5 Fragen an ... Mohamed Mbougar Sarr

5 Fragen an ... Mohamed Mbougar Sarr

Lieber Mohamed Mbougar Sarr, dein Buch Die geheimste Erinnerung der Menschen ist ein politischer Text, der sich mit dem Kolonialismus auseinandersetzt, und gleichzeitig eine spannende Kriminalgeschichte und ein Bildungsroman. Wie hat alles begonnen?
Ich weiß noch, wie ich meinen beiden Verlegern das erste Mal von meinem neuen Romanprojekt erzählt habe. Die Idee war noch nicht ausgereift, es gab keinen roten Faden. Ich habe damals eigentlich nur gesagt, dass es um die Leidenschaft zur Literatur gehen soll. Es gibt gleich zwei Verleger, da mein Buch zeitgleich bei zwei französischsprachigen Verlagen erschienen ist, was ungewöhnlich ist: bei Jimsaan im Senegal und bei Philippe Rey in Frankreich. Das ist eine Art Metapher für meine eigene Reise: Ich bin mit 19 Jahren vom Senegal nach Frankreich gezogen, um dort mein Studium fortzusetzen. Und symbolisch gesehen, hat auch mein Buch diese Reise unternommen.

Ich dachte, du hättest deinen Verlegern vielleicht von Yambo Ouologuem erzählt. Wer war er, und warum ist er so wichtig für deinen Roman?
Yambo Ouologuem war und ist tatsächlich eine Inspirationsquelle für mein Buch. Ich habe seine Figur mit meinen eigenen drängenden Fragen verbunden: Was ist, was darf, was kann Literatur? Ouologuem war ein Schriftsteller aus Mali, der 1968 ein bahnbrechendes Buch veröffentlichte: Das Gebot der Gewalt. Das Buch wurde gefeiert und sogar mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet – zum ersten Mal bekam ein afrikanischer Autor diesen wichtigen Preis. Aber vier Jahre später wurden Plagiatsvorwürfe laut. Ouologuem rechtfertigte sich damit, dass Intertextualität in der Literatur selbstverständlich ist. Dass jedes Buch sich auf andere Bücher bezieht, auf sie aufbaut. Aber das ließen die Kritiker nicht gelten. Daraufhin hat er sich in Mali zurückgezogen, in eine Art enigmatisches Schweigen, das fünfzig Jahre andauerte, bis er 2017 starb. In meinem Buch treffen sich meine Faszination für Yambo Ouologuem und meine eigene Auseinandersetzung mit der Literatur.

Du bist multilingual aufgewachsen, neben Französisch sprichst du unter anderem auch die senegalesischen Sprachen Serer und Wolof. Warum hast du dich entschieden, auf Französisch zu schreiben?
Ich hatte keine Wahl: Im Senegal lernen alle Kinder in der Grundschule auf Französisch Lesen und Schreiben – eine Folge des Kolonialismus, mit der jeder afrikanische Autor meiner Generation zu tun hat. Ich kann Serer und Wolof sprechen – es sind meine Muttersprachen –, aber nicht schreiben. Meine Schriftsprache ist das Französische. Manchmal habe ich das Gefühl, damit ein gewisses Opfer zu bringen, denn oft kann ich auf Französisch nicht genau das ausdrücken, was ich möchte. Als würde mir darin eine gewisse Tiefe fehlen, die ich nur in meinen afrikanischen Muttersprachen finde. Ich bringe mir gerade selbst bei, diese Sprachen auch zu schreiben. Und vielleicht wird sich die Situation an Grundschulen in Zukunft ebenfalls ändern.

Wie würdest du deinen Schreibstil beschreiben? Könnte man sagen, dass die Tradition mündlicher Überlieferungen, die im Senegal noch immer einen hohen Stellenwert hat, darin widergespiegelt wird?
Mein Schreibstil ist eigentlich recht chaotisch. Meine Struktur im Text ist das Chaos, auch wenn das vielleicht paradox klingt. Ich mag die Vorstellung von einem freien Schreiben, ohne Einschränkungen, ohne ein bestimmtes Ziel. Chaos bedeutet Freiheit. Ich habe Vertrauen in die Fiktion an sich. Und ja, ich wollte Serer und Wolof ihren Platz im Text geben. Ich höre Musik, in der auf diesen Sprachen gesungen wird. Ich kam zuallererst mit mündlich erzählten Gedichten, Geschichten, Sagen und Legenden auf diesen Sprachen in Berührung. Meine Mutter, Großmutter und meine Tanten waren meine ersten Geschichtenerzählerinnen.

Vergangenen Herbst hast du den Prix Goncourt gewonnen und viel Aufmerksamkeit erhalten. Interessanterweise geht es in deinem Buch unter anderem genau darum: Um Literatur, um ihre Vermarktung, um die Bedeutung von Literaturpreisen. In gewisser Weise scheinen sich die Themen aus deinem Buch in deinem realen Leben fortzusetzen …
Ja, so kommt es mir tatsächlich vor. Und genau diesen Punkt finde ich spannend: Wie Fiktion und Realität zusammenspielen und sogar ineinander übergehen können. Manchmal hatte ich das Gefühl, als würde das Buch sich selbst schreiben; und jetzt erlebt es seine Fortsetzung im echten Leben. Als würden die Abenteuer aus dem Buch jetzt „draußen“ weitergehen. Es hat wirklich etwas Ironisches. Und natürlich bin ich sehr glücklich darüber, wie sich alles entwickelt hat.

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