5 Fragen an ... Susanne Schmidt

5 Fragen an ... Susanne Schmidt

Sie sind Busfahrerin in Berlin. Was fasziniert Sie so an der Stadt, liebe Susanne Schmidt?
Ich bin in einer Kleinstadt im Ruhrgebiet aufgewachsen, umgeben von Hochöfen, Schornsteinen, Zechenanlagen und Wiesen. Und noch immer fühle ich mich beim Anblick eines Stahlwerkes oder einer Industrieanlage geborgen und heimatlich.
Davon abgesehen gab es damals nicht viel für Kinder und Teenager: ein paar Pommesbuden, Trinkhallen, ein winziges Freibad. Sonntags gingen wir nach der Kirche zum Frühschoppen, Limonade trinken mit den Erwachsenen. Das war alles ein Zuhause, aber es war nicht alles.
Berlin hingegen lag da wie das allerbeste Weihnachtsgeschenk, ich musste es nur noch auswickeln. Es war auch schön grau und stank im Winter, selbst der Ton ist ähnlich wie im Ruhrgebiet: offen, ruppig, zuverlässig. In den Ruinen lebten überraschende Menschen. Es gab Musik, Demos, Malerei, Kunst und Möglichkeiten! Die Insellage klärte viele Fragen.
Hier ist das Ausprobieren einer ungewöhnlichen Idee, das Aussprechen eines wilden Gedankens, der Versuch neuer Lebensformen normal. In Berlin ist die Toleranz ein hohes Gut. Damals konnte hinter jeder Ecke alles auf dem Kopf stehen. In den Hinterhöfen herrschten raue Hausmeisterfamilien. Es gab viele leerstehende Häuser, die Vergangenes zeigten und später zu Orten voller neuen Wohn-und Lebensformen wurden.
Meine Neugier findet immer wieder Überraschungen, nie habe ich „alles“ von Berlin gesehen, erlebt, ausprobiert.
Das Leben kostete nicht viel, aber was es bot war wertvoller als Gold: ein großes Herz für den Alltag und das Abenteuer.

Sie arbeiten seit einer Weile nicht mehr als Busfahrerin – was vermissen Sie daran am meisten?
Mir fehlt vor allem das einzigartige Gefühl, mit den gelben Riesen durch die Straßen der Stadt zu rumpeln. Ich habe Sehnsucht nach den tollen Knöpfen und Schaltern, den überdimensionalen Pedalen und der Geräuschkulisse. Und natürlich fehlen mir die wahnwitzigen, großartigen, herzerwärmenden Passagiere. Sie schaffen ja immer diese besonderen Momente an den Haltestellen. Wenn die Türen aufgehen und die Berliner Schnauze einsteigt, die Touristen zaghaft schnell noch mal ihre Stadtpläne kontrollieren, die neu Zugezogenen wild entschlossen alles besser wissen und die Alteingesessenen mir einen freundlich genervten Blick zuwerfen – oder auch nicht – all diese winzigen Interaktionen zwischen den Stationen fehlen mir, in denen so viel und so wenig gleichzeitig geschieht und alle nur ein Ziel haben: pünktlich anzukommen!

Sieht man eine Stadt anders, wenn man jeden Tag im öffentlichen Nahverkehr arbeitet?
Die Stadt wird tatsächlich kleiner, wenn man jeden Tag im ÖPNV arbeitet. Sie reduziert sich auf die zu fahrenden Strecken und den Verkehr. Die erforderliche Konzentration lässt keine Abschweifungen zu. Zudem fährt man überall vorbei, aber eben nirgends hin. Die Busfahrerin hat als einzige im Bus kein Ziel, kein Woher und kein Wohin. Sie fährt zwar täglich viele Kilometer durch die große Stadt, ist aber nirgendwo dabei.
Die Busfahrerin tangiert der Zustand der Straßen sehr viel mehr als eine temporäre Sensation am Alexanderplatz oder eine Aufregung im Mauerpark. Wir registrieren besonders die Hindernisse und Gefahren des Straßenverkehrs. Ein unachtsamer Autofahrer kann uns noch Stunden später den Puls hochtreiben.
Gleichzeitig erfährt man sich ein besonderes Wissen über die Bewegungen und den Rhythmus der Großstadt.

Fahren Sie privat lieber U-Bahn, S-Bahn, Auto, Fahrrad oder Bus?
Privat fahre ich meist Fahrrad. Die Verkehrssituation in Berlin ist immer noch zu sehr auf das eigene Auto konzentriert. Das ändert sich sehr langsam. Dabei sind wir im Innenstadtring mit den Linien der BVG und der S-Bahn so komfortabel versorgt. Gäbe es echte Busspuren und eine tatsächliche Vorfahrt für den Bus, könnte die Stadt wesentlich ruhiger und sicherer sein für alle. Ich bin mit meinem Fahrrad schnell und angenehm unterwegs. Wenn die Wege zu weit sind, nehme ich sehr gerne den Bus.

Wenn Sie sich eines von Ihren Fahrgästen wünschen könnten, was wäre das?
Von den Fahrgästen wünsche ich mir ganz allgemein mehr Wertschätzung für den Beruf der Busfahrerin und des Busfahrers. Das wäre schön.

Newsletter
Newsletter