5 Fragen an ... Tijan Sila

5 Fragen an ... Tijan Sila

Lieber Tijan Sila, Radio Sarajevo handelt vom Krieg und vom Leben im Krieg, und alles, was du da schreibst, ist wahr. Warum musste dieses Buch geschrieben werden?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Der größte ist wohl, dass ich durch das Schreiben versucht habe, meine Kriegserlebnisse für mich zu ordnen. Bisher waren sie wie verstreute Teile eines Puzzles, und mir war selbst nicht klar, welches große Bild sie am Ende ergeben. Das weiß ich nun. Außerdem wollte ich den Krieg begreifbar machen – wie er funktioniert, was Menschen tun, um zu überleben, welche Auswirkungen er auf ihr Verhalten und Denken hat. Über Kriege wird oft geschrieben, inzwischen jedoch kaum von Menschen, die sie tatsächlich erlebt haben. Das wollte ich ändern.

Es handelt sich um dein mit Abstand persönlichstes Buch, was hat dich dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen?
Ich wusste seit Jahren, dass ich früher oder später biografisch und ohne den Schleier der Fiktion über den Krieg würde schreiben müssen, aber ich habe mich lange nicht dazu in der Lage gefühlt. Im Grunde ist Schreiben wie Krafttraining, und ich traute es mir nicht zu, diese Last zu bewegen. Irgendwann im letzten Jahr kam mir aber der Gedanke, dass ich nun soweit bin. Dies hing mit dem Tod meines Vaters zusammen, einem Ereignis, das mich stark bewegt hat und für eine Verschiebung meines Denkens sorgte: Ich fing an, mich für das Leben meiner Eltern zu interessieren – und somit auch für mein eigenes.

Jeder Krieg ist auf seine Weise grausam. Was war besonders grausam am Krieg in Bosnien?
Der Bosnienkrieg war im Wesentlichen ein Krieg gegen Zivilisten. Zu dem Zeitpunkt als er ausbrach, existierte in Bosnien noch nicht einmal eine Armee. Während der Belagerung der Hauptstadt Sarajevo wurden nicht etwa militärische Anlagen bombardiert, sondern hauptsächlich Wohngebäude, und die Stadtbevölkerung wurde gezielt ausgehungert. Auch gehörte der Völkermord an Bosniern und Bosnierinnen zu diesem Krieg – das Massaker in Srebrenica, bei dem mehr als 8000 Bosnier ermordet wurden, ist die bekannteste Manifestation dieses Völkermords, doch nicht die einzige.

Du zeigst auf eindrückliche Weise, dass das Leben auch weitergeht, wenn Bomben fallen und Scharfschützen auf Passanten schießen. Wie wichtig war Humor während des Krieges und wie wichtig ist Humor für dein Schreiben?
Der Humor war während des Kriegs überlebenswichtig (im Radio liefen täglich Comedysketche und lustige Radiospiele für Kinder) und ist es für mich bis heute geblieben. Wer einen Krieg überlebt, hat die Wahl entweder am eigenen Schicksal zu verzweifeln oder für sich einen Weg zu finden, weiterzumachen – für mich gehörte zum Weitermachen das Lachen, darum ist mein Schreiben oft humorvoll.

Das Buch endet mit der Flucht aus Sarajevo, aber für den Protagonisten ist das der Anfang eines neuen Lebens. Wird es eine Fortsetzung geben?
Das hoffe ich sehr! Die Zeit nach unserer Ankunft in Deutschland, das Leben in Mannheim, zwischen Flüchtlingsunterkunft und Schule, war für mich genauso prägend wie der Krieg. Ich lernte eine neue Sprache und wurde ein neuer Mensch – nun war ich nicht bloß Bosnier, sondern auch Deutscher, nicht bloß Überlebender, sondern auch ein Heranwachsender. Einerseits war ich schwer traumatisiert, andererseits hatte ich einen unbändigen Lebenshunger. Ich musste viele Gegensätze vereinen, viele lose Stränge meiner Biografie irgendwie zu einem Zopf flechten. Ich würde unheimlich gerne darüber schreiben.

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