5 Fragen an ... Monika Helfer

5 Fragen an ... Monika Helfer

Liebe Frau Helfer, in Ihrem Roman erzählen Sie die Geschichte einer Familie, die zu Beginn des ersten Weltkrieges ganz am Rande eines Bergdorfes lebt und von allen nur die „Bagage“ genannt wird. Eines der Kinder dieser Familie ist Ihre eigene Mutter. Sie haben zahlreiche Bücher veröffentlicht und können auf ein umfangreiches literarisches Werk blicken. Warum drängte sich diese Geschichte jetzt auf, warum mussten Sie sie jetzt erzählen?
Immer wieder hatte ich versucht, über meine Familie zu schreiben, aber jedes Mal war mir das zu privat, so musste ich eine Zwischenform finden. Über meine Familie gäbe es viel zu erzählen. Jeder Onkel, jede Tante, jeder Cousin, jede Cousine könnte auf einen eigenen Roman pochen. Es sind große Geschichten, sehr wilde Geschichten, grausame Geschichten, Tief traurige Geschichten. Sie waren mir lange Zeit zu groß, ich habe mich auch für sie geschämt. Man liest in einem Roman gern von wilden Gesellen, aber wenn sie dann durch die eigene Familiengeschichte reiten, dann hat man das nicht so gern, jedenfalls nicht als Kind. Irgendwann hat sich in meinem Kopf meine Großmutter gemeldet, so als wollte sie zu mir sagen: Schreib über mich, erfinde mich neu. Fang bei mir an. Als die Hauptpersonen gestorben waren, hatte ich den Mut, mit dem Schreiben anzufangen.

Haben Ihnen verbürgte Fakten und überlieferte Mythen der Familiengeschichte eine Struktur vorgegeben – oder waren Sie ganz frei im Erzählen, weil es viele blinde Flecken in der eigenen Herkunft gab, die Sie nun mit Geschichten füllen konnten?
Wenn man eine Familiengeschichte erzählt, ganz gleich ob eine fiktive oder eine sogenannte echte, dann sind immer alle Mitglieder der Familie, erstens Grades, zweites Grades, dritten Grades, anwesend. Was einer vor hundert Jahren getan hat, bekommt vielleicht erst heute seine Bedeutung. Also wenn ich von ihm erzähle, muss ich auch von heute erzählen. Ich wusste, ich konnte diese Geschichte nicht geradlinig erzählen, also: Hier beginnt sie, und nun folgt die Chronologie. Ich dachte, wenn ich von den Menschen zweier weiterer Generationen erzähle, bekommt die Geschichte Gewicht, aber eben nicht, wenn ich in der Chronologie erzähle, sondern so, dass ich mir selbst klar wurde, wie eine Person eine andere in sich trägt.

Ihr Roman lebt auch von der Atmosphäre und von der genauen Beschreibung gesellschaftlicher Abhängigkeiten, wie es sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in einem Bergdorf gegeben hat. Haben Sie Figuren des Romans in der Wirklichkeit befragen können, um mehr zu den Umständen dieser Zeit zu erfahren?
Die meisten Informationen stammen von meiner Tante Kathe, als sie beinahe hundert Jahre alt war. Sie war noch sehr flink im Kopf. Sie hat erzählt, wahrheitsgetreu, aber auch erfunden, es machte ihr Freude, Vergangenes auszuschmücken, teilweise ließ sie bewusst weg, was ihr nicht in den Kram passte. Das musste ich dann dazu erfinden.

Wenn man genauer nachvollzieht, wie Sie die Geschichte der Bagage erzählen, fällt auf, dass Sie sich von Generation zu Generation über die mütterlichen Linien durch ein Jahrhundert bewegen. Welche Möglichkeiten hat Ihnen das im Erzählen eröffnet?
Mir schien die Abhängigkeit der Frauen interessant, wie sie sich in den Generationen kaum verändern. Besonders interessant: die Abhängigkeit von sehr starken Frauen. Wenn wir von Abhängigkeit sprechen, denken wir zuerst an Schwäche. Diese Frauen aber waren nicht schwach. Josef ist eigentlich ein schwacher Mann, Maria keine schwache Frau. Aber es gilt in ihrer Welt das Männliche. Das Männliche heißt oft Gewalt. Aber sie hat jemanden auf ihrer Seite, ihren fünfzehnjährigen Sohn Lorenz. Der ist männlicher als alle miteinander. Ich möchte fast sagen, er ist ihre Waffe. Das ist sehr archaisch. Und so war es.

Auf dem Umschlag des Buches ist ein Gemälde, der Anfang des Romans beginnt mit der Malerei, und wenn man die Geschichte der Bagage ganz gelesen hat, ist vor dem inneren Auge ein breites und buntes Familienbild entstanden. Hat die Malerei als Ausdrucksform für Sie einen Einfluss auf die Art wie Sie literarisch arbeiten? Schreiben Sie malend?
Die Malerei war hilfreich für mich, besonders die Bilder von Bruegel, dem Älteren, seine Darstellungen, ich denke an „Die Kinderspiele“. Ich sah in den Bildern meine Bagage. Kinder, die wie Erwachsene sind. Wenn ich schreibe, denke ich oft, wie könnte das gemalt aussehen. Ich wäre gern eine gute Malerin geworden. Ich habe mir während der Arbeit an dem Buch oft die Bilder von Bruegel angeschaut. Es war unheimlich. Ich habe sie alle darauf gefunden, die ganze Bagage. Nein, Maria, die Hauptperson nicht. Immer haben alle aus meiner Familie zu mir gesagt: Du bist wie deine Großmutter. Das war genauso bewundernd wie tadelnd gemeint. Gut, dann bin ich halt so.

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