5 Fragen an ... Tobi Müller

5 Fragen an ... Tobi Müller

Lieber Tobi Müller, welche Musik lief bei dir zuletzt und auf welchem Gerät hast du sie abgespielt?
Im Büro habe ich Kopfhörer auf. Dort lief heute das neue Album von Sophia Kennedy, einer Musikerin aus Hamburg, die ihre Kindheit in Nordamerika verbracht hat. Nicht gestreamt, sondern von lokalen Dateien auf dem Computer abgespielt. Zum Recherchieren ist Spotify super, obwohl ich Streaming in meinem Buch sehr kritisch sehe. Wenn ich weiß, dass ich ein Album oft hören will oder muss, sind lokale Dateien aus zwei Gründen sinnvoller: Die Künstlerin oder der Künstler hat mehr davon, wenn man die Musik direkt bezahlt, und ein Download ist oft nachhaltiger, weil wiederholte Streams einen größeren CO2-Abdruck entwickeln. Zu Hause habe ich dann Vinyl gehört: Sophie Hunger, Faber & Brandão mit schweizerdeutschen Liebesliedern. Diese innige Musik muss in den Raum, über alte, analytische Lautsprecher und einen Verstärker, den ich mir zum 20. Geburtstag gekauft habe.

Du behandelst in deinem Buch, Play Pause Repeat, den Zusammenhang zwischen Popmusik und Gerätegeschichte. Wie kamst du dazu, über Pop aus dieser Perspektive zu schreiben?
In den Erinnerungen an Popmusik spielen Geräte bei den meisten Menschen eine große Rolle. Ob Plattenspieler, Kassettenrekorder, Kopfhörer, Autoradio, Walkman oder iPod die Verbindung zum Körper hergestellt haben, vergessen die wenigsten. Nun gibt es wohl schon genug Bücher, die nostalgisch die Technologie der jeweiligen Jugend feiern. Biografische Marken kommen auch in meinem Buch vor, aber nur um zu zeigen, wie stark die Geräte den Zugriff auf unser Leben regeln. Gemeinhin nimmt man an, dass Popmusik die Technologie besonders innovativ nutze, sozusagen hacke und für ihre Interessen einsetze. In meinem Buch betrachte ich diese Beziehung andersherum: Technologie, im Aufnahmestudio wie zu Hause, hackt erst die Musik und dann uns. Dieses Verhältnis von Werkzeug und Musik gibt es nur im Pop. Thomas Edison, der Erfinder des Phonographen, einem Vorläufer des Plattenspielers, begriff das schon ab 1878. Er wurde sauer, wenn die Leute von seiner „Sprechmaschine“ sprachen. Er sagte immer, nein, das ist ein Instrument. Damit hat er Pop vorhergesehen.

Ist Pop politisch?
Wenn wir „politisch“ so verstehen, dass Pop den Alltag verändert, unser Leben beeinflusst und uns diszipliniert oder gefährdet, dann ist Pop politisch. Ich staune, wenn Popkünstlerinnen und -künstler reflexhaft beteuern, Musik könne die Welt nicht verändern, etwa Neil Young oder Billy Bragg. Das ist eine sympathische Geste der Demut, um nicht als größenwahnsinnig zu gelten. Dass Pop so invasiv operiert wie eine Magensonde, liegt eben an seinen hochentwickelten Geräten und wie wir sie benutzen. Pop mit explizit politischem Programm gibt es auch, aber ist meist kurzlebig. Techno zum Beispiel wurde lange unpolitisch geschimpft: Das stimmt auf der Oberfläche, aber doch nicht in der Praxis, als eine ganze Generation jene Räume genommen hat, die von der Industrie gerade verlassen worden waren.

Du sprichst vom Klang unterschiedlicher Bewegungen, von den 60ern bis in die 90er. Warum hat unsere aktuelle Zeit keinen eigenen Soundtrack?
Weil neue Technologien die Funktion der Musik übernommen haben. Ab den späten Neunzigerjahren, als die ersten digitalen Tauschbörsen durchgestartet sind, damals vor allem Napster. Zwischen Napster und Spotify wird Pop endgültig privat. Mir fällt keine große soziale Bewegung seit den Nullerjahren ein, die einen spezifischen Sound hatte. Weder Occupy Wall Street, noch der Arabische Frühling oder die Indignados in Spanien haben einen eigenen Sound, die Bewegungen von heute wie Fridays for Future erst recht nicht. Die Medien der neuen sozialen Bewegungen sind keine Tonträger, sondern soziale Netzwerke. Es ist paradox: Interessant war an Musik, die mit sozialen Bewegungen in Verbindung stand, dass sie sich oft kontrovers positionierte, die Diskussionen nicht nur abbildete, sondern in Gang brachte – das trifft auf die Rolling Stones zu während der Studentenunruhen sowie auf Sly Stone im Kampf um Bürgerrechte oder auf N.W.A. und ihre Wut auf den Polizeistaat. Heute sucht Pop weniger die diskursive Provokation, sondern die Zugehörigkeit, und zwar im Nachhinein. Pop ist Derrière-Garde, nicht mehr Avantgarde. Komplizierter ist es in Teilen der Musik of Color, vor allem bei weiblichen Künstlerinnen: Es gibt eine lange Tradition schwarzer Ermächtigung im Pop und es kann sein, dass selbst die technologische Umwälzung unserer Tage sie nicht unterbrechen kann. Aber auch Black Lives Matter hat keinen spezifischen Sound.

Eine zentrale Idee deines Buches ist, Popmusik als Seismograph zu begreifen. Was kann Pop uns heute über unsere Zukunft sagen?
Ich verstehe die Kraft der Prophezeiung im Pop nicht esoterisch, sondern konkret. Pop wird im Verlauf der Geschichte zu einem sehr breiten Feld, in dem Technologien ausprobiert und Verhalten eingeübt werden können, die erst später gesamtgesellschaftliche Kraft entwickeln. Das versuche ich in meinem Buch in jedem Kapitel anhand unterschiedlicher Geräte und Entwicklungen zu zeigen. Was Pop in der aktuellen Pandemie durchmacht, hat sich technologisch bereits angekündigt: Die Vereinzelung in Form personalisierter Playlists wirft schon lange die Schatten des Lockdowns voraus. Viele wissen ganz gut, wie mit Einsamkeit umzugehen ist, auch wenn sie unter Pandemiebedingungen ins Unerträgliche gesteigert worden ist. Ich glaube, dieser Kokon, der akustische wie der soziale, wird verschwinden. Wir werden in Zukunft unser Leben lokaler organisieren müssen, mit mehr gesellschaftlicher Teilhabe vor Ort. Die Streaminganbieter entdecken das lokale Publikum. Und weltweite Stars gibt es auf Dauer keine mehr. Die Schwierigkeit wird sein, den engeren Radius von Musik und Waren dennoch offen und divers zu gestalten. Lokal heißt nicht, dass wir auch ideologisch auf der Scholle leben. Aber im Pop sind diese Fragen bereits Teil der Praxis, Teenager hören „gefühlt“, wie viele sagen, deutlich mehr lokale Künstlerinnen und Künstler als ich in meiner Jugend.

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