5 Fragen an ... Barbara Bleisch

5 Fragen an ... Barbara Bleisch

Frau Bleisch, Eltern haben alle, das gehört zum Leben dazu. Warum widmen Sie als Philosophin der an sich gewöhnlichen Beziehung zu den eigenen Eltern ein ganzes Buch?
Familie gehört tatsächlich zum Leben dazu, und die Beziehung zu unseren Eltern ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Dabei ist es nicht nur die zentrale Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung, sondern auch deren vermeintliche Selbstverständlichkeit, die mich als Philosophin interessiert. Denn es ist alles andere als klar, was eine ethisch gelingende Beziehung zu den eigenen Eltern eigentlich ausmacht. Man muss nicht erst die Weltliteratur studieren – schon ein Gespräch mit Freunden reicht, um zu verstehen: Familien können Orte des Glücks sein, aber sie sind auch anfällig für Verrat, Verletzung, Missgunst. Und selbst in Familien, in denen man sich wohlgesonnen ist, stellt sich die Frage, was wir als Kinder unseren Eltern schuldig sind: Wieviel Loyalität ist gefordert, wie sehr sollte man sich umeinander kümmern und auf welche Empfindlichkeiten muss Rücksicht genommen werden? Anders als Freundschaften sind Familienbeziehungen zudem stark von Konventionen überlagert. Entsprechend werden auch von außen hohe Erwartungen an Eltern und Kinder herangetragen. Konventionen kritisch zu prüfen, ist unbequem, war aber stets eines der Kernanliegen der Philosophie.

Der Titel Ihres Buches ist provokant: Erst einmal gehen doch alle davon aus, dass sie ihren Eltern eine Menge schulden!
Als ich mit der Arbeit an dem Buch begann, war genau das auch meine Ansicht. Und übrigens habe ich sie nicht völlig über Bord geworfen. Was ich wissen wollte, war jedoch, wie diese Intuition genau begründet ist. Und je länger ich darüber nachgedacht und mich in die philosophische Literatur eingearbeitet habe, desto klarer wurde mir, dass die herkömmlichen Gründe für die These, dass Kinder ihren Eltern moralisch etwas schulden, nicht überzeugen: Weder der Verweis auf das Lebensgeschenk, noch auf die Blutsbande, noch auf die elterliche Fürsorge bürden den Kindern moralische Verpflichtungen auf. Kinder haben um ihre Existenz nie gebeten, und die Kinder aufzuziehen, war die Pflicht der Eltern. Außerdem haben auch Kinder ihren Eltern meist eine Menge geschenkt – an Lebenssinn, Bewunderung und Liebe. Kinder im Erwachsenenalter generell als moralische Schuldner ihrer Eltern zu sehen, halte ich daher mittlerweile für völlig falsch. Hinzu kommt: Schuldgefühle trennen; sie verbinden nicht. Die normative Kraft, die uns verpflichtet, sollte das lebendige Interesse aneinander oder, im besten Fall, die wechselseitige Liebe sein.

Kinder sind also gänzlich frei, wie sie sich ihren Eltern gegenüber verhalten?
Nein, sicher nicht. Wir sind immer verpflichtet, unser Gegenüber zu achten, anderen nicht mutwillig Schaden zuzufügen und auf sie und ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen. Anders gesagt: Natürlich schulden Kinder ihren Eltern etwas, zum Beispiel eben grundlegenden Respekt – und viele Kinder lassen es an diesem Respekt gegenüber den eigenen Eltern vermissen. Wichtig ist aber, dass wir diese Pflicht nicht haben, weil es sich um unsere Eltern handelt. Es ist nicht die Tatsache, dass ich jemandes Kind bin, die mich verpflichtet, sondern die Menschlichkeit als solche: Ausbeuten, verraten oder mutwillig schädigen dürfen wir niemanden – also auch nicht die eigenen Eltern. Das zu betonen ist gerade mit Blick auf intime Verhältnisse, wie es Familienbeziehungen sind, wichtig: Weil man sich so nahe war und vielleicht noch ist, kennt man die wunden Punkte des Gegenübers und kann sich besonders einfach verletzen. Dies zu tun, wäre respektlos. Respektvolle Menschen gehen überdies nicht achtlos über Bedürfnisse und Erwartungen von Anderen hinweg – und zwar insbesondere dann nicht, wenn diese Bedürfnisse der gemeinsamen Geschichte erwachsen. Doch elterliche Erwartungen als grundsätzlich berechtigt anzuerkennen und sie ernst zu nehmen, heißt nicht, unhinterfragt zu tun, was Eltern sich wünschen. Wir dürfen unsere Eltern enttäuschen, denn wir alle haben auch die Aufgabe, ein eigenes Leben zu leben.

