5 Fragen an ... Neil deGrasse Tyson

5 Fragen an ... Neil deGrasse Tyson

Neil deGrasse Tyson, Sie sprechen oft darüber, wie wichtig die Neugier ist. Wie lässt sie sich denn am besten fördern, vor allem bei Erwachsenen, die ihre angeborene kindliche Neugier zumindest teilweise verloren haben?
Ich sehe das so: Wenn die Menschen neue Erfahrungen machen, die ihre Entscheidungsfindung oder ihre Sicht auf das Leben positiv beeinflussen, dann kann man auch ihre Neugier neu entfachen. Genau das versuche ich in meinem Twitter-Stream. Kein Mensch will belehrt werden. Kein Mensch will hören, dass er zu dumm ist für komplexe Zusammenhänge. Also locke ich die Leute mit kleinen Wissenshäppchen, Weisheiten oder neuen Perspektiven. Erst gestern habe ich getweetet: „Die unwiderstehliche Kraft ist immer stärker als das unbewegliche Objekt.“ Die Leute fragten, warum, und ich sagte: „Weil eine ausreichend starke Kraft das unbewegliche Objekt schlicht auslöscht, und dann fragt keiner mehr, ob es beweglich oder unbeweglich is.“ Eine nette philosophische Frage, und die Physik gibt uns eine eindeutige Antwort: Ja, der stete Tropfen höhlt tatsächlich den Stein. Eine weitere Frage dieses Typs lautet: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Die Antwort gibt uns die Biologie: Das Ei war zuerst da, aber es wurde von einem Tier gelegt, das kein Huhn war. Ich möchte, dass zumindest meine gelungeneren Tweets die Leute zu neuem Denken anregen.

Wenn sich die Leute nicht für die Naturwissenschaft interessieren oder das zumindest behaupten, warum soll man trotzdem versuchen, sie zu erreichen?
Weil wir alle der gleichen Gesellschaft und Kultur und Zivilisation angehören. Und mit Fortschreiten des 21. Jahrhunderts werden naturwissenschaftliche Kenntnisse immer wichtiger für Entscheidungen, die die Zukunft desjenigen bestimmen, der die Entscheidungen trifft – seine zukünftige Gesundheit, seinen zukünftigen Wohlstand, seine zukünftige Sicherheit. Wenn sie also von der Naturwissenschaft nichts wissen wollen, klinken sie sich aus allem aus, was notwendig ist, um die eigene Zukunft positiv zu gestalten.

Ich war ziemlich fasziniert von Kapitel zwölf Ihres Buchs, in dem es um die kosmische Perspektive geht. Wenn ich das richtig zusammenfasse, geht es um die Erkenntnis, welch kleines Plätzchen wir im Universum einnehmen, und darum, zuzulassen, dass diese Weisheit, dieses Wissen unser Menschsein bereichert.
Wenn Sie es in einen einzigen Satz packen wollen, kann man das so sagen. Es geht darum, wie die kosmische Perspektive die Sicht auf den eigenen Platz in der Welt komplett verändern kann, sowohl bezogen auf andere Menschen als auch im Hinblick darauf, wer und was du selbst bist. Sie kann die Prioritäten des Lebens ganz neu aufstellen oder zumindest anders aufstellen.

Welche Rolle spielt die kosmische Perspektive in Ihrem Leben?
Es klingt vielleicht total angeberisch, aber es ist wirklich so: Alle Jungs, mit denen ich aufgewachsen bin, gerieten irgendwann zwischen der ersten Klasse und dem Schulabschluss in heftige Streitereien mit anderen. Alle, ohne Ausnahme. Ich rede nicht von Bandenkriegen, ich rede nur davon, dass auf dem Schulhof die Fetzen – oder die Fäuste – flogen. Ich habe mich nie mit anderen gezofft. Ich war die Anomalie. Und ich weiß seit meinem neunten Lebensjahr, dass ich mich für das Universum interessiere. Könnte es sein, dass ich wegen der kosmischen Perspektive, die mich schon seit frühester Jugend prägt, niemals einen Sinn oder Wert darin sehen konnte, mich mit jemandem zu prügeln? Wenn man sich die Sache aus großer Distanz ansieht, und genau das schafft ja die kosmische Perspektive, ist das so nichtig. Sie hilft mir mithin, bestimmte Entscheidungen darüber zu treffen, was im Leben wirklich wichtig ist und was nicht.

Neil deGrasse Tyson, sind Sie optimistisch, was die Zukunft der menschlichen Rasse angeht?
Da kann ich nur Ray Bradbury zitieren. Bradbury wurde gefragt: „Warum beschreiben Sie in Ihren Science-Fiction-Romanen immer solche Schreckensszenarien? Ist das die Zukunft, der wir in Ihrer Vorstellung entgegenblicken?“ Er antwortete, zumindest sinngemäß: „Nein, ich beschreibe diese dystopischen Zukunftsvisionen, damit Sie wissen, dass Sie ihnen besser aus dem Weg gehen sollten.“

Quellen:
> Harvard Business Review
> DEADLINE
> Goodreads

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