5 Fragen an ... Simon Hadler

5 Fragen an ... Simon Hadler

Nach welchen Kriterien haben Sie die Statistiken für Wirklich wahr! ausgesucht?
Ich arbeite seit 18 Jahren als Online-Redakteur bei ORF.at. Das heißt: Ich kann abschätzen, welche Themen die Menschen interessieren – wir haben die Klickrate immer im Blick. Vor allem ging es mir natürlich um Themen, bei denen ich genau weiß, dass in der öffentlichen Debatte die Fakten weitgehend ignoriert werden. Aber ich wollte auch für eine bunte Mischung sorgen. Ich war deshalb auf der Suche nach Statistiken, die sowohl unseren Umgang mit Fakten reflektieren als auch unterhaltsam sind, die überraschen und möglichst unseren Alltag betreffen. Es geht um den Schlaf, die Arbeit, um Beziehungen, unseren Medienkonsum und um Mobilität.

Was hat Sie bei Ihren Recherchen für das Buch selbst am meisten überrascht?
Dass in einem Bier so viel Alkohol drin ist wie in drei bis vier Shots Wodka. Scherz beiseite. Die Überraschung war eines der Hauptkriterien, nach denen ich Themen aufgegriffen habe. Unglaublich war für mich etwa, dass der CO2-Ausstoß pro Kopf durch das Autofahren noch immer ansteigt, wo doch dauernd nur von E-Autos und dem geringen Verbrauch der Neuwagen die Rede ist, genauso wie vom Trend zum Radfahren und vom Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Auf der anderen Seite war mir nicht bewusst, wie stark Hunger und Armut in den letzten Jahrzehnten prozentual gesehen weltweit zurückgegangen sind. Und insgesamt war es schon eine Überraschung, geballt zu sehen, in welchem Ausmaß Boulevard-, aber auch Qualitätsmedien, Schwachsinn verbreiten.

Welche Tipps haben Sie, wie Statistiken richtig zu lesen sind und Fake von Fakt unterschieden werden kann?
Sehr wichtig ist es, bei den Quellen wählerisch zu sein. Welches Medium präsentiert mir eine Statistik? Bei einem quietschbunten Boulevardmedium wäre ich da gleich vorsichtig. Und dann: Wer hat die Statistik gemacht? Kenne ich das Institut? Welche Medien zitieren Statistiken dieses Instituts sonst noch (via Google News überprüfen)? Wie groß ist die Stichprobe? Wenn ein seriöses Medium eine Statistik mit großer Stichprobe eines anerkannten Instituts wiedergibt, habe ich gute Chancen, keinem Fake aufzusitzen. Die Überprüfung nimmt keine zwei Minuten in Anspruch.
Oft sind Meldungen außerdem nicht komplett erlogen, sie werden nur falsch kontextualisiert. Bevor ich mich etwa über die Summe aufrege, die der Staat für Sozialausgaben aufwendet, sollte ich schauen: Wofür genau wird das Geld verwendet? Und welchen Prozentsatz des Gesamtbudgets machen die Sozialausgaben aus? Intelligente Vergleiche ersparen einen Großteil der Aufregung.
Aufregung über medial verbreitete Inhalte zahlt sich ohnehin meist nicht aus. Es ist momentan in Mode, sich mit politischen Debatten zu beschäftigen und sein eigenes Wohlbefinden davon abhängig zu machen – ganz egal, ob einen das Thema selbst überhaupt betrifft oder nicht. Das war auch ein Lernprozess für mich. Mittlerweile kann ich manchmal ohne schlechtes Gewissen zu mir sagen: „Scheiß drauf, du musst nicht jedes Thema zu deinem eigenen Thema machen. Lass gut sein.“ Es gibt ein Leben außerhalb der Medienwelt.

Sind Sie selbst schon Falschmeldungen aufgesessen? Und welche Schlüsse haben Sie daraus gezogen?
Ich habe unlängst den von mir verehrten Jean Ziegler interviewt, der als hoher UNO-Repräsentant gegen Hunger und Ungleichheit kämpft. Er hat mir im Interview versichert, dass der Hunger in Afrika am Steigen sei. Ich habe mich zwar noch gewundert, dann aber gedacht: Der Ziegler muss das wissen. Und das Interview mit dieser Antwort unkommentiert publiziert. Das war ein gefundenes Fressen für einen neoliberalen Think Tank – sie haben einen veritablen Shitstorm auf mir abgeladen. Tatsächlich sprachen alle verfügbaren Fakten gegen Zieglers Darstellung. Ich habe daraus einmal mehr gelernt, dass man auch den eigenen Helden nicht ungeprüft alles glauben darf und daraus gleich ein eigenes Kapitel für mein Buch gemacht.

Wenn Sie drei Zukunftswünsche an den Journalismus formulieren dürften, welche wären das?
Erstens: Schluss mit Dramatisieren. Boulevardmedien, die den Untergang des Abendlandes wegen der Flüchtlinge herbeischreiben, und Qualitätsmedien, die glauben, alles wird immer schlimmer wegen faschistischer Tendenzen und wegen des Turbokapitalismus, haben beide versagt. Man kann auch anders für Aufmerksamkeit sorgen.
Zweitens: Weniger ist mehr. Weniger Storys produzieren, dafür mehr in die Tiefe recherchieren. Aber weniger Content bedeutet auch weniger Werbeeinnahmen, deshalb:
Drittens: Das richtet sich nicht an den Journalismus selbst, sondern an staatliche Institutionen: Mehr Presseförderung und außerdem mehr Medienkunde an den Schulen, damit schon die Jüngsten lernen, entspannt durch die Medienwelt zu gehen und sich nicht verarschen zu lassen. Es wird ja gerade auch um die Aufmerksamkeit der Jungen gekämpft, die sind eine lukrative Zielgruppe für Werbekunden.

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