5 Fragen an ... Matt Ruff

5 Fragen an ... Matt Ruff

Lieber Matt Ruff, Lovecraft Country trägt einen der berühmtesten Autoren der Horrorliteratur im Titel. Sind Sie selbst ein Leser von H.P. Lovecraft? Und was von ihm findet sich in ihrem Roman?
Meiner Meinung nach ist H.P. Lovecraft ein begnadeter Erzähler, besonders was das Evozieren von lauernden Gefahren angeht. Natürlich war er auch ein weißer Suprematist. Und diese Tatsache versuchen viele Lovecraft-Fans zu ignorieren oder herunterzuspielen. Aber die wirkliche Schwierigkeit dabei ist, dass ein Großteil der Kraft, die von Lovecrafts Werk ausgeht, sich direkt aus der Tatsache speist, dass er Angst vor Menschen hatte, die anders waren als er.
Indem er seinem eigenen Rassismus freien Lauf ließ, erschloss er sich gleichzeitig allgemeinere Themen der Fremdheit. Eine meiner Lieblingserzählungen von Lovecraft, Schatten über Innsmouth, erzählt von einem Touristen, der eine Hafenstadt besucht, dort ein ungeheuerliches Geheimnis aufdeckt, und schließlich, von der ganzen Stadt verfolgt, um sein Leben rennen muss. Diese Geschichte hat einen sehr rassistischen Subtext – das große Geheimnis besteht nämlich darin, dass die Bewohner der Stadt sich mit unheimlichen Wesen aus dem Meer paaren, was sich letztlich als nicht sehr subtile Allegorie auf die vermeintliche Sünde der Rassenvermischung liest. Zugleich ist Schatten über Innsmouth eine der stärksten Erzählungen über versuchten Lynchmord, die ich je gelesen habe. Und mit einigen kleinen Änderungen könnte es leicht auch die Geschichte eines schwarzen Reisenden sein, der nach Sonnenuntergang in der falschen Stadt gefangen ist. Obgleich ich also Lovecrafts rassistische Weltsicht ablehne, funktioniert die Erzählung für mich dennoch auf einer emotionalen Ebene. Und so verhält es sich mit vielen der besten Lovecraft-Texte.

Würden Sie sagen, dass jeder Ihrer Protagonisten in Lovecraft Country sein eigenes „Abenteuer“ durchlebt und sich damit auch einer ganz eigenen Herausforderung stellen muss?
Eine meiner Hauptintentionen beim Schreiben von Lovecraft Country war es, jedem Protagonisten in seiner eigenen Horrorgeschichte eine Hauptrolle zu geben. Deshalb hat der Roman seine jetzige Struktur, er besteht aus einer Reihe zusammenhängender Episoden – im Grunde bekommt jede Figur ihr eigenes Kapitel, und am Ende fügen sie sich alle zusammen in einem Kampf gegen die Bösen.
Dies hat den schönen Nebeneffekt, dass der Leser die Charaktere alle richtig kennenlernt, niemand kommt zu kurz – was manchmal passieren kann, wenn man es mit so vielen Figuren zu tun hat.

Ruby, eine der Protagonistinnen, durchlebt ihre eigene Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Geschichte. Hat dieser Gothic-Klassiker von Robert Louis Stevenson eine besondere Bedeutung für Sie?
Eine weitere Entscheidung, die ich sehr früh getroffen habe, war, dass alle Protagonisten, aus deren Perspektive in Lovecraft Country erzählt wird, schwarz sein sollten. Man befindet sich nie im Kopf von Caleb Braithwhite oder den anderen weißen Bösewichten, ganz einfach, weil es nicht ihr Roman ist – Lovecraft Country ist eine Horrorgeschichte über Rassismus. Deshalb wollte ich mich an die Menschen halten, für die Rassismus in erster Linie Horror ist.
Diese Herangehensweise stellte mich vor einige technische Herausforderungen. Wie lasse ich den Leser verstehen, was die Intention der Bösen ist. Ich musste einen Weg finden, einem meiner schwarzen Protagonisten dorthin Zugang zu verschaffen, wo die Weißen sich verschwören. Und an diesem Punkt kam mir Robert Louis Stevenson zu Hilfe. Er passt auch thematisch, denn in jedem System, das auf Vorurteilen beruht, begegnet einem das Phänomen der „Überschreitung“. Mitglieder einer Fremdgruppe geben vor, Teil eines inneren Kreises zu sein. Der besondere Dreh in Rubys Fall ist, dass sie sehr dunkelhäutig ist. Sich für eine Weiße auszugeben, ist also keine Option für sie. Doch mit Magie ist alles möglich, und das vergrößert nur die Versuchung: Ruby weiß, dass der Pakt mit Braithwhite ihre einzige Möglichkeit ist, diese Versuchung jemals Realität werden zu lassen.
Beim Schreiben des Kapitels habe ich zudem noch weitere thematische Resonanzen entdeckt. Ich habe Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde wiedergelesen und gesehen, dass Stevenson, ganz typisch, den bösen Hyde als „dunkel“ beschreibt, während der gute Dr. Jekyll blond und weiß ist. Rubys Geschichte stellt diese Zuschreibungen auf den Kopf. Und noch eine weitere interessante Umkehrung ist zu finden: Jekyll wurde zu Hyde, damit er ohne Konsequenzen sündigen konnte. Ruby wird zu Hillary, damit sie den Grenzen der Rassenvorurteile entkommen kann – ihre Sünde liegt in dem, was sie tun muss, um dorthin zu kommen.

Haben Sie einen Lieblingsprotagonisten in Lovecraft Country?
Das ist wohl Hippolyta. Als ich begonnen habe, über ihren Charakter nachzudenken, wusste ich lediglich, dass sie eine Frau sein würde, die unzufrieden ist mit ihrem Leben und es genießt, lange Fahrten zu unternehmen, alleine. Und ich hatte diese Idee, dass sie nachts einen Umweg durch die Wälder nimmt und dabei… etwas findet. Irgendwie bin ich davon zu der Vorstellung gekommen, dass sie eine enttäuschte Möchtegern-Astronomin ist, die dachte, den Schlüssel zu einem privaten Observatorium gefunden zu haben – nur, um dann zu bemerken, dass dieses Observatorium weit mehr kann, als einen bloßen Blick auf die Sterne zu gewähren.
Ihr Kapitel zu schreiben war eine Herausforderung, denn ich musste die Hintergrundgeschichte von Hippolytas Schwärmerei für den Planeten Pluto und ihre gegenwärtige Geschichte unterbringen, ohne mich dabei zu weit von der Haupthandlung zu entfernen. Schließlich wurde das Kapitel eines meiner liebsten, und ich glaube, einem Großteil meiner Leser geht es genauso.

Was mögen Sie daran, phantastische Elemente in ihre Bücher einzubauen und warum denken Sie, dass man in einer Kombination aus Phantastik und Realismus eine reichere Geschichte erzählen kann als es in nur einem der beiden Genres möglich wäre?
Um das vorwegzusagen: Ich denke, umso mehr Optionen man beim Erzählen einer Geschichte hat, umso besser. Phantastische Elemente geben einem die Möglichkeit, allerlei interessante und überraschende Dinge zu tun. Realismus wiederum lässt einen die Bodenhaftung wahren. Das macht das Phantastische glaubwürdiger und auf der emotionalen Ebene lebendiger. Und außerdem macht es so einfach mehr Spaß.

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