5 Fragen an ... Fiston Mwanza Mujila

5 Fragen an ... Fiston Mwanza Mujila

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen und wie ist Ihr erster Roman entstanden?
Ich komme aus dem Kongo. Dort habe ich Literatur und Humanwissenschaft studiert. Danach habe ich in Belgien, Deutschland und Frankreich gelebt. Seit Jahren wohne ich in Graz, bin an der Uni tätig und arbeite als Schriftsteller. Zum Schreiben bin ich durch meine Eltern gekommen, glaube ich. Sie haben uns immer Bücher gekauft ... In meiner Familie ist Lesen sehr wichtig. Mein Vater sagte immer, dass man seinen kulturellen Horizont durch Literatur erweitern könne.
Ich bin in Lubumbashi geboren. Lubumbashi ist eine Minenstadt. Ich wollte über die jungen Menschen im Kongo und überall schreiben, die grausame Arbeit machen, zum Beispiel über die jungen Menschen, die in den Minen arbeiten.

Haben Sie literarische Vorbilder?
Das ist eine tolle, aber auch schwierige Frage. Ich habe mehrere Vorbilder, weil ich selbst ein neugieriger Leser bin. Schon in meinem Heimatland habe ich mich mit Literatur beschäftigt. Ich habe zuerst viel afrikanische und französische Literatur gelesen. Heute lese ich auch deutschsprachige Autoren. Ich kann nicht sagen, wer mich sehr oder wenig beeinflusst hat, aber Schriftsteller wie Achebe, García Márquez und Aimé Césaire gehören dazu.

Wie ist Ihr Bezug zur Musik, sind Sie auch Musiker?
Ich bin ein Musikfan seit vielen, vielen Jahren. Ich mag nicht nur Jazz, sondern auch kongolesische Musik oder klassische Musik, ich höre alles. Meiner Meinung nach ist Sprache ein Instrument: ein Saxofon, ein Klavier, sogar ein Kontrabass ... Ich komponiere meine Texte wie ein Jazzmusiker, wie ein Saxofonist. Ich war immer von diesem Instrument fasziniert, ich finde, es ist ein nobles Instrument. Ich habe diesen Text wie eine Partitur komponiert. Und wichtig ist nicht nur der Text, sondern auch das, was danach kommt: die Performance, die laute Lektüre. Ich arbeite mit vielen Musikern zusammen, zum Beispiel mit Patrick Dunst, einem großartigen Saxofonisten. Rhythmus in meinem Text zu haben, ist mir sehr wichtig.
Bedeutsam am Jazz ist, dass das eine Musik der Freiheit ist. Der Jazz war in Nazideutschland verboten. Er wurde als Dschungelmusik bezeichnet. In Südafrika war der Jazz ein wichtiges Sprachrohr im Kampf gegen die Apartheid und in den USA spielte er eine wichtige Rolle, als es darum ging, eine schwarze Identität zu entwickeln. Ich habe die Struktur des Jazz genutzt, um viel Freiheit zu haben. Ich habe den Roman wie ein Jazzorchester gebaut, mit vielen Momenten der Harmonie und der Improvisation und mit Soli. Und diese Soli haben mir als Autor viel Freiheit ermöglicht.

Wenn Sie nach dem Sinn von Literatur und der Deutung Ihres Romans gefragt werden, was antworten Sie?
Ich glaube, die Frage nach dem Sinn und der Bedeutung ist lediglich eine Frage der Perspektive. Jede Frage nach Sinn ist vermutlich relativ. Ich komme aus dem Kongo, wo die Wahrheit nicht absolut ist, weil die „großen Erzählungen“ – um einen Begriff von Lyotard aufzugreifen – am Ende sind. Und im Kongo hat sich eine große Vielfalt an Bildern entwickelt. Die Kongolesen haben sich eine multiple, relative Realität konstruiert, das heißt, es gibt keine absolute Wahrheit, sondern viele Wahrheiten, denn alles hängt davon ab, wie jemand ein Ereignis empfunden hat, wie jemand mit der Realität konfrontiert wird.
Man bedient sich sehr oft der Ziffern, beispielswiese der Ziffern 6 und 9. Man sagt, 6 und 9 sind dieselben Ziffern, aber alles hängt von der Perspektive ab. Für mich kann es eine 6 sein, für dich eine 9, alles hängt davon ab, wie du die Wahrheit betrachtest. Und was den Roman betrifft, würde ich sagen, die Wahrheit zeigt sich nicht in dem, was passiert, also in der Handlung, sondern in der Sprache. Die Wahrheit liegt nicht unbedingt in der Absicht des Erzählers, sie liegt im Rhythmus, in der Emotion, die durch die Lektüre des Textes ausgelöst wird. Für mich ist es wichtig, über diesen Roman zu transportieren, dass man einen Roman schreiben kann, ohne einen Roman zu schreiben. Bei Tram 83 steht die Handlung nicht im Vordergrund, aber man muss bis zum Schluss lesen. Es ist nicht die Handlung, sondern die Emotion, die die Lektüre des Textes bedingt.

Was hat Sie nach Österreich geführt?
Ich liebe das Leben und versuche, kein eingezäuntes, geordnetes, normales, vorhersehbares Leben zu führen. Ich mag es, von einem Tag auf den anderen zu leben. Das heißt, ich weiß durchaus, was ich in den nächsten 10 Jahren machen möchte, welchen Roman und welches Theaterstück ich schreiben werde, aber in meinem Privatleben mag ich es, mich auf den Zufall zu verlassen. Ich habe in vielen Ländern gelebt und bin viel gereist. Ich wusste nicht, dass ich in Europa leben würde, dass ich in Österreich leben würde. Momentan lebe ich in Österreich, aber vielleicht werde ich morgen oder übermorgen in den USA sein, weil das Leben ein Wunder ist. Österreich ist jetzt mein zweites Zuhause. Hier habe ich es geschafft, meine Erinnerungsorte aufzubauen. Es bleibt ein langer Prozess ... Aber ich glaube an den Menschen. Und ich glaube auch an mich selbst.

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