5 Fragen an ... Sara Stridsberg

5 Fragen an ... Sara Stridsberg

Sara Stridsberg, in Deutschland ist dies Ihr erstes Buch bei Hanser. Hat dieser Roman einen besonderen Platz in Ihrer schriftstellerischen Laufbahn?
Ich sage immer, dass es in diesem Roman einen autobiographischen Splitter gibt, und vielleicht unterscheidet ihn das von meinen früheren Romanen. Als ich anfing, über Beckomberga, die alte Heilanstalt, zu schreiben, stellte ich mir zunächst vor, ich könnte eine Art neutrale Ewigkeitsperspektive wählen. Ich hatte nicht vergessen, dass ich die Klinik als Kind besucht hatte, weil mein Vater dort Patient gewesen war, aber ich dachte, es hätte nichts mit dem Roman zu tun. Es ist unglaublich, wie man sich blind stellen kann, um den Mut zum Schreiben aufzubringen …
Die Geschichte psychischer Krankheit ist eine Geschichte des Schweigens. Schon immer haben die Gesunden die Kranken beschrieben, und ich wollte nicht eine weitere dieser „Gesunden“ sein, die schon allein, indem sie die Krankheit von außen betrachten, Verrat an den Kranken begehen. Es war ein moralisches Dilemma, das mich lange am Schreiben hinderte. Aber dass ich einmal diese Lindenallee entlanggegangen war, um meinen Vater zu besuchen, war eine Art moralische Eintrittskarte für mich.
Da Sprache ausgehend von Gesundheit und Rationalität konstruiert wird, ist es grundsätzlich schwer, die Krankheit zu beschreiben, ohne sie zu verraten. Doch weil die Figur Jackie im Roman eine Angehörige ist, kann sie sich ungehindert zwischen der Welt der Klinik und der Welt außerhalb bewegen. Außerdem glaube ich, dass meine Sprache eine irrationale ist, die einen Puls von Wahnsinn innehat, eine Sprache, die der Krankheit gegenüber vielleicht loyaler ist als der Vernunft.
Und das Herzstück des Romans ist vor allem auch das Kranksein der Gesunden, das heißt, Jackies Sehnsucht danach, Jim bis in den Abgrund zu folgen.
„Der wirkliche Wahnsinn muss die Liebe sein“, sagt sie ja auch an einer Stelle.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Ich wanderte durch Stockholm, wo ich überall auf den Straßen zerbrechliche, verletzte Menschen sah, die um Hilfe baten. Ich musste an die alten Heilanstalten denken und fragte mich, wo die Menschen gelandet waren, nachdem diese Kliniken in Folge der schwedischen Psychiatriereform in den 1990er-Jahren ihre Pforten geschlossen hatten. Als ich zu schreiben begann, suchten mich intensive Bilder heim. Ich sah einen einsamen Mann, der seine Hände an die Mauern einer verlassenen Heilanstalt legt, als schlüge dahinter noch immer ein großes Herz. Aus ihm wurde im Roman Olaf, der letzte Patient, der Beckomberga gegen seinen Willen verlassen muss. Dann tauchte Jackie auf … sie ist ganz anders als ich. Während ich die Psychiatrie fürchtete, wird sie davon angezogen wie von einem starken Licht.

In Schweden kennt jeder Beckomberga. Können Sie uns etwas mehr darüber sagen?
In Schweden ist Beckomberga der Inbegriff einer psychiatrischen Anstalt. Die Klinik wurde 1932, unter der ersten sozialdemokratischen Regierung, mit dem Gedanken erbaut, einen geschützten Ort in der Welt zu schaffen für die Gefallenen, Verwundeten und Schwachen – die Ikarusmenschen.
Als ich klein war, pflegten sich Kinder, wenn sie gemein sein wollten, nachzurufen: „Kommst du aus Beckomberga?“ In der schwedischen Kultur steht Beckomberga für etwas Monströses, und traurigerweise hat dieses Bild auch auf die Menschen abgefärbt, die dort Patienten waren, als wären sie ebenfalls Unmenschen oder Halbmenschen oder Monster. Das Krankenhaus selbst war natürlich Monster und Engel zugleich, Gefängnis und Utopie, Strafe und Paradies, Hölle und Heim.
In meiner Kindheit waren die Besuche dort mit einer großen Scham behaftet, und als ich den Roman über Beckomberga zu schreiben begann, verwandelte sich diese Scham – wie so oft beim Schreiben – in eine Art Freiheit, Wildheit, aber auch Versöhnlichkeit. Diese alte Anstalt hatte nichts Gefährliches mehr an sich, verkörperte nur mehr Trauer und Einsamkeit und einen Versuch der Fürsorge.

Ein Roman, der teilweise in einer psychiatrischen Klinik spielt, könnte sehr düster sein. Aber dieses Buch ist voller Licht. Können Sie erklären, warum?
Weil das Licht da ist, wo die sind, die wir lieben. Jackie wird magisch von der Klinik angezogen, weil ihr Vater Jim dort ist, und außerdem findet sie dort auch eine Nähe und Aufrichtigkeit wie nirgends sonst auf der Welt.
Ich glaube, ich suche in meinen Büchern immer das Licht, das sich auch in der Dunkelheit findet, so wie ich in diesem Roman von dem Hauch von Gesundheit und Licht erzähle, der durch die Krankheit weht. Und in der Welt meines Romans gibt es keine Unterschiede zwischen Krankheit und Gesundheit, Schrecken und Schönheit, Dunkelheit und Licht.

Ich bewundere Ihren dichten literarischen Stil sehr. Die kurzen und intensiven Dialoge. Wie gehen Sie vor, wenn Sie schreiben?
Ich schreibe mit Kopfhörern und extrem lauter Musik, um den intellektuellen und rationalen Teil von mir auszuschalten. Und ich bilde mir ein, dass ich eher wie eine Lyrikerin arbeite und sehr nah an die einzelnen Worte heranzoome. Die Intensität, von der Sie sprechen, erlebe ich beim Schreiben als extreme Nähe. Manchmal ist diese Nähe wirklicher als das Leben, das ich außerhalb des Buches lebe.
Um schreiben zu können, muss man in der Lage sein, Stimmen zu hören, das ist eine Voraussetzung fürs Schreiben und zugleich auch die Definition einer Psychose.

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