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„Maren Wurster hat mit geradezu erschreckend großer Einfühlung, dabei sprachlich völlig unpathetisch und sehr präzise die Einsamkeit und Wut des Jungen mit seinem Hang zur Selbstzerstörung herausgearbeitet. … Es geht Maren Wurster in diesem Roman ganz offensichtlich nicht um Schuld, sondern um einen unstillbaren Schmerz in einer unauflöslichen Verbindung. Diesem Schmerz eine Form zu geben, ist Maren Wurster gut gelungen.“ Angela Gutzeit, SWR2, 21.09.2022
„Gerade wenn es um die Verletzlichkeit des Körpers geht, sieht Maren Wurster sehr genau hin ... In vielen sorgfältig komponierten Details verschränkt Wurster die beiden Perspektiven [von Mutter und Sohn] so, dass sie sich, in welcher Reihenfolge auch gelesen, wechselseitig beleuchten, spiegeln und erhellen, bis hin zu Trost und Heilung ... Natürlich kann man Maren Wursters Schreiben unter Care-Literatur oder Regretting Motherhood verschlagworten und wird doch der existenziellen Neugier und Durchlässigkeit, mit der die Autorin sich in Verlusterfahrungen hineinbohrt, nicht ganz gerecht.“ Eva Behrendt, taz, 17.01.2023
„Maren Wurster schreibt plastisch und einfühlsam über die Abgründe unseres Menschseins. Trotz der Kürze des Romans taucht man ganz tief ein in die Emotionen und die Welt ihrer Figuren.“ Katharina Mild, Radio Bremen zwei, 21.09.2022
"Maren Wurster bedient sich einer stellenweise brutal einfachen Sprache, die aufs Schönste veranschaulicht, wie nahe Einfachheit der Poesie kommen kann, wenn man versteht, aus Worten Wahrheit zu schlagen." Ingrid Mylo, Badische Zeitung, 21.10.2022
„Für dieses Buch des Schmerzes und der Einsamkeit wählt Maren Wurster eine wirkungsvolle Form: Sie erzählt die Geschichte einer Mutter und ihres Sohnes je aus eigener Perspektive – und jedes Mal beginnt die Geschichte von vorn ... Sprachlich und stilistisch wirkungsvoll und gleichermaßen einfühlsam wie verstörend … Maren Wurster wirft einen mutigen Blick auf eine menschliche Beziehungsdynamik, die voller Mangel scheint. Sie wertet nicht, sie beschreibt ungeschminkt.“ Klaus-Martin Bresgott, zeitzeichen, 27.01.2023
„Maren Wurster [nimmt] die zwei Seiten der Mutter-Kind-Beziehung einerseits radikal ernst und [bricht sie] andererseits formal ... Die Buchbindung vollführt dabei auf Materialebene, wovon der Roman handelt: von einer Beziehung, in der Trennung, aber keine Auflösung möglich ist. … Es ist eine Stärke des Romans, die Verwobenheit des Lebens von Mutter und Kind, Lena und Konrad, über die Trennung hinweg zu beschreiben.“ Hanna Engelmeier, Süddeutsche Zeitung, 14.09.2022
„Maren Wursters drittes Werk ist ein eindrücklicher neuer Beitrag zu ‚Regretting Motherhood‘. … Der Roman macht erfahrbar, welch Dilemma bereuende Mutterschaft für alle Beteiligten ist.“ Eva-Maria Lörzer, Missy Magazine, 12.09.2022
5 Fragen an …
Maren Wurster
Dein Buch ist – auch formal – etwas ganz Besonderes: Es lässt sich von beiden Seiten anfangen zu lesen, aus zwei Perspektiven: der von Lena, der Mutter, die ihr Kind zurücklässt, und der des zurückgelassenen Sohnes, Konrad. Zwei getrennte Leben, zwei getrennte Geschichten, gleichzeitig existentiell verbunden. War es naheliegend für Dich, genau auf diese Art und Weise zu erzählen?
