5 Fragen an ... Ursel Allenstein

5 Fragen an ... Ursel Allenstein

Liebe Ursel Allenstein, Gebranntes Kind sucht das Feuer ist ein autobiographischer Roman – worum geht es?
Das gebrannte Kind, um das es geht, ist die schwedisch-israelische Holocaustüberlebende Cordelia Edvardson. Fast vierzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz – das Buch erschien erstmals 1984 in Schweden – näherte sie sich schreibend dem Feuer an, der Hölle ihrer Kindheit. Von ihrer geliebten und bewunderten Mutter, der deutschen Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, die mit dem Stiefvater des Mädchens in einer von den Nazis sogenannten »privilegierten Mischehe« lebte, wird sie katholisch erzogen und wächst in Berlin auf. Da sie einen jüdischen Vater und Großvater mütterlicherseits hat, gilt sie jedoch als »Volljüdin«. Schon als sehr junges Mädchen spürt sie, dass sie nirgends richtig dazugehört, ohne den Grund für ihr Stigma enträtseln zu können. Wie ein Netz, das sich um sie herum zuzieht, nehmen die Ausgrenzung und die Bedrohung zu. Wer will, wer kann das Mädchen schützen? Nicht die Schule, nicht die Katholische Kirche, und schließlich das Ungeheuerliche: nicht einmal die eigene Mutter. Mit vierzehn Jahren wird sie deportiert.

Was ist für Sie das Besondere an diesem Buch?
Cordelia Edvardson schreibt in einer höchst konzentrierten literarischen Form über ihr Leben: auf wenig Raum, in klaren Worten, lakonisch und ohne Pathos. Und trotzdem, oder gerade deshalb, entwickelt ihr Bericht eine so erschütternde Wucht. Nachdem ich als Jugendliche vor allem von der Literatur von Primo Levi, Imre Kertész und Jorge Semprún geprägt wurde, war dieses Buch für mich auch besonders, weil es das Schicksal einer weiblichen Überlebenden erzählt. Zugleich ist es auch als literarische Auseinandersetzung einer Tochter mit ihrer überaus ambivalenten Mutter verstörend.

Der Roman ist eine Neuübersetzung – er erschien ursprünglich 1984 auf Schwedisch. Welche Herausforderungen gab es für Sie bei der Übersetzung?
Die übersetzerische Loyalität gegenüber dem Original habe ich bei diesem Buch als besonders große Verantwortung empfunden. Behutsam mit der Sprache umzugehen, unbedingt auch die sprachliche Zurückhaltung, die lakonische Prägnanz und die Brüche zu bewahren. Jeder Ansatz, sprachlich zu beschönigen oder zu glätten, wäre mir in diesem Fall anstößig vorgekommen. Gleichzeitig zitiert Cordelia Edvardson immer wieder – direkt oder indirekt – die Mutter. Vor allem in den mythologischen und biblischen Referenzen und Vorstellungen schwingt auch Langgässers Stimme mit, die einen scharfen stilistischen Kontrast zur Sprache der Tochter bildet. (»Es war zu viel und doch zu wenig«, kommentiert Cordelia Edvardson treffend den späteren Versuch der Mutter, über die Erlebnisse der Tochter zu schreiben: »Es wurde vom Feuer gesprochen, aber über die Asche geschwiegen«.) Diese bewusst nicht immer klar zu trennenden Stimmen waren herausfordernd. Neben anderen literarischen Zeugnissen des Holocaust habe ich während der Arbeit an der Übersetzung teilweise auch Langgässers Briefe gelesen – und war schockiert, mit welcher Beiläufigkeit sie über das Schicksal ihrer Tochter schreiben konnte.

Würden Sie sagen, wir lesen den Roman heute anders als 1984?
Fest steht, dass er an Aktualität nicht verloren hat. »Jiskor! Erinnere dich!«, zitiert Cordelia Edvardson im letzten Abschnitt des Buchs das jüdische Gedenkgebet. Und sie betonte Zeit ihres Lebens, dass Gewalt nicht bewältigt werden könne – jede Generation müsse sich aufs Neue mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Das kann man dieser Tage wohl nicht oft genug betonen, und ich hoffe und glaube, dass es gerade einem Buch wie diesem gelingen kann, die Erinnerung gegenwärtig zu halten. Vielleicht hat man Gebranntes Kind sucht das Feuer damals noch eher als ein subjektives Zeitzeugnis und Dokument der Geschichte gelesen, während wir gelungene Autofiktion neuerdings stärker auch als literarische Kunstform wahrnehmen und wertschätzen können. Aus heutiger Sicht wundert mich im Übrigen, dass der Roman damals nicht zu einer größeren Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk von Elisabeth Langgässer geführt hat (nach der man beispielsweise noch 1991 eine Schule benannt hat). Schon auf der ersten Seite bezeichnet sich Cordelia als »ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen«. Gleichzeitig sieht sie sich als Auserwählte.

Können Sie etwas zu dieser widersprüchlichen Identität sagen?
Die Außenseiterin zur Auserwählten umzudeuten, war eine wichtige Überlebensstrategie, die Cordelia schon früh entwickelte, um in ihrem zunehmend unerträglichen Dasein die eigene Würde zu bewahren.

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