5 Fragen an ... Roland Buti

5 Fragen an ... Roland Buti

Haben Sie einen Garten, Herr Buti? Und wenn ja, was bedeutet er oder was bedeutet die Natur ganz allgemein für Sie?
Ja, ich habe einen Garten, in dem ich sehr viel Zeit verbringe.
Ich staune über die aktuelle Gartenmode. Historisch haben sich immer, wenn die Dinge schlecht liefen, Phantasien von Gärten entwickelt (die notgedrungen geschlossene Orte sind, „Klöster“). In diesem Raum herrscht Kontrolle, Kontrolle über die Natur. Es ist wahrscheinlich nicht verwunderlich, dass wir uns in dem Moment, in dem wir das Gefühl haben, dass uns etwas entgleitet, in diesen geschlossenen geschützten Raum zurückziehen. Man kann dann auch eine enge Beziehung zur Vegetation, zur Erde beobachten, eine nährende, symbiotische Beziehung. Ich habe von der Idee gelesen, dass das Biotop, das ein Gärtner anlegt, hegt und pflegt, zu einem Psychotop wird: ein Abbild von ihm selber in der Natur. Dem westlichen Menschen ist davon vielleicht vieles verloren gegangen seit Galilei und seiner wissenschaftlichen Weltsicht, die die Natur zu einem nützlichen, um nicht zu sagen zweckorientierten Objekt macht.

Sie haben ein ganz besonderes Talent für ausgefallene Charaktere, die einem beim Lesen sofort ganz nahe kommen. Wie sind Sie zum Beispiel zu Agon, dem Hilfsgärtner, gekommen?
Ein Freund hat mich zur Figur des Agon inspiriert. Alle, die ihn kennen, haben ihn im Roman wiedererkannt, und er sich auch. Deshalb kommt vielleicht gerade diese Figur den Lesern so nahe. Für mich ist er real. Hinzu kommt, glaube ich, die Art, wie er beschrieben ist: Agons Charakter drückt sich viel mehr in seinen Gesten aus, seinen Haltungen, seiner Art zu handeln, als in psychologischen Beurteilungen. Ich versuche es mit kleinen, manchmal auch kontradiktorischen (denn wir sind alle komplexe Wesen) Pinselstrichen, die ein langsames Kennenlernen der Figur ermöglichen sollen: wie im Leben, wo man auch nicht sofort alles über einen Menschen weiß, wenn man ihm begegnet.

Das Grand National, das Hotel in dem Ihr Erzähler Carlo, seine demente Mutter findet, nachdem sie aus dem Seniorenheim verschwunden ist, steht für eine andere Zeit, für ein anderes Leben. Wovon erzählt es für Sie?
Das Grand National ist ein Palast oberhalb von Montreux (am Genfersee). Diese Grandhotels wurden im 19. Jahrhundert gebaut, um eine reiche, internationale Klientel anzuziehen, am Anfang vor allem aus Großbritannien. Ich glaube, das Buch erzählt von Ausländern und den verschiedenen Typen von Ausländern in der Schweiz (Arbeiter, politische Flüchtlinge, Steuerflüchtlinge, Touristen). Aber auch davon, dass die anderen, selbst die, die uns am nächsten sind, immer ein Mysterium für uns bleiben werden. Das ist auch die Geschichte des Romans, in dem der Erzähler Stück für Stück eine ganz neue Seite im Leben seiner Mutter entdecken wird. Parallel dazu verlässt ihn seine Frau und wird Stück für Stück zu einer Fremden für ihn. Vielleicht flüchtet die Mutter des Erzählers aus ihrem Seniorenheim, um an den Ort ihrer ersten Liebe zurückzukehren, damit ihr Sohn sie findet und herausfindet, was für sie im Leben wirklich wichtig war. Außerdem habe ich die verschiedenen Szenen aus einer nostalgischen Idee heraus geschrieben: Soll man sterben, ohne das Leben gehabt zu haben, das man leben wollte?

Sehen Sie eine Verbindung zwischen Ihrem Roman Das Flirren am Horizont, der auch auf Deutsch sehr erfolgreich war, und Ihrem neuen Roman Das Leben ist ein wilder Garten?
Eine feinsinnige Leserin und kluge Kritikerin, Claire Jaquier, hat auf Folgendes hingewiesen: Das Flirren am Horizont ist eine Tragödie, in der die Natur ein Schicksal darstellt, das auf den Menschen und den Tieren lastet; sie spendet keinen Trost. Im Gegensatz dazu ist Das Leben ist ein wilder Garten ein Roman der consolatio; die Gärten und das Grün trösten. Die Familiengärten sind private Paradiese und die omnipräsente Vegetation beruhigt, so wie die Haschisch-Quittengelee-Bonbons.
Was mich interessiert hat, ist die Idee des Gartens als Refugium (und es gibt auch den geheimen Garten der Mutter, alles was man nicht sagt oder was man nicht persönlich kennt). Familiäre Gärten sind wie kleine Häuschen, ein Maximum an Dingen auf engem Raum. Das erinnert mich an ein Detail aus der Kindheit, an das Baumhaus, das Kinder bauen und in dem sie sich ein Leben erfinden.

Welche Reaktionen hat Das Leben ist ein wilder Garten in der französischen Originalfassung ausgelöst? Hat Sie etwas überrascht?
Es gibt so viele Lesarten wie Leser und ich bin immer wieder überrascht. Ich versuche schmale Bücher zu schreiben (aus Respekt vor den Lesern), in denen man aber verschiedene Schichten findet, mehrere Geschichten und wiederkehrende Motive – wie in der Musik –, die ein komplexeres Bild ergeben. In Das Leben ist ein wilder Garten gibt es Vögel, Fußball, die Daumenverletzung des Erzählers, die nach und nach heilt, etc. Aber was ich aus den Reaktionen in Frankreich und in der Schweiz herauslesen konnte, ist, dass die Leserinnen und Leser alle Aspekte des Romans berührt haben, die mit dem Intimen zu tun haben, mit den mysteriösen Dingen, die sich stets zwischen die Beziehungen der Menschen untereinander schieben.

Interview und Übersetzung aus dem Französischen: Bettina Wörgötter

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