5 Fragen an ... Andrea Grill

5 Fragen an ... Andrea Grill

Doktor Caspari, der Protagonist Ihres neuen Romans, ist Biologe wie Sie selbst. Er interessiert sich besonders für eine exotische Schmetterlingsart. Sie selbst haben über Schmetterlinge promoviert. Was ist das Faszinierende daran?
Schmetterlinge sind, nach den Käfern, die artenreichste Gruppe. Will ich verstehen, wie Vielfalt entsteht, wie Arten entstehen und sich verändern, sind Schmetterlinge ideale Studienobjekte. Dazu kommt für mich, dass sie ganz anders sind als wir Menschen. Zu versuchen, sich in einen Schmetterling hineinzuversetzen, ist fast wie eine Reise ins Weltall, das führt weit weg vom menschlichen Alltag. Außerdem sind sie schön. Nicht nur als Falter, auch als Ei.

Auf seiner Insel betreibt Caspari eine ernsthafte, aber doch fröhliche, ja sinnliche Wissenschaft. Die Leute mögen ihn. Warum glaubt er, seine Forschungen im Geheimen betreiben zu müssen?
Weil er die Gefühle seiner Mitmenschen für Experimente missbraucht. Er rechtfertigt das zwar für sich selber, indem er sich hinter der wissenschaftlichen Suche nach Objektivierbarkeit verschanzt, Wissenschaft bedeutet für ihn auch Kontrolle der Umgebung durch Verstehen, unabhängig sein vom eigenen Körper. Doch diese Unabhängigkeit gelingt natürlich auch ihm nicht so recht. Er hat Angst davor, was die Leute denken würden, wüssten sie, woran er forscht. Da kommt auch ein Teil Irrationalität dazu: Er will nicht, dass ihm ein Kollege seine Erkenntnisse wegschnappt, bevor er sie publiziert. Das ist zwar unwahrscheinlich, weil er so abgeschieden lebt, trotzdem eine Urangst jedes Forschers.

Ist das Außenseitertum Casparis Berufung, oder glaubt er vielmehr, es gehöre zu seinem Beruf?
Ich denke beides. Niemand wird Wissenschaftler oder Schriftsteller, wenn sie oder er es nicht aushält, stundenlang, tagelang allein in einem Zimmer zu sitzen. Diese Beschäftigungen sind solitär. Man wächst aber mit der Zeit auch hinein. Weil man es tut, wird es Teil von einem selber. Wissenschaftler sind auch in der Wirklichkeit Leute, die sich für etwas interessieren, eine scheinbare Kleinigkeit, auf die andere nie kommen würden. Die Konzentration, die dabei entsteht, ist etwas ganz Besonderes, und man wird auch süchtig danach. Caspari ist es jedenfalls. Da entsteht das Gefühl der (imaginierten) Unabhängigkeit von der Welt. Und so sitzen Wissenschaftler den Sommer über im Labor, weil ihnen das tatsächlich lieber ist, als am Strand zu liegen. Wie ein Professor von mir zu sagen pflegte, wenn er vom Urlaub mit seiner Frau zurückkehrte: "So, das haben wir jetzt wieder hinter uns gebracht". Er war wirklich lieber im Labor als auf Urlaub.

Ironisch, aber auch überaus zärtlich schildern Sie Casparis Verhältnis zu seiner Großmutter und zu seinem schwerhörigen Vater in Wien, die er seit Jahren nicht mehr persönlich gesehen hat. Stehen Sie stellvertretend für das Heimweh?
Ja, schon eine Art Heimweh. Eine Sehnsucht nach Vertrautheit vielleicht. Aber eine kontrollierbare Vertrautheit, weil aus der Ferne gelebt. Caspari ist in dieser Hinsicht sehr heutig. Andererseits zeigt es auch, dass er eben – glücklicherweise! – nicht unabhängig ist von anderen Menschen. Was er aber immer so gern wäre.

Wird aus dem Paradies des Doktor Caspari zuletzt womöglich sein Gefängnis?
Gefängnis nicht ganz, weil ein Gefängnis ja etwas ist, in das Menschen einen anderen Menschen sperren. Caspari sucht die Isolation freiwillig. Er ist eher mit einem Eremiten oder Geistlichem zu vergleichen. Er ist in einem oszillierenden Paradies. Ab und zu wirklich euphorisch, dann wieder Gefangener seiner selbst. Vor allem die anderen, seine Umgebung, sind es, die ihn im Paradies wähnen. Nicht nur geografisch. Auch weil er so selbstbestimmt arbeiten kann. Irgendwie vertreiben ihn dann eigentlich ausgerechnet die Schmetterlinge aus dem Paradies.

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