittel zum politischen und ökonomischen Ausschluss von Frauen genutzt worden. Frauen zu befähigen, selbstbestimmt entscheiden zu können, ist deshalb auch ein feministisches Anliegen. Worin Selbstbestimmung besteht, ist dabei gerade unter Feministinnen wiederum strittig: Sind reproduktive Technologien wist etwa das Einfrieren von Eizellen oder pränatale Gentests eine Erweiterung ihrer Spielräume? Oder geraten Personen mit Kinderwunsch in neue Abhängigkeitsverhältnisse? Feministinnen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Technik und Ökonomie immer wieder unheilvolle Allianzen eingehen, wenn Absatzmärkte und hohe Gewinne vermutet werden.
Andrea Büchler: Ich bin nicht ganz sicher, was einen „feministischen Blick“ ausmacht … Wenn es um einen Blick geht, der für die Bedeutung der Frage des Kinderwollens und der reproduktiven Autonomie für Frauen sensibilisiert ist: dann ja, selbstverständlich! Der Kampf um reproduktive Rechte war (und ist) ein feministischer Kampf, ein Kampf für Gleichberechtigung. Es ging bei den reproduktiven Rechten um nichts weniger als um Souveränität über den eigenen Körper und das eigene Leben. An vielen Orten der Welt sind reproduktive Rechte noch nicht gewährleistet und auch in unseren Breitengraden drohen politische Verwerfungen das Rad zurückzudrehen, man denke an die Diskussionen um den Schwangerschaftsabbruch in Polen oder den USA. Auch die neuen Möglichkeiten, die auf dem Weg zum Kind in Erwägung gezogen werden können und nach einer Entscheidung verlangen, etwa das social egg freezing oder die Pränataldiagnostik, betreffen Frauen in besonderer Weise, allein schon aus dem Grund, dass es dabei immer auch um ihren Körper geht. Schließlich sind die Debatten um das Kinderwollen zweifelsohne zumindest implizit immer auch solche über die Rolle von Frauen in der Gesellschaft, über ihre Körper und ihre Autonomie.

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