Zunächst gab es die Frau, aus deren Brüsten Milch läuft, sie weiß nicht, wohin damit, denn das Baby ist nicht da. Dieses Bild hat mich bewegt, ich musste mich dieser Frau annähern, sie beobachten, verstehen. Dann merkte ich: Ich möchte nicht nur erzählen, was es für eine Mutter bedeutet, ihr Baby zu verlassen, die frühe Symbiose zu trennen, gewaltvoll, mit allen körperlichen und emotionalen Folgen. Ich möchte wissen, was es für das Kind bedeutet. Die Kehrseite von regretting motherhood sozusagen. So ist parallel der Text zu Konrad entstanden. Ich habe lange an einer Komposition gearbeitet, in der die beiden sich ineinander spiegeln. Die fehlende Mutter, das fehlende Kind sind die Leerstellen, um die Konrad respektive Lena jeweils kreisen. Dabei habe ich gesehen, wie ähnlich sie sich sind. Mutter und Sohn kommen sich wieder nahe.
Eine Mutter, die ihr Kind zurücklässt – das ist immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Um diese Frauen herabzuwürdigen, wird der uralte Begriff Rabenmutter ausgepackt. Was für eine Frau ist Lena?
Lena ist eine Frau, die scheinbar alles hat, einen erfüllenden Beruf, einen erfolgreichen Partner, ein städtisches Leben, Schönheit. Und die ihr Kind trotzdem emotional nicht halten kann. Sie macht einen Schritt, der krass radikal ist, sie lässt ihr Baby zurück. Zugleich ist dieser Schritt gar nicht so krass und radikal. Manchmal geht ein Mensch über eine gesellschaftliche, eine kulturelle Grenze. Das passiert viel leichter, als angenommen wird. Es gibt dann allerdings kein Zurück mehr, das ist fast das Heftigere. Ich fühle mit Lena mit und bin ihr nahe. Ich verurteile sie nicht, ich sehe, dass etwas durchschimmert: eine frühe Wunde, eine Einsamkeit neben einem emotional abwesenden Vater. Das erklärt ihre Handlung nicht – nichts ist wirklich kausal erklärbar, glaube ich –, es macht aber ein Feld sichtbar, in dem eine Frau und junge Mutter stehen kann. In dem ich im Übrigen auch stand.
In beiden Teilen gibt es eine Stelle, die eine mögliche Begegnung zwischen Lena und Konrad nahelegen. Warum lässt Du diese Möglichkeit offen?
Lena und Konrad begegnen sich doch! Zwar nicht auf der Straße, wie ich mir das mal vorgestellt habe. Sie kommen sich aber erzählerisch sehr nahe, sie sind beide für eine Weile allein in einem leeren Ferienhaus, sie finden Spuren des anderen, der anderen, sie lernen voneinander. Vor allem Konrad wird Lena helfen, ihr Leben fortzusetzen. Damit das Gelingen kann, strapaziere ich die zeitliche und räumliche Logik ein wenig.
Lena verkapselt sich in einem Wandschrank, nachdem sie die Familie verlassen hat. Konrad schält aus einem Stück Holz eine Skulptur. Es scheint, als könnte Konrad damit so etwas wie ein transgenerationales Trauma bewältigen …?
Konrad baut am Anfang einen hölzernen Käfig –, nicht nur er fühlt sich gefangen, das gilt auch für Lena. Beide sind verstrickt in Verletzungen, die größer und auch älter sind als die beiden. Und mit Konrad ist tatsächlich ein Weg beschrieben, dies zu verarbeiten. Schließlich findet dieser Junge mit seiner wilden Energie und seiner kreativen Wut einen Weg, den Schmerz der Familie zu transformieren. Das klingt jetzt pathetisch, so ist das Buch gar nicht, es passt hier trotzdem.
Lena und Konrad werden Menschen zur Seite gestellt, die ihnen helfen. Ersetzt du die Herkunftsfamilie hier durch eine soziale Familie?
Der familiäre Verbund, der aus Lena und Konrad und dem Vater Robert besteht, ist kaputt, er ist dysfunktional. Die Liebe der Mutter fehlt Konrad. Die Liebe des Partners fehlt Lena. Dafür gibt es andere Menschen, die den beiden mit Zuneigung begegnen, etwa den geheimnisvollen Mann, der Lena Lebensmittel vors Haus stellt und aufpasst, dass sie nicht verhungert. Konrad hat ein Kindermädchen, Una, das zwar alles andere als mütterlich ist und trotzdem oder gerade deswegen diese Position in seinem Leben besetzt. Und letztlich ist es die Beziehung zu seinem Freund Kaspar, die körperliche auch, die Konrad aus seinem Schutzkäfig herausholt. Seine Liebe kann das Leid nicht ungeschehen machen, sie verändert es aber.