Aber greifen Sie damit nicht die Familie als eine der wichtigsten Stützen der Gesellschaft an?
Ich bin um die Familie als Pfeiler der Gesellschaft nicht besorgt und ich habe nicht das geringste Interesse daran, sie anzugreifen. Ich bin als Philosophin der ethischen Frage nachgegangen, wie sich das Gefühl von Verpflichtung, das viele Menschen ihren Eltern gegenüber haben, begründen lässt. Und meine Arbeit hat mich zu dem Ergebnis geführt, dass es sich nicht allein dadurch begründen lässt, dass man das Kind von jemandem ist: bloße Kindschaft verpflichtet moralisch zu nichts! Wenn ich überhaupt ein gesellschaftspolitisches Anliegen in Sachen Eltern-Kind-Beziehung habe, geht es mir ganz im Gegenteil darum, die Familie zu stärken, indem wir sie von überfrachteten Vorstellungen befreien. Es ist mir schleierhaft, wie die Familie ausgerechnet durch das Pochen auf eine Schuldigkeit geschützt werden soll. Eltern wünschen sich in aller Regel Zuwendung, die Kinder aus freien Stücken schenken und nicht aus Furcht, die Eltern zu enttäuschen. Wenn wir die Familie als wichtige Stütze der Gesellschaft begreifen, dann sollten wir uns für die Idee öffnen, dass die Gesellschaft ihrerseits Grund hat, die Familie und damit auch die Eltern-Kind-Beziehung zu stützen. Dazu gehört, einander bei Bedarf zu entlasten, wenn es etwa um die Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger geht. Wer jemals mit Blick auf die eigenen Eltern oder Großeltern diese Aufgabe übernommen hat, weiß, wie intensiv diese Erfahrung ist, wie verbindend und kostbar und wie trennend und beziehungsgefährdend zugleich sie sein kann. Eine Gesellschaft, die auf die Familienbande als stützenden Pfeiler setzt, sollte bereit sein, erwachsene ‚Kinder’ in dieser Aufgabe zu unterstützen, statt sie mit ihr alleinzulassen, indem man entsprechende Pflichten aufgrund von Kindschaft behauptet.

Warum wühlt die Menschen die Frage nach dem Verhältnis zu ihren Eltern so sehr auf?
Eltern sind, wie der Schriftsteller Peter Weiss einst schrieb, die „Portalfiguren“ unseres Lebens. Wir können noch so sehr auf Distanz gehen, Familie ist uns, wenn nicht in Fleisch und Blut, dann sicher in unsere Identität übergegangen. Wir haben deshalb guten Grund, uns um ein gutes Verhältnis zur Herkunftsfamilie zu bemühen – und müssen dennoch unseren eigenen Weg finden. Eltern sind überdies die Personen, durch die wir die Idee von Pflichten überhaupt erst kennenlernen. Es braucht eine lange Zeit der Emanzipation, bis wir verstehen, dass nicht alles, was unsere Eltern sich von uns wünschen, auch unsere Pflicht ist. Viele Menschen sind sich diesbezüglich unsicher, und also trifft die Frage, was wir unseren Eltern schulden, einen neuralgischen Punkt. Mein Buch will diese Frage nicht entscheiden, sondern uns helfen, über sie nachzudenken. Darin sehe ich die Aufgabe der Philosophie. Mir geht es darum, zu zeigen, dass die Antwort auf die Frage, was Kinder ihren Eltern schulden, von ihrer Beziehung zu ihren Eltern abhängt und nicht allein am Verwandtschaftsverhältnis liegt.